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Ägyptische Street-Art-Szene

Spraydose gegen Kalaschnikow

Feature

»Spraydose gegen Kalaschnikow«, so fasst ein Stencil in Kairos Mohamed Mahmoud-Straße die Auseinandersetzung zusammen, die seit Monaten die florierende ägyptische Street-Art-Szene prägt. Was, wenn Kunst zum revolutionären Instrument wird?

Graffiti und Stencils sind seit der Revolution fester Bestandteil der ägyptischen Protestkultur. Die meisten Motive kritisieren mal ironisch, mal frech, mal unverhohlen das alte Regime und den Militärrat (SCAF). Es wird zur Befreiung bekannter Revolutionäre aufgerufen und den Märtyrern der Revolution gedacht. Bestes Beispiel für die geschickte Nutzung von Street-Art für politische Zwecke ist die jüngste »Lügner«-Kampagne, an der auch die Bewegung »Jugend des 6. April« beteiligt ist. Ein Stencil mit dem Schriftzug »Kazibun – Lügner« prangert den Militärrat an und wirbt für Videovorführungen, die dessen Gewaltverbrechen zeigen.

 

Es drängt sich die Frage auf, ob Street-Art in Ägypten nicht das künstlerische Element fehlt. Wer sich auf die Suche nach Antworten begeben möchte, beginnt am besten mit einem Stadtspaziergang. Freundlicherweise stellt der bekannte ägyptische Künstler »Ganzeer« dem Szene-Unkundigen eine interaktive Graffiti-Straßenkarte zur Verfügung. Ich entscheide mich für die grüne Route und beginne meinen Rundgang am Tahrir-Platz – wo denn auch sonst.

 

Mit geschulterter Kamera und geschnürten Sneakern geht es los. Doch zunächst gibt es nicht viel zu dokumentieren. Verdutzt stelle ich fest, dass an den Wänden der »Mugamma« und der Amerikanischen Universität alle Graffiti und Stencils, die in den letzten Monaten entstanden sind, überstrichen wurden. Ich gehe ungläubig die Straße in Richtung der Mauer hinunter, die das Militär im November errichtete, um die gewaltsamen Ausschreitungen zwischen Sicherheitskräften und Revolutionären zu beenden.

 

Die Wandmalereien, die den Verlust des Augenlichts vieler Aktivisten beklagten und somit auf die niederträchtigen Praktiken der Sicherheitskräfte hinwiesen: überstrichen. Die Stencils, die die Freilassung des bekannten ägyptischen Bloggers Alaa Abdel Fattah forderten: alle überstrichen. Selbst der Schriftzug »Freedom must come« auf der Mauer selbst: überstrichen. Ich suche weiter und laufe über die Kasr-el-Nil-Brücke auf die Nil-Insel Zamalek. Auch hier waren Maler und Überstreicher unterwegs. Es dämmert mir: Der Militärrat putzt die Stadt für die Festlichkeiten zum ersten Jahrestag der Revolution am 25. Januar heraus und bemüht sich, ein Bild des Friedens, der Freude und der Heiterkeit herzustellen.

 

Guy Fawkes hinter dem Fußballklub

 

Damit die dunkle Seiten der Revolution nicht in Vergessenheit geraten, hat »Ganzeer« zu einer weiteren »Mad-Graffiti-Week« aufgerufen. In seinem Appell, der nicht nur auf seinem Blog sondern auch auf der Internetseite der 7. Berlin Biennale zu finden ist, schreibt er: »Unsere einzige Hoffnung ist momentan die Waffe der Kunst. Vom 13. bis zum 25. Januar werden die Straßen Ägyptens eine wahre Explosion von Street-Art gegen das Militär erleben.«

 

Zu der starken Ausbreitung von Stencils trägt auch der schaffenswütige »Keizer« bei. Er ist wohl derzeit der bekannteste Street-Art-Künstler im Land – auch weil er jedes seiner Werke mit Schriftzug signiert. In der Ausstellung »Resistance« des Kunstzentrums »Darb 1718« wird ihm gleich ein ganzer Raum gewidmet. In ähnlicher Dichte kann man seine Stencils auch auf Mauern hinter dem Gelände des Ahly-Fußball-Clubs sehen. Darum weiche ich von meiner Route ab und mache von der Kasr-el-Nil-Brücke einen kleinen Schlenker nach Westen. Zu den schönsten seiner Stencils hinter dem Ahly-Club gehört für mich die Herzfaust, die im Rest der Stadt kaum zu finden ist.

 

Gleich über einem seiner Werke (»Respect existence or exspect resistance«) befindet sich ein Schriftzug mit den beiden Anarchie-»A«’s sind von einem »V« unterbrochen. Es ist die arabische Ziffer sieben, die in der Internet-Umschrift des Arabischen für das »h« steht. Das arabische Wort »aha« ist ein Tabu-Ausdruck der Verachtung und der starken Ablehnung. Andererseits verweist das »V«  aber auch auf den Film »V wie Vendetta«, auf dessen Held »V«, vor allem aber auf die von ihm getragene und von David Lloyd kreierte Guy-Fawkes-Maske, die zum weltweiten Symbol des Widerstands geworden ist.

 

Spaziert man weiter nach Norden und hinüber an das Westufer von Zamalek, so findet man vor dem Eingang des Kulturzentrums »El-Sawy Cultural Wheel« die ägyptische Street-Art-Version der Maske: Eine Tutanchamun-Totenmaske mit den Gesichtszügen von »V«.

 

»Sie verbrennen unsere Zukunft«

 

Ich muss mir eingestehen, dass die grüne Route zu Fuß nicht ohne Strapazen zu bewältigen ist und steige in ein Taxi. Dieses fährt mich das Westufer von Zamalek bis zur 6. Oktober-Brücke hinunter. Dort befindet sich »Ganzeers« monumentales Stencil »Tank vs. Bread-Biker«, das er während einer »Mad-Graffiti-Week« im Mai 2011 mit Hilfe von Passanten und Freunden anbrachte. Kurz nach der Vollendung fügte »Sad Panda« sein traurig dreinschauendes Markenzeichen hinzu – fertig war das wohl berühmteste Street-Art-Stück Ägyptens.

 

Jüngst wurde es nochmals erweitert. Zivilisten werden nun vom Panzer überrollt; andere versuchen diesen zu stoppen; der Panzer steht in Blut. Dies ist eine direkte Bezugnahme auf die Maspero-Demonstration, bei der am 9. Oktober 2011 mehrere Menschen von »Armoured Personnel Carriers« (APCs) überfahren wurden. Kurz vor der Fertigstellung dieses Artikels wurden große Teile des Kunstwerks überstrichen – auch der Pandabär mit dem dicken Bauch. Wer steckt eigentlich hinter diesem immer traurigen Zeitgenossen, dem »Sad Panda«?

 

Ich treffe ihn und seinen Künstlerkollegen »Dokhan« in einem Café. »Sad Panda« ist ein netter Kerl, der seinem Panda tatsächlich ein wenig ähnelt. Natürlich will ich wissen, ob er wirklich so traurig ist, wie er vorgibt. Er antwortet, dass er das Sein als einen schier unerträglichen Zustand empfindet: »Dieses Universum ist verdammt traurig.« Darum sei ihm alles gleichgültig. Er sei nun mal eben auf dieser Welt gelandet. Punkt. Alles andere sei bedeutungslos. Er mache, was auch immer er gerade mache. Es sei eben Revolution; deshalb arbeite er politisch.

 

Beispiel dafür ist ein Stencil aus seiner Hand, das einen Soldaten zeigt, der ein Baby ins Feuer legt. »Sie sagen, die Jugend sei die Zukunft. Ich sage: Sie verbrennen unsere Zukunft.« Das Stencil hat nur wenige Stunden überlebt. »Sad Panda« ist es egal, wie auf seine Arbeit reagiert wird. Sie habe kein Ziel und keinen Adressat. Schließlich hätte sich vor der Revolution auch niemand um ihn oder sein Schaffen gekümmert: »Ich war vor der Revolution nur ein Verlierer, jetzt bin ich ein großer Verlierer.«

 

All das macht mich skeptisch genug zu hinterfragen, ob die ganze »Sad-Panda«-Story nicht einfach eine nette Vermarktungsstrategie ist und er gar nicht der Nihilist, der er vorgibt zu sein. Doch er versichert mir, dass er den Spitznamen schon ewig trage. Wir beginnen über die Absurdität des Seins zu reden. Für »Sad Panda« gibt es mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Zustand, der schlimmer sein könnte als der irdische. Auf meine Frage, ob Selbstmord dann eine Option für ihn sei, antwortet er: »Es gibt immer noch Menschen auf der Erde, die hoffen glücklich werden zu können. Denen möchte ich mit meiner Arbeit helfen.« Ich bin erleichtert, dass wir doch noch ein Antriebsmotiv für seine Arbeit gefunden haben, obwohl er nichts vom Lebenssinn hören will: »Menschen und Philosophen haben tausende Jahre nach dem Sinn gesucht. Warum sollte wir ihn heute finden.« Masche oder Überzeugung? – vor allem ein trauriger Panda.

 

»Ich bin sehr glücklich, dafür mit meinem Namen einzustehen«

 

»Dokhan« nervt der Rummel um die Street-Art im revolutionären Ägypten. Er lenke die Künstler von der Kunst ab. Doch auch Dokhan identifiziert sich stark mit den Zielen der Revolution und hält die Stencil-Vorlagenbücher für Amateure, die derzeit online kursieren, der Sache dienlich. Er scheint in einem Dilemma zu stecken, aus dem er gerade nicht rauskommt. Ihn stört aber noch mehr. Vehement kritisiert er jene Künstler, die Motive anderer kaum variieren, um dann ihre Unterschrift darunter zu setzen. Er meint »Keizer«.

 

Ein paar Tage später treffe ich ihn. »Keizer« beschreibt im ägyptischen Arabisch einen speziellen Typ Brot. Seine Kunst soll für alle zugänglich sein, so wie das tägliche Brot. Er versteht seine künstlerische Kritik am Establishment und an allen unterdrückenden Strukturen als universal und zeitlos. Er hasst den Kapitalismus und die Konsumgesellschaft. »Keizer« setzt sein Synonym tatsächlich unter alle seine Werke. Damit will er ein Zeichen für die Rückeroberung des öffentlichen Raumes setzen. »Ich bin überzeugt davon, dass ich nichts Falsches tue, wenn ich arbeite. Produktwerbung ist einfach zu aggressiv und aufdringlich geworden. Große Konzerne monopolisieren den öffentlichen Raum mit Hilfe von Tonnen von Geld. Niemand fragt uns, ob wir das gut finden. Street-Art arbeitet dagegen. Ich bin sehr glücklich, dafür mit meinem Namen einzustehen.«

 

Das ist für »Keizer« wichtiger als die Frage, ob ein Stencil eine Replik ist oder nicht. Auf den Vorwurf, dass sein Tränengasdemonstrant-Stencil von Baxter Orr abgekupfert sei, erwidert er: »Wenn ein Motiv zu einem bestimmten Zeitpunkt einer wichtigen Sache dient, dann ist es egal, woher es kommt. Wenn Menschen Tränengas ausgesetzt sind und dieses Stencil sehen, dann gibt es ihnen Kraft.«

 

Obwohl »Keizer« seine Arbeit, wie viele Künstler, erst mit dem Ausbruch der Revolution begann und politische Bildung ein wichtiger Fokus seines Schaffens ist, deckt er ein breites Themenspektrum ab. Es geht ihm auch darum, positive Energie zu vermitteln. Der Kampf gegen Angst ist ein durchgängiges Motiv seiner Kunst. Doch direkte Nachrichten vermeidet er grundsätzlich: »Ich lasse den Menschen Raum zum Nachdenken und für eigene Interpretationen. Meine Person ist unwichtig, ich bin nur ein Katalysator. Bedeutung erlangt meiner Arbeit erst durch die Interpretation des Betrachters. Auch deshalb bleibe ich anonym.«

 

Was passiert, wenn Kunst zum revolutionären Instrument wird? Ich finde: Sie beginnt zu blühen und setzt Kreativität und Enthusiasmus frei. Sie regt an, kritisiert und provoziert. Sie entwickelt sich rasend schnell. Der ägyptischen Street-Art fehlt es weder am künstlerischen Element noch an Originalität. In diesen entscheidenden Monaten ist die Straße wichtiger Austragungsort des Kampfes um die Zukunft des Landes. Street-Art ist Teil davon. Die meisten ägyptischen Street-Art-Künstler werden derzeit in die Rolle des »Artivisten«, so der Ausdruck, den »Keizer« verwendet, gedrängt. Und sie nutzen alle (künstlerischen) Ressourcen, um nicht die Deutungshoheit über die Revolution zu verlieren.

Von: 
Christoph Sanders

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