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Der Arabist über das Aussehen des Propheten

Er glänzte stärker als sein Schwert

Essay
von Wim Raven
Der Arabist über das Aussehen des Propheten
Ganz in weiß: Darstellung des Propheten Muhammad am Berg Hira in der osmanischen Miniaturensammlung »Siyer-i Nebi« (ca. 1595) Museum des Topkapı-Palast, Istanbul.

Wie ihr Prophet ausgesehen haben mag, war ein Thema, das die frühen Muslime sehr beschäftigte. In vielen Beschreibungen erscheint Muhammad als beinahe übernatürliche Person. Aber die Idealisierung hat Grenzen.

Wie der Prophet Muhammad aussah, weiß niemand; es gibt ja keine frühen Abbildungen von ihm. Dafür gibt es zahlreiche Beschreibungen seines Aussehens. Aber die ältesten solchen Texte sind etwa ein Dreivierteljahrhundert nach seinem Tod entstanden, und die meisten noch deutlich später. Die Anzahl der Texte zu diesem Thema ist groß; deshalb werde ich hier hauptsächlich die Hadithe in den »Tabaqat« von Ibn Sa‘d (784–845) und die im »Sahih« des Muslim (gestorben 875) auswerten.

 

Mir geht es nicht darum, die endgültige Beschreibung des Propheten zu erstellen oder die »korrekte« Überlieferung ausfindig zu machen. Ich versuche nur zu verstehen, was die Verfasser dazu gebracht hat, ihn so zu beschreiben, wie sie es tun. Im Großen und Ganzen sehe ich bei ihnen vier Absichten. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Absicht unklar bleibt.

 

Schöner, stärker, schneller: Idealisierung und Lob

 

Weil Muhammad für seine Anhänger der wichtigste Mensch überhaupt war, der bewundert, ja verehrt wurde, liegt es nahe, dass man ihn als sehr gutaussehend, gar schön beschrieb.

 

Sein Aussehen war demnach einzigartig; verschiedene Gefährten bezeugen angeblich, dass sie weder vor ihm noch nach ihm jemanden wie ihn gesehen haben. Er war eine stattliche, ehrwürdige Erscheinung. Die ihm zugeschriebenen körperlichen Eigenschaften liegen zum Teil im übernatürlichen Bereich. Der Prophet soll strahlend, leuchtend ausgesehen haben. Er wird zum Beispiel abyad genannt, »weiß«.

 

Damit kann die Hautfarbe, aber auch das strahlende Weiß einer ganz besonderen Erscheinung gemeint sein. In späteren Abbildungen des Propheten wird sein Gesicht oft hinter einem weißen Schleier verborgen oder wie eine Flamme dargestellt. Man muss das »weiß« nicht unbedingt wörtlich nehmen; das Adjektiv kann auch für »nobel, fehlerlos, untadelig« stehen.

 

In den Hadith-Überlieferungen liest man Beschreibungen wie diese: »Er war noch glänzender als ein Schwert, vielmehr wie die Sonne oder der Mond; sein Gesicht glänzte wie der Mond in einer Vollmondnacht. Er hatte eine weiße Blesse auf der Stirn, wie auch sein Vater eine hatte, als er zu Amina ging, um ihn zu zeugen« – hier darf man an das präexistente »Licht Muhammads« denken. Sein Nacken war wie eine »silberne Kanne« beziehungsweise wie der »Nacken eines silbernen Standbildes«.

 

Sein Körpergeruch war den Beschreibungen zufolge äußerst angenehm. Wie einer sagte: »Ich habe keinen Moschus oder Amber gerochen, der wohlriechender war als er.« Auch sein Schweiß soll wohlriechend und segensreich gewesen sein; seine Gattin Umm Sulaim fing ihn auf und mischte ihn in ihr Parfüm. Der Schweiß auf seinem Gesicht war wie Perlen.

 

Andere Hadithe beschreiben körperliche Eigenschaften des Propheten, die sehr lobenswert, aber auch bei anderen Menschen nicht selten sind: Er war breitschultrig, hatte eine breite Brust, dicke Knochengelenke, starke Schultern, lange Arme und Beine, kräftige Füße, schlanke Fersen, kräftige Hände und Finger – aber, so wird es einem Prophetengefährten in den Mund gelegt: »Ich habe nie etwas berührt, sei es Brokat oder Seide oder was auch immer, was sanfter war als die Handfläche des Propheten.« Damit wollte man vielleicht ausdrücken, dass er nicht körperlich arbeiten musste.

 

Nicht dies und nicht das: Ein Mann der Mitte

 

Bei all diesen kleinen Details ist zu bedenken: Sie wurden hier von mir zusammengestellt und kommen nicht zusammen in einem Hadith vor. Die Elemente sind leicht austauschbar und führen nicht zu einem zusammenhängenden Bild. Das gilt auch für das, was noch kommt: Sein Kopf war groß, sein Gesicht sehr schön. Er hatte einen breiten, schönen Mund; die Wangen waren glatt. Seine Augen werden als groß und als schwarz bezeichnet; das Weiße im Auge hatte etwas Rötliches. Die Augenbrauen waren zusammengewachsen, die Wimpern waren lang. Er hatte vollkommene Ohren. Das Kopfhaar soll tiefschwarz beziehungsweise dicht gewesen sein, der Bart schön, dicht, sehr schwarz.

 

Er lief energisch. »Ich habe nie jemanden gesehen«, so sagte laut diesen Überlieferungen ein Gefährte, »der schneller lief als der Prophet, als würde die Erde für ihn zusammengefaltet. Wir mussten uns anstrengen (um mitzuhalten), aber das war ihm egal.« Und: »Wenn er mit anderen lief, war er ihnen weit voraus.«

 

Es drängt sich ein Bild von einem stark gebauten, bulligen Mann auf; so hatte man ihn wohl gern. Man könnte meinen, die Schlankheit der Fersen passt nicht so gut zu den großen Füßen, der schnelle Gang nicht zu dem schweren Körper. Aber wie gesagt: Die Beschreibungen sind immer nur Fragmente.

 

Ein Hadith berichtet, Muhammad habe mal einen Ringkampf gegen den stärksten Mann seines Stammes gewonnen. Das sagt aber nichts aus über seine Körperkraft. Es ist eine Wundergeschichte, die vermitteln will: Ohne Gottes Hilfe hätte er den Gegner nie besiegen können.

 

Manche Texte wollen nicht loben, indem sie Positives erzählen, sondern wollen einen alten arabischen Lehrsatz zur Anwendung bringen: Die Mitte oder der Mittlere ist immer das Beste. Daher liest man in unterschiedlichen Hadith-Überlieferungen, dass der Prophet von mittlerer Körperlänge war oder nicht groß und nicht klein, nicht dick und nicht mager, nicht mattweiß und nicht rötlich (adam), weder kraushaarig noch glatthaarig.

 

Jesus, Moses, Abraham: Die Kunst des interreligiösen Vergleichs

 

In anderen Erzählungen wird der Prophet mit Beschreibungen der früheren Propheten zitiert, die er während seiner Himmelfahrt gesehen haben soll. Einem Text zufolge soll er gesagt haben: »Ich sah ‘Isa, Musa und Ibrahim (Jesus, Moses und Abraham). ‘Isa ist kraushaarig, rötlich (ahmar) und hat eine breite Brust. Musa ist rotbräunlich (adam), beleibt und hat glattes Haar, als gehörte er zum Zutt-Volk.« – »Und Ibrahim?«, fragte man ihn. Er antwortete: »Schaut auf euren Gefährten, den Gesandten Gottes (dann wisst ihr es).«

 

Einer anderen Fassung zufolge war Musa rotbräunlich, hochgewachsen, mit einer Hakennase, als gehörte er zum Stamm Schanu’a. In einem ähnlichen Text mit der Ergänzung: »dürr, mit gekräuselten Haaren«. An derselben Stelle heißt es, dass ‘Isa »rötlich war, weder kurz noch lang, dass er Sommersprossen und glattes Haar hatte und aussah, als wäre er gerade aus dem Bad gekommen; man würde meinen, sein Haar tropfe vor Wasser, dem war aber nicht so.«

 

Das vermeintliche Aussehen Muhammads wird hier theologisch instrumentalisiert. Moses und Jesus waren mit ihren markanten Merkmalen im Aussehen keine »Männer der Mitte« wie Muhammad. Wie Sommersprossen und Hakennasen damals bewertet wurden, weiß ich nicht; es lässt sich vermuten, dass sie als nicht so schön galten. Auf jeden Fall sah Muhammad besser aus als die Propheten der Juden und Christen. Aber von Ibrahim sagt er: »Nie habe ich einen Mann gesehen, der mir ähnlicher war.«

 

Ausblick: Der Prophet als normaler Mensch

 

Übrigens gibt es auch Beschreibungen von der Schönheit gewisser Propheten, die nicht mit Muhammad in Konkurrenz standen. Namentlich Harun (Aaron) soll besonders gut ausgesehen haben, und natürlich Yusuf (Joseph), in den Zulaika vernarrt war. Die zahlreichen Texte, in denen das Aussehen des Propheten als ganz normal beschrieben wird, sind das Thema der kommenden Ausgabe.

Von: 
Wim Raven

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