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Museen am Golf und in Berlin

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Reportage
Museen am Golf und in Berlin
Damaszener Holztürfassade im Museum für Islamische Kunst in Doha Foto: Florian Guckelsberger

Kolonialdebatte, Raubkunst, zweifelhafte Artefakte: Während in Europa über ein neues Selbstverständnis von Museen diskutiert wird, bauen die Golfstaaten gewaltige Sammlungen auf. Oft nach alter und umstrittener Methode.

Über die Wandfläche aus Kalkstein zieht sich ein Zickzackband und hinterlässt darauf unzählige Dreiecke, die abwechselnd nach oben und unten weisen. In ihren Flächen erheben sich in den Stein gemeißelte Pflanzen, sie ranken sich um geflügelte Fantasiewesen, Vögel und Traubenzöpfe. Aufgesetzt wie Perlen auf einer Krone erheben sich in der Mitte Rosetten und folgen den Dreiecksspitzen in ihrem Auf und Ab – auf 33 Metern erstreckt sich ein Teil der Mschatta-Fassade aus dem heutigen Jordanien im Museum für Islamische Kunst in Berlin.

 

1903 erreichte dieser Teil des umayyadischen Wüstenschlosses als Geschenk des osmanischen Sultans Abdülhamid II. an den deutschen Kaiser Wilhelm II. die Museumsinsel. 459 Steine, eingepackt in 422 Kisten. Eine Steinmasse, die den Anfang des Museums für Islamische Kunst in Berlin begründet und eine Leere am Herkunftsort hinterlässt.

 

Darüber ist sich auch Stefan Weber bewusst, der seit 2009 das Museum leitet: »Bei der Mschatta-Fassade besteht keine Zweifel, sie fehlt vor Ort. Die Frage ist aber, wie gehen wir heute damit um?« Die Klärung der Provenienz, der Herkunft aller Artefakte, sei daher ein wichtiger Teil des Aufgabenbereichs des Museums in Berlin. Freilich, Kolonien hatte Deutschland im Nahen und Mittleren Osten keine – anders als beispielsweise Frankreich und Großbritannien. Der Islamwissenschaftler spricht jedoch von sozialer Ungleichheit und einem Machtgefälle, das es heute noch gäbe. »Wichtig ist, das auch offen anzusprechen«, meint der 51-Jährige.

 

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Die ägyptische Künstlerin Heba Amin formuliert das etwas deutlicher. In ihrem Atelier in Berlin-Kreuzberg sagt sie gegenüber zenith: »Deutschlands archäologische Geschichte ist verankert in problematischen kolonialen Strukturen.« Mit ihrer künstlerischen Tätigkeit versucht sie, das Bewusstsein dafür zu schärfen und die Debatte um Kolonialkunst anzukurbeln. Sie stellt die Frage nach den Umständen von Verträgen oder Schenkungen wie die der Mschatta-Fassade und ist damit vermutlich gar nicht so weit weg von dem Machtgefälle, über das Weber spricht.

 

Die meisten Objekte, die heute im Museum für Islamische Kunst zu sehen sind, gelangten über eine vertraglich geregelte Fundteilung bei Grabungen im heutigen Iran, Irak oder Syrien nach Berlin. Der Großteil davon bereits im 19. und frühen 20. Jahrhundert – manches erst später. Artefakte aus dem sassanidischen Gebäudekomplex Takht-e Suleiman in Iran beispielsweise fanden erst in den 1970er-Jahren ihren Weg in das Museum nach Deutschland. »Die Iraner waren damals sehr großzügig«, gibt Weber zu verstehen. Und auch aus dem syrischen Raqqa hätte man noch in den 1980er-Jahren Objekte auf offiziellem Wege erhalten. Man hätte sehr gute Kontakte mit den Ländern gepflegt.

 

Das Haus in Berlin steht dabei exemplarisch für die Museumslandschaft in Europa: Ihre Sammlungsbestände haben sie längst aufgebaut. Nicht so bei den, für europäische Verhältnisse, jungen Museen in den Golfstaaten. Museen wie jenes für Islamische Kunst in der katarischen Hauptstadt Doha stehen noch vor der Herausforderung, ihre Ausstellungsräume und Vitrinen zu füllen.

 

Am Telefon erklärt Museumsdirektorin Julia Gonnella, dass man für die bis April 2019 laufende Ausstellung »Syria Matters« daher größtenteils auf Leihgaben aus Frankreich, Großbritannien, Deutschland, aber auch Russland und der Türkei zurückgegriffen habe. Auf die Frage nach der Herkunft neu erworbener Objekte antwortet die deutsche Islamwissenschaftlerin nur knapp: »Sie werden auf dem internationalen Kunstmarkt eingekauft.«

 

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Dass die Museumsleiterin in diesem Punkt reserviert reagiert, hat einen guten Grund. Nach Meinung von Kollegen wie etwa Michael Müller-Karpe ist ein legaler Eigentumserwerb von archäologischen Artefakten schwer bis praktisch unmöglich. »Was heute im Kunsthandel angeboten wird, kann in aller Regel nur aus illegaler Quelle, illegalen Grabungen und kulturzerstörenden Straftaten stammen«, so der Archäologe vom Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie am Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz. Denn schon zur Zeit des Osmanischen Reiches wurden um 1870 Gesetze erlassen, die Grabungen und Export unter Verbot stellten und eine Meldepflicht für Zufallsfunde vorschrieben – und das gelte noch heute für alle Nachfolgestaaten wie Irak, Syrien und Ägypten.

 

Das Geschäft mit geraubtem Kulturgut erlebt trotzdem eine Blüte: Im Tausch gegen Waffen beispielsweise gelangen Antiken aus Syrien in die Türkei oder in den Libanon. Von dort würden sie über das Mittelmeer in das Zollfreilager nach Genf und dann in Auktionshäuser nach München, London oder New York verschifft. Aus Iran oder Irak führe der Weg der antiken Schmuggelware meist direkt in die Golfstaaten, so Müller-Karpe.

 

Das weiß auch Stefan Weber. Das Museum für Islamische Kunst in Berlin würde Objekte daher nur noch einkaufen, wenn ihre Herkunft eindeutig dokumentiert ist. Angaben wie »aus altem englischem Besitz« oder »aus niederbayerischem Privatbesitz« reichen zur Herkunftsklärung nicht aus. »Solche Bezeichnungen sind im Grunde ein Offenbarungseid«, findet Müller-Karpe. Denn das bedeute, dass die amtlichen Dokumente des Landes der Fundstelle nicht existieren – kein Wunder, schließlich werden diese Unterlagen in aller Regel weder an Privatpersonen noch für den Handel ausgestellt.

 

Weil die Frage nach dem Besitz heute stark an moderne Nationalstaaten geknüpft ist, wird auch der Rückgriff auf das Konzept der alten Kulturräume, wie der der Mamluken, zum sicheren Hafen für Artefakte mit fragwürdiger Herkunft – egal ob aus kolonialem Kontext oder jüngsten Raubgrabungen. Entweder wird der ehemalige Kulturraum als Herkunftsort angegeben und damit eine eindeutige Zuordnung zu einem Staat unmöglich gemacht, oder es werden zwei Nationalstaaten, wie Ägypten und Syrien, als Herkunftsort genannt.

 

Damit gebe man jedoch abermals zu erkennen, dass die erforderlichen Dokumente des Herkunftslandes nicht vorliegen – sonst würde man ja genau wissen, aus welchen der beiden Länder das Objekt stammt, so Müller-Karpe. Eine zweideutige Aussage dieser Art ist aber noch aus einem ganz anderen Grund raffiniert: »Bei diesem Entweder-Oder gibt man zu verstehen, dass in Zukunft weder Ägypten noch Syrien die Rückgabe fordern können.« Eine Verschleierungstechnik also, von der heute insbesondere der illegale Antikenhandel profitiert.

 

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Ungeachtet dieser Hindernisse für die Rückführung von Artefakten mit bedenklicher Herkunft ist ohnehin dahingestellt, wie absolut die Forderungen nach Restitution gesehen werden sollten. Stefan Weber sieht in der teils emotionalen Debatte über Kolonialkunst und die Rückführung kolonialer Artefakte sogar einen Rückschritt: »Ich finde es schon wieder fast postkolonial zu sagen, wir müssen jetzt wieder alles dorthin zurückbringen, wo es herkommt.«

 

Eindeutigkeit gäbe es schlichtweg nicht, sondern vielmehr unterschiedliche Kontexte, die auch unterschiedlich diskutiert werden müssten. Mit Ausnahme der Türkei gebe es ohnehin keine Anfragen aus Staaten, die bestimmte Artefakte zurückfordern. Eine Dringlichkeit für Restitutionen sieht er in seinem Museum also nicht gegeben, im Gegenteil: »Oft ist es eher so, dass die jeweiligen Länder auf uns zukommen, weil sie möchten, dass wir sie noch besser im Museum präsentieren und auf der kulturellen Landkarte vermerken«, sagt Weber. Das Museum wird so also auch zum Schaukasten der Herkunftsländer.

 

Angesichts globaler Zusammenhänge gäbe es weitaus wichtigere Aufgaben, die angegangen werden wollen, meint Weber. Er plädiert dafür, Fragen, die die Vergangenheit betreffen, im Lichte aktueller Herausforderungen zu beantworten. »Durch die Ankunft vieler Flüchtlinge aus dem Nahen Osten müssen wir uns fragen, wie wir diese neu entstandene Diversität der Gesellschaft nun auch in das Museum tragen können.«

 

Es geht also darum, auch denjenigen Menschen einen Platz im Museum zu bieten, die mit den Artefakten die Herkunft teilen. Das Museum als Spiegel einer diverser werdenden Gesellschaft. Auch in Doha versucht man, auf die standortspezifischen Bedürfnisse einzugehen. Für die Ausstellung »Syria Matters« war es Julia Gonnella daneben aber besonders wichtig, die Menschen der gesamten Region anzusprechen.

 

»Mit dem Museum möchte man – sowohl der einheimischen Bevölkerung als auch den ausländischen Gästen – die reiche Geschichte der islamischen Welt zeigen und gleichzeitig signalisieren, dass man Teil dieser großartigen, geschichtsträchtigen Welt ist«, beschreibt Gonnella den Auftrag ihres Hauses. Während der Bildungsaspekt an erster Stelle stehe, gehe es auch darum, sich zu modernisieren und ein größeres Kulturangebot auf die arabische Halbinsel zu bringen. Das dient der Darstellung nach außen. Natürlich würden internationale Gäste beim Staatsbesuch in Doha auch durch das Museum geführt, merkt Stefan Weber an.

 

Katar steht mit diesem Ansatz nicht allein da – auch der Louvre in Abu Dhabi oder das Museum für Islamische Zivilisation in Scharjah möchten als wichtige Kulturstätten wahrgenommen werden. Ein Museum wäre immer auch Prestigeobjekt, ganz egal wo und wann, gibt Julia Gonnella zu verstehen. »Im 19. Jahrhundert beispielsweise, zur Gründungszeit deutscher Museen, wollte Preußen zeigen, was es hatte.« Von einem Städtewettbewerb auf der arabischen Halbinsel möchte die Direktorin allerdings nichts wissen.

 

Zwar hätte sich die Situation im Zuge der Katar-Blockade verschärft, aber im Grunde genommen pflegten die Museen am Golf beinahe »freundschaftliche Beziehungen« zueinander. Taugt das Museum für Islamische Kunst in Katar also als Schmelztiegel der islamischen Kultur in der gesamten Region? Zumindest hat die katarische Gesellschaft das Recht, sich mit ihrer eigenen Religion zu identifizieren und ihr kulturelles Erbe als Zugehörigkeitsmerkmal für sich zu reklamieren.

 

Damit einher geht aber oft die Konstruktion eines nationales Geschichtsnarrativs. »Alles, was im Museum für Islamische Kunst in Katar zu sehen ist, kommt ja eigentlich aus dem Fruchtbaren Halbmond«, sagt der Direktor über das MIA und scheint dabei außer Acht zu lassen, dass der Fruchtbare Halbmond auch auf der Museumsinsel Wurzeln schlägt.

 

Solche Konstruktionen sind es, die Heba Amin kritisiert. »Letztendlich müssen wir Museen als Kulturinstitutionen und damit ihre Agenda in Frage stellen«. Ausstellungen erzählten immer auch eine bestimmte Geschichte. Und was erzählt werde und was nicht, liege in der Entscheidungsmacht des Museums, so die Künstlerin. So werde der Besitz von Kulturgütern beispielsweise als wohlwollendes Vorgehen dargestellt. »Nach dem Motto: Seht her, wir bewahren Kulturerbe vor der Zerstörung«, meint Amin. Sie ist sich sicher: Museen verfolgen immer eine bestimmte Agenda und die gehe darüber hinaus, Kulturgüter lediglich zu bewahren und zugänglich zu machen.

 

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Wie absurd so ein Narrativ des Bewahrens mitunter ausfallen kann, zeigt sich vor allem im Geschäft mit geschmuggelten Artefakten. Müller-Karpe kennt diese Rhetorik, die den Beteiligten jedoch nur zum Schutz diene: »Was man da bewahrt, sind ja Kinder, die bereits in den Brunnen gefallen sind. Denen ist schon die Zunge herausgeschnitten worden«, sagt der Archäologe über geraubte Objekte. Letzten Endes wisse man nichts über sie: Weder, woher sie genau kommen, noch, wem sie gehört haben. Alles Informationen, die der Boden an der Fundstelle enthält – im Geschäft mit geraubten Antiken wird dieser Fundkontext aber als wertlos erachtet und daher nicht erforscht, sondern vielmehr zerstört. »Interesse besteht nur am einzelnen Objekt«, so Müller-Karpe.

 

In Museen begegnet man diesem Narrativ besonders vor dem Hintergrund der Lage in Syrien und Irak. Das zeigt beispielsweise eine Ausstellung zu den Kulturlandschaften Syriens im Museum für Islamische Kunst in Berlin. Unter der Überschrift »Bewahren und Archivieren in Zeiten des Krieges« gibt man den Besuchern bis Mai 2019 Einblick in die Praxis des Kulturerhalts. Auch in der Ausstellung »Syria Matters« in Doha macht man sich das Bewahren von Kulturerbe zur Aufgabe. Mithilfe von virtuellen Rekonstruktionen bekommen Besucher die Gelegenheit, ganze Gebäudekomplexe, wie die Umayyaden-Moschee in Damaskus oder die Zitadelle in Aleppo, zu betrachten – das französische Start-up ICONEM macht es mit 3D-Scans möglich.

 

Nur spreche niemand darüber, wer in Zukunft Anspruch auf dieses gerettete Erbe hat, meint Heba Amin. Während die Vergangenheit noch Klärung hinsichtlich Besitzverhältnisse und der Rechtmäßigkeit von kultureller Aneignung einfordert, wirft die moderne Technik schon neue Fragen auf. Zwar scheint dieser Erhalt, über Zeit und Raum hinaus, zunächst richtig und wichtig. Wer aber in Zukunft über kulturelles Erbe verfügt, bleibt ungewiss – denn für den einzelnen Menschen rücken solche Datenwolken wie die des französischen Start-ups in unerreichbare Ferne. »Die Filme gehören ICONEM. Museen können für ihre Ausstellungen die Produktion bei der Firma beauftragen«, erklärt Julia Gonnella.

Von: 
Franziska Prokopetz

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