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Reittiere im Frühislam

Der tragische Tod eines Maultiers

Essay
von Wim Raven

In den Stallungen des Propheten Muhammad gab es auch eine Reihe von Maultieren, das berühmteste von ihnen hieß Duldul. Aber wie viele Tiere waren es genau? Eine Antwort zu geben, fällt nicht leicht – oder doch?

Ein Maultier ist das Kreuzungsprodukt einer Pferdestute und eines Eselhengstes; ein Maulesel ist der Nachkomme einer Eselstute und eines Pferdehengstes. Weil wir meistens nicht wissen, welche Sorte in alten arabischen Texten gemeint ist, nenne ich sie hier alle Maultiere. Diese werden vielleicht auch die Mehrheit gebildet haben, denn sie sind am leichtesten zu züchten sowie stärker und ausdauernder als Maulesel.

 

Das Maultier par excellence war Duldul. Es wird sogar als das islamische Urmaultier gehandelt; bei dem Geschichtsschreiber Ibn Saad im 9. Jahrhundert heißt es: »Duldul war das erste Maultier im Islam, das man zu Gesicht bekam.« Solche »erste«-Traditionen (awa’il) gibt es viele in islamischen Überlieferungen, meist dienten sie dazu, den Terminus post quem irgendeines Phänomens festzustellen. Aber sie können auch tendenziös sein – so auch in diesem Fall.

 

Es gibt in bester arabischer Tradition einiges an biographischem Material über die Stute Duldul; der österreichische Islamwissenschaftler Herbert Eisenstein hat alle wichtigen Texte zusammengetragen. So soll Duldul dem Propheten von dem Muqauqis von Alexandrien geschenkt worden sein – wer auch immer das war –, zusammen mit einem Esel, Gold, Textilien und zwei schönen Sklavinnen, Mariya und Schirin. In der Schlacht von Hunain 630 soll der Prophet auf Duldul geritten sein und zu ihr gesagt haben: »Irbidi – Leg dich!« oder: »Sdi – Streck dich!«, sodass er eine Handvoll Staub nehmen konnte, den er seinen Feinden ins Gesicht warf.

 

In einer anderen Variante sagte er an dem Tag der Schlacht zu seinem Onkel Abbas: »Reiche mir einige Kiesel!«, was Duldul aber verstand, worauf sie unaufgefordert mit ihm niederging, sodass er die Kiesel selbst nehmen konnte. Das Tier überlebte den Propheten um mehr als 30 Jahre und starb während der Regierung des Kalifen Mu’awiya (661–680) in Yanbu’ an der Roten-Meer-Küste. Im hohen Alter waren Duldul die Zähne ausgefallen, sodass die Gerste für sie gemahlen werden musste.

 

Ihr tragischer Tod war filmreif: Blind geworden, geriet sie in ein Melonenfeld, das sie zertrampelte. Das Feld gehörte einem Mann der Banu Mudlidsch, der sie mit einem Pfeil tötete, offensichtlich nicht ahnend, mit welch noblem Tier er zu tun hatte. Laut schiitischer Überlieferung sollen auch Ali, seine beiden Söhne und seine rechte Hand Muhammad Ibn al-Hanafiya noch auf Duldul geritten sein.

 

Daneben besaß Muhammad noch einige weitere Maultiere: - Fidda (»Silber«), ein weißes Tier, das Farwa Ibn Amr al-Dschudhami ihm schenkte und das er an Abu Bakr weitergab, - ein weißes Tier, das er vom Herrscher von Aila (heute Aqaba) geschenkt bekam, - ein Maultier, das Kisra, der König von Persien, ihm schenkte und das er mit einer Satteldecke aus Haar geritten habe, - ein Grauchen, das er vom Negus von Abessinien geschenkt bekam, - ein Geschenk vom Herrn von Dumat al-Dschandal (beim heutigen Al-Jouf im Norden Saudi-Arabiens) - und ein nicht spezifiziertes Tier, von dem erzählt wird, dass es mit dem Propheten durchging, worauf er ihm einen Koranvers vorlesen ließ.

 

Wie viele Maultiere es in den Stallungen des Propheten nun genau gab, bleibt unklar, denn die Namen dieser Tiere und auch Teile ihrer Biographien sind in der Überlieferung arg durcheinandergeraten. Aber wollen Sie sie wirklich zählen? Es ist doch augenscheinlich, dass alle diese Tiere eigentlich nur eines sind! Es sind Variationen eines Themas: ein Maultier, das dem Propheten geschenkt wird und als Präzedenzfall für eine Scharia-Regel auftritt. In der Tat, laut den Texten wurden nahezu alle diese Maultiere dem Propheten aus dem Ausland geschenkt.

 

Aila und Duma sind zwar im Norden Arabiens gelegen, galten zur Zeit Muhammads aber noch als christliches Ausland. Auch Fidda kam aus dem Ausland, denn das Tier war ein Geschenk von Farwa Ibn Amr, der bis zu seiner Bekehrung und seinem anschließenden Martyrium byzantinischer Statthalter von Ma’an im heutigen Südjordanien war. Anlässlich der geschenkten Sklavinnen Mariya und Schirin hatte ich bereits erklärt, welche Funktion Geschenke aus dem Ausland in den frühen islamischen Texten spielen. Sie sollten – durch das beispielgebende Handeln des Propheten – die An- oder Übernahme außerislamischer Güter legitimieren.

 

»Wie wäre es, wenn wir mal Esel Pferde bespringen ließen?«, fragte Ali. Aber der Prophet winkte ab: »Das machen nur Leute ohne Kenntnis«

 

Aber waren Maultiere überhaupt ausländisch? Im ganzen alten Orient gab es sie doch, auch in Äthiopien waren sie gängig. Es waren starke und zuverlässige Last- und Reittiere, die gerne benutzt wurden; werden sie denn in Arabien gefehlt haben? Das will ich nicht glauben. Das arabische Wort für Maultier, baghl, ist äthiopischer Herkunft. Obwohl die Tiere auch in Syrien und am Golf vorkamen, wird es einfacher gewesen sein, sie über das Meer aus Afrika nach Arabien zu importieren. Hunderte von Kilometern durch die Wüste konnten sie ja nicht laufen.

 

Offensichtlich will die Mitteilung, dass die ägyptische Duldul »das erste Maultier im Islam« war, uns glauben lassen, dass Maultiere im alten Arabien neu waren: An ihnen konnte nichts Vorislamisches sein, denn der Prophet war der Erste, der eines besaß. Und das, obwohl der Koran Maultiere bereits in dem frühen Vers 16:8 wie selbstverständlich erwähnt. Mit anderen Worten: Sowohl die Fremdheit wie auch die Neuheit von Maultieren zur Zeit Muhammads ist nichts weiter als fromme Dichtung von Rechtsgelehrten.

 

Aber wenden wir uns einmal ihren Gedankengängen zu. Welche islamischen Rechtsregeln in Bezug auf Maultiere gibt es? - Maultierfleisch zu essen ist nicht erlaubt – diesen Aspekt lasse ich hier unbehandelt. - Auf Maultieren zu reiten ist ohne Weiteres erlaubt, denn es heißt im Koran (in Vers 16:8): »Und (erschaffen hat Er) die Pferde und die Maultiere und Esel, damit ihr sie besteigt, sowie (euch) als Zierde.« Dass der Prophet nach mehreren Erzählungen auch tatsächlich auf einem Maultier ritt, steht damit in Einklang. Laut der Bibel ritten auch die Könige David und Salomo auf ihnen. - Ein normaler Umgang mit Maultieren hat keine rituelle Unreinheit zur Folge.

 

- Eine Kreuzung zwischen Pferd und Esel selbst durchzuführen, ist für Muslime »verwerflich« (makruh). Ein bei Abu Dawud überlieferter Ausspruch Muhammads ist unzweideutig: »Der Prophet bekam ein Maultier geschenkt und ritt darauf. Da sagte Ali: ›Wie wäre es, wenn wir mal Esel Pferde bespringen ließen? Dann hätten wir auch solche Tiere.‹ Aber der Prophet sagte: ›Das machen nur Leute ohne Kenntnis.‹« Bei den Juden war das Verbot übrigens noch eindeutiger, aufgrund des Bibelworts in 3. Mose 19:19: »Lass nicht zweierlei Art unter deinem Vieh sich paaren.« Aber weiter mit den Rechtsregeln: - Ungeachtet des Zuchtverbots durften existierende Tiere aber benutzt oder von außerhalb angenommen oder eingeführt werden.

 

- Umgang mit widerspenstigen Maultieren: Dem Tier, das mit ihm durchging, verpasste der Prophet eine Lektion, indem er es einsperrte und ihm Koran 113:1 rezitieren ließ, worauf es sich beruhigte. Durch so einen Bericht lernten die Muslime, was auch sie in solchen Fällen zu tun hätten. Man rezitierte besagte Sure, wenn eine böse Macht gezähmt oder ferngehalten werden sollte – offenbar wurde das Durchgehen eines Maultiers einem Teufel oder Ifrit zugeschrieben. Was lernen wir nun aus all dem? Ich vermute, dass es ungefähr wie folgt gelaufen ist.

 

Die Araber und frühen Muslime ritten einfach auf Maultieren herum und benutzten sie als Lasttiere wie jeder anderer auch. Als nach zwei, drei Jahrhunderten islamische Rechtsgelehrte anfingen, das ganze Leben auf die Vereinbarkeit mit den von ihnen aufgestellten Rechtsregeln hin zu überprüfen, exerzierten sie auch das Maultier durch. Da wie immer der Prophet die höchste Autorität gewesen sein musste, ließen sie ihn auch auf Maultieren reiten, ja sogar als Allerersten. Das bei den Juden gängigen Zuchtverbot behielten sie bei; deshalb bleibt in den Texten an Maultieren immer etwas vage Unislamisches haften. Demnächst über die Esel.

Von: 
Wim Raven

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