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Die Moderevolutionen des Nahen Ostens

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Portrait
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Foto: Habib Yazdi: »Mipsterz«, 2013

In den vergangenen zehn Jahren prägten muslimische Designer und Blogger mit ihrem Stil Begriffe wie »Islamic Chic«, »Mipster« oder »Muslim Cool« und beeinflussten damit nicht zuletzt die globale Modeszene

Der schwedische Moderiese H&M warb 2016 zum ersten Mal mit einem Kopftuch tragenden Model, Dolce & Gabbana und andere High-End-Fashion Label entwerfen Ramadan-Kollektionen, und Nike brachte 2017 sein »Pro Hijab« für muslimische Athletinnen auf den Markt.

 

Thomson Reuters schätzt, dass muslimische Konsumenten in diesem Jahr 484 Milliarden Euro für Kleidung ausgeben werden – Zeit für eine Rückschau auf die heißesten Trends im Bereich »Modest Fashion«.

 

Dian Pelangi aus Indonesien gehört zu den Hijabi- Fashion-Bloggerinnen der ersten Stunde. Bereits 2009 produzierte sie ihre erste eigene Modelinie und gehört heute zu den einflussreichsten Designerinnen und Vorbildern in der »Modest Fashion«-Branche: Über vier Millionen Menschen folgen ihr auf Instagram. Pelangi studierte Modedesign in Paris und London und setzt sich seit Jahren für mehr Diversität in der Modebranche ein.

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Foto: Dian Pelangi

 

Haremshosen und Gladiatorensandalen bestimmten den Hijabi-Sommertrend in Kairo 2009. Der Blog Hijabs High veröffentlichte 2009 erstmals Momentaufnahmen von modebewussten muslimischen Frauen rund um die Welt.

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Foto: www.hijabshigh.com

 

2013 prägten insbesondere junge amerikanische Musliminnen das Bild der »Mipsterz«: selbstbewusste und modebegeisterte junge Frauen, die ihre Lust auf Mode und ihren Glauben offen zum Ausdruck bringen wollten und dabei auch den Konflikt mit ihren konservativen Gemeinden nicht scheuten. Die Bilder verbreiteten sich schnell über das Internet und inspirierten viele junge Frauen in der arabischen Welt, ihren eigenen glaubenskonformen Stil mit aktuellen Modetrends zu kombinieren.

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Foto: Habib Yazdi: »Mipsterz«, 2013

 

2010 eroberte die saudische Designerin Reem Al-Kanhal die Herzen der Modefans in der Region mit ihrer ersten Kollektion, die mit ihren Schnitten und Stoffen an die traditionellen Gewänder der Beduinen erinnerte. Seitdem hat Kanhal regionale Trends beeinflusst und gewann 2015 den Preis als beste Designerin beim »KSA Arab Woman Award«.

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Foto: Reem Al-Kanhal

 

»Our bodies, our business« heißt die Kollektion der deutschen Designerin Naomi-Afia Güneş-Schneider. In Deutschland geboren und aufgewachsen, möchte die junge Muslimin mit ihren Designs nicht nur die Nachfrage nach »Modest Fashion« in Deutschland bedienen, sondern alle Frauen – und Männer – ansprechen. Deswegen setzt sie auf lässige Unisexschnitte und arbeitet mit Models jeglicher Körperform zusammen.

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Foto: Naomi Aifa, DarSalma Photography – Stephanie Abidi

 

Spiritualität und High Fashion vereinen, das war 2009 in Indonesien unmöglich für Windri Wiediesta Dhari, die bis dahin kein Kopftuch getragen hatte. Um der Monotonie auf dem islamischen Modemarkt in ihrer Heimat entgegenzutreten, gründete die junge Frau das Label NurZahra. Ihre Designs greifen für Indonesien typische Muster und Stoffe auf, vermitteln aber ein Gefühl von Haute Couture. Alle Kleidungsstücke werden lokal von Frauen gefertigt, die das traditionelle Schneiderhandwerk beherrschen.

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Foto: Windri Widiesta Dhari: »Für Nurzahra«, 2014

 

Hart umkämpft: Bis vor wenigen Jahren galten Kopftücher in vielen Sportarten als Verletzungsrisiko. Muslimische Sportlerinnen wurden von internationalen Verbänden wie dem Weltfußballverband FIFA vor die Wahl gestellt: Entweder sie legen ihr Kopftuch ab, oder sie könnten nicht an Wettbewerben teilnehmen. Muslimische Sportlerinnen erarbeiteten verschiedene Prototypen für Sporthidschabs, die keine Gefährdung oder Einschränkung für Athletinnen darstellen und führten globale Kampagnen für die Aufhebung des Verbots – mit Erfolg: Das Kopftuchverbot der FIFA fiel 2014 nach internationalen Protesten.

 

Drei Jahre später, im Dezember 2017, brachte der Sportartikelhersteller Nike seinen »Pro Hijab« auf den Markt. Laut Lynx Index, der vierteljährlich das Onlinekaufverhalten von über fünf Millionen Konsumenten analysiert, landete das Kleidungsstück im ersten Quartal 2019 in den Top Ten der beliebtesten Modeartikel der Welt. Was vielen Frauen die Chance eröffnet, einem Sport nachzugehen, stößt jedoch auf Widerstände: Im Februar 2019 musste Sportartikelhersteller Decathlon seinen Sporthidschab in Frankreich nach heftigen Protesten gegen das Kleidungsstück aus dem Verkauf ziehen.

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Foto: Zeina Nassar für Nike Pro Hijab, 2017

 

Kleidung sieht nicht nur gut aus, sondern dient auch als Instrument für den Ausdruck politischer Gesinnung oder des Widerstandes. Insbesondere in Iran wächst die Bewegung junger Frauen, die sich nicht länger durch die strenge Sittenpolitik des Staats gängeln lassen wollen und ihren Widerstand gegen das System durch ihr Bekenntnis zu individuellen, auffälligen Modestilen ausdrücken. Das verpflichtende Kopftuch wird dabei meist nur noch spielerisch als Accessoire eingesetzt und lässt den größten Teil der Haare unbedeckt.

 

Soziale Medien bieten den jungen Frauen die optimale Plattform, um ihre Botschaft zu teilen und Mitstreiterinnen zu gewinnen. Und das Regime fühlt sich bedroht durch den modischen Widerstand: Im Juni 2019 führte Iran eine neue Einheit der Sittenpolizei ein. Die 2.000 Mitglieder starke Pilotgruppe gegen »Bad-Hijabis« im Norden des Landes kann demnach Frauen, die gegen die Bekleidungsvorschriften verstoßen, festhalten und verhaften.

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Foto: Samira Hashemi Tarighi

 

Als Politikum betrachtet der irakisch-stämmige Fotograf Wesaam Al-Badry das Niqab-Verbot in mehreren europäischen Ländern. Für seine Fotoserie »Al Kouture« ließ er teure Designertücher zu Niqabs umnähen und wirft die Frage auf, ob die Akzeptanz für den Gesichtsschleier höher wäre, wenn es sich dabei um ein Luxusgut aus teurem Hause handeln würde.

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Foto: Wesaam Al-Badry, »Valentino X«, 2018

 

Instaboys: Auch der junge arabische Mann von Welt traut sich 2019 an unkonventionelle Outfits und setzt über Social-Media-Kanäle neue Trends. Auf der Liste der wichtigsten Trendsetter der Region von Ägypten bis Kuwait stehen beispielsweise der Syrer Daniel Essa, der mittlerweile ein eigenes Sneaker-Label in Frankreich gegründet hat, der jordanisch türkische Medizinstudent Yusuf Dwairi und der Ägypter Mostafa Waheed, der besonders durch seine Vintage-Looks und poppigen Farbkombinationen heraussticht.

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www.instagram.com/d.a.n.i.e.l.e.s.s.a

Laura Ginzel war von 2012 bis 2016 Mitglied der Redaktion und Projektmanagerin bei der Candid Foundation, heute setzt sie weltweit Projekte mit benachteiligten Kindern und Jugendlichen in den Bereichen Female Empowerment, Peace Building und soziale Gerechtigkeit für die NGO Streetfootballworld um.

Von: 
Laura Ginzel

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