Lesezeit: 6 Minuten
Scholl-Latours-Erben: Sarah Mersch

»Ben Ali war weg und ich blieb«

Portrait
Scholl-Latours-Erben: Sarah Mersch

Jede Woche fragen wir einen Nahost-Korrespondenten: Wie halten Sie es mit Scholl-Latour, dem großen Erklärer der arabischen Welt? Diese Woche antwortet die freie Journalistin Sarah Mersch.

Ein halbes Jahrhundert lang berichtete der Fernsehjournalist Peter Scholl-Latour von Krisenherden in Afrika und Asien, erzählte vom islamischen Wesen und ärgerte damit Wissenschaftler. Im Sommer 2014 verstarb der Bestsellerautor mit 90 Jahren. Wer erklärt den Deutschen nun den Orient? zenith nimmt Kandidaten unter die Lupe. Diese Woche antwortet die freie Journalistin Sarah Mersch.


 

  • Geboren: 11.10.1981 in Freiburg
  • Wohnort: Tunis (und ein bisschen Berlin)
  • Ausbildung: Filmwissenschaft, Buchwissenschaft und Philosophie (Universität Mainz, MA), Arabisch (Tunis, Damaskus), Volontariat bei der DW
  • Karriere: Ganz klassisch während des Studiums als Freie bei der Lokalzeitung angefangen, volontiert, und dann wieder frei v.a. für Print und Hörfunk gearbeitet, seit 2010/11 in Tunis

 


 

Wie kamen Sie dazu, Nahost-Journalist zu werden?

Ich hatte schon als ich noch in Deutschland arbeitete regelmäßig aus der und über die Region berichtet. 2010 bin ich dann für ein Jahr für einen nicht-journalistischen Job nach Tunis gegangen. Der Vertrag lief Ende des Jahres aus und ich wollte in den Journalismus zurück. Zwei Wochen später war Ben Ali weg und ich blieb.

 

Welche nahöstlichen Sprachen beherrschen Sie?
Ziemlich gut spreche ich tunesischen Dialekt, die anderen Dialekte verstehe ich mal mehr, mal weniger gut. Meine Hocharabischkenntnisse sind leider inzwischen etwas verkümmert, aber es reicht, um Nachrichten und Pressekonferenzen zu folgen.

 

Der Orient riecht nach ...
Abgasen und altem Frittierfett, Minze, Koriander, Staub und Straßenkatzen, Orangenblüten und Yasmin.

 

Apropos: Wo liegt er eigentlich, dieser Orient?
Wenn Sie Tunesier fragen: Hier sicher nicht.

 

Drei No-Gos für westliche Reporter im Nahen Osten?
Denken, man habe irgendeine Situation wirklich und endgültig durchschaut; die großen Städte nicht verlassen; europäische Rechts-Links-Schemata auf die Parteienlandschaft anwenden und säkulare Parteien automatisch für demokratisch halten.

 

Ihr größter journalistischer Fauxpas?
Ich wurde hier zum Glück von einer Kollegin knapp vor einer peinlichen Situation bewahrt. Bei einem Festival wartete ich zusammen mit unzähligen anderen Kollegen auf ein Kurzinterview mit einer Sängerin. Das ganze verlief eher schleppend, der Kollege, der vor mir an der Reihe war, ließ sich gefühlt ewig Zeit und ich wurde ungeduldig, weil ich eigentlich nur zwei Töne brauchte und die Deadline immer näher rückte. Als er endlich fertig war und besagte Kollegin und ich an der Reihe gewesen wären, drängte sich auf einmal ein Mann vorbei und ging zügigen Schrittes auf unsere Interviewpartnerin zu, um sie zu begrüßen. Ich setzte gerade zu einem deutlichen »Entschuldigung, bitte hinten anstellen!« an, als mich meine Kollegin zurückhielt. Der Herr war der frisch ernannte Kulturminister, den ich nicht erkannt hatte.

 

Am meisten über den Orient gelernt habe ich ...
… nicht an einem Ort, sondern eher durch die Summe an unterschiedlichen Erfahrungen, Begegnungen und Sichtweisen quer durch die Region.

 

Ein Roman über die Region, den jeder gelesen haben sollte.
»Cristal« von Gilbert Naccache.

 

Peter Scholl-Latour war für mich ...
… jemand, über den ich mich oft geärgert habe und der immer mal wieder von besorgten Leserbrief- und Emailschreibern an mich herangetragen wird, meistens im Stil von »Das sind doch alles Kameltreiber. Lesen Sie mal Scholl-Latour!!!«

 

Die Geschichte, die sie schon immer machen wollten, zu der Sie aber nie kamen.
Von Andalusien über Marokko, die Westsahara, nach Mauretanien und Mali reisen, dann weiter via Niger und Tschad, über Libyen und den Süden Algeriens wieder hoch bis nach Tunesien.

Von: 
zenith-Redaktion

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.