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Statusaufwertung für Palästina

Mut für Lösungen

Kommentar

Nach dem Mini-Krieg zwischen Hamas und Israel folgt das diplomatische Gezerre um die Statusaufwertung für Palästina. Sechs Bausteine, wie die vage Waffenruhe zu einer tragfähigen politischen Perspektive führen kann.

Unter Vermittlung des ägyptischen Präsidenten Muhammed Mursi und der amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton haben die im Gazastreifen herrschende Hamas-Bewegung – plus Islamischer Jihad – und die israelische Regierung von Premierminister Netanjahu nach einer Woche Gaza Krieg eine Waffenruhe vereinbart und sich darauf verständigt, ab dieser Tage Gespräche über Grenzöffnungen zum bis dato abgeriegelten Gazastreifen zu führen.

 

Sehr viele sind froh, dass die Diplomatie eine israelische Bodenoffensive in den Gazastreifen vermeiden konnte. Allerdings ist auch vielen bewusst, dass die vereinbarte Waffenruhe nicht ausreichen wird, um einen nächsten militärischen Schlagabtausch wirklich zu vermeiden. Dazu muss eine tragfähige politische Perspektive für Israelis und Palästinenser her, die beiden Völkern Anerkennung, Sicherheit und Wohlstand bringt.

 

Die fast vergessene Formel von »Land für Frieden« und der fast vergessene Grundsatz der ehemaligen israelischen Premierministerin Golda Meir (»Sprich mit deinen Feinden«) bekommen wieder Bedeutung. Aufgrund der großen strategischen Veränderungen, die die arabischen Revolutionen über den Nahen Osten bringen, und aufgrund der Sorge vor und des Streits um das iranische Atomprogramm, ist der nahöstliche Kernkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern in den letzten zwei Jahren in Vergessenheit geraten.

 

Die Hamas hat es geschafft, den klassischen Nahostkonflikt wieder ins internationale Bewusstsein zu rücken; und die globale Sorge um eine regionale Eskalation hat vor Augen geführt, welche Sprengkraft weiterhin in der Nichtlösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes steckt. Der gemäßigte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat durch den Hamas-Israel-Krieg als Akteur im Nahostkonflikt weiter an Bedeutung verloren.

 

Nun versucht er, politisch wieder aktiv zu werden und erneut einen diplomatischen Anlauf bei den Vereinten Nationen in New York zu nehmen. Sein Antrag auf Beobachterstatus für Palästina soll am Donnerstagabend in der UN-Vollversammlung zur Abstimmung gestellt werden. Ein diplomatischer Schritt, der von den USA und Israel abgelehnt wird, während er in Europa überwiegend unterstützt wird, wobei sich einige dagegen aussprechen und einige Staaten, wie etwa Deutschland, der Stimme enthalten werden.

 

Sechs Bausteine für eine politische Perspektive

 

1. Unter Leitung der Amerikaner sollten Israel und Ägypten das Sicherheitsarrangement auf der Sinai-Halbinsel neu verhandeln und damit verbessern. Dazu müssten Teile des ägyptisch-israelischen Friedensvertrages von 1979 ergänzt werden. Ziel: das Sicherheitsvakuum füllen und die Schmuggelräume eindämmen. Dazu sollten die ägyptischen Sicherheitskräfte zwischen Suez-Kanal und Gaza Grenze transparente und effektive Kontrolle ausüben können.

 

2. Der Handel von und nach Gaza muss geöffnet und legalisiert werden, damit die durch die Blockade florierende Schmuggelwirtschaft in einen legal kontrollierbaren Import und Export transferiert werden kann. Bereits 2004/2005 haben die ehemalige amerikanische Außenministerin Condoleeza Rice und der ehemalige Sonderbotschafter des Nahostquartetts James Wolfensohn ein Gaza-Grenzregime-Abkommen erarbeitet, das aber nie richtig implementiert wurde. Die Europäer hatten seinerzeit zur Implementation eine Grenzbeobachter-Truppe (EU-BAM) mit Sitz in der israelischen Stadt Ashdod bereitgestellt.

 

Diese Instrumente gilt es, schnell umzusetzen oder zu reaktivieren. Eine neutrale internationale Grenzkontrolle mit enger Einbeziehung israelischer und palästinensischer Behörden kommt insbesondere dem israelischen Bedürfnis entgegen, den Waffenschmuggel endgültig zu unterbinden. Auch Ägypten hat kein Interesse, dass sich in Gaza ein unkontrollierbares Waffenarsenal füllt.

 

3. Um dem Gazastreifen zusätzlich eine sozioökonomische Perspektive zu geben, sollte die Arbeit der wenigen noch in Gaza operierenden internationalen Organisationen, etwa dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen für die Palästinenser (UNWRA), durch Technikerteams, die Schulen, Kläranlagen etc. aufbauen, unterstützt werden.

 

4. Auch die Beduinen-Stämme auf dem Sinai, die den Schmuggelraum zum Gazastreifen »bewirtschaften«, brauchen eine soziale Perspektive, müssen von der ökonomischen und finanziellen Förderung des Gazastreifens mit profitieren, gerade wenn der Grenzübergang Rafah geöffnet wird.

 

5. Der israelisch-palästinensische Kernkonflikt braucht nach den Wahlen in Israel am 22. Januar eine tragfähige politische Perspektive. Israel braucht die Zwei-Staaten-Lösung, um den jüdischen und demokratischen Charakter seines Staates zu sichern. Die Palästinenser wünschen sich ihre Eigenstaatlichkeit ebenso in klaren und gesicherten Grenzen. Mit jedem Tag, an dem der Konflikt nur »gemanagt« wird, wird die Umsetzung einer Zwei-Staaten-Lösung immer unwahrscheinlicher.

 

Es braucht einen klaren Zeitplan, damit die Konfliktlösung nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird. Um seriösen Verhandlungen auch Zeit geben zu können, muss die israelische Regierung den Siedlungsbau stoppen, damit nicht »on the ground« weiter Fakten geschaffen werden. Um die asymmetrische Verhandlungsstruktur zwischen dem Staat Israel und der PLO auf eine staatliche Verhandlungsebene zu setzen, macht es Sinn, den Antrag von Palästinenserpräsident Abbas bei den Vereinten Nationen um eine Aufwertung der palästinensischen Autonomiebehörde zu einem Beobachterstatus à la Vatikan zu unterstützen.

 

Eine Verhandlungsarithmetik »Staat qua Status« würde auch eine Einigung in der palästinensischen Flüchtlingsfrage erleichtern. Damit der Konflikt nicht stellvertretend vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verschärfend ausgetragen wird, könnte Abbas UN-Antrag dementsprechend modifiziert werden. Für eine Abstimmung in der UN-Vollversammlung sollte die EU geeint auftreten.

 

Außerdem müssen Fatah und Hamas gemeinsam als glaubwürdige Verhandlungspartner auftreten. Die Regierungen von Ägypten, der Türkei und Katar sind aufgerufen, die Streithähne endlich zur Umsetzung ihrer Vereinbarung von Doha zur Bildung einer Einheitsregierung zu bewegen. Es gibt allerdings Anzeichen, dass sie dies bereits aufzugeben gedenken, und stattdessen realpolitisch lieber auf die gestärkte Hamas als auf den immer geschwächteren Abbas setzen und somit die sunnitische Machtachse im Nahen Osten stärken.

 

6. Der jüngste Gaza-Israel-Krieg hat auch gezeigt, dass die iranischen Revolutionsgarden insbesondere über den Islamischen Jihad an der Gaza-Front mitzündeln. Das iranische Regime will über militante Aktionen an der Grenze zu Israel eigentlich die USA treffen. Es ist zu hoffen, dass die zweite Obama-Administration mit einer profunden diplomatischen Initiative sich direkt an Teheran wendet, um die drohende Eskalation im kommenden Jahr um das iranische Atom- und Raketenprogramm doch noch politisch zu deeskalieren.


Christian-Peter Hanelt, 48, ist Senior Expert für Europa und den Nahen Osten bei der Bertelsmann-Stiftung. Der Politikwissenschaftler berichtete von 1991 bis 1994 für SAT1 über die Folgen des 2. Golfkriegs und den Nahost-Friedensprozess. Seit 1994 leitet Hanelt für die Bertelsmann-Stiftung die »Kronberger Nahostgespräche«.
Von: 
Christian-Peter Hanelt

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