Lesezeit: 7 Minuten
Palästinensische Möbelmacher

In Gaza geleimt

Feature

Die palästinensischen Möbelmacher glaubten den Versprechen, die Exportblockade des Gazastreifens werde gelockert – und fuhren die Produktion hoch. Jetzt sitzen sie auf ihrer Ware, obwohl es Kundschaft gäbe.

Alles, was man hier sieht, wartet darauf, exportiert zu werden«, erklärt Mumin Najar, während er das Tor zur Lagerhalle öffnet. Auf der linken Seite sind Schreibtische meterhoch aufgestapelt. Weiter hinten stehen Hunderte Bürostühle, bedeckt von einer dicken Staubschicht. »Ich bin bereit, morgen zu exportieren«, sagt auch Mumins Vater Mohamed Najar, der Besitzer und Gründer der Modern Industrial Group.

 

Doch er hat wenig Hoffnung, dass er die Produkte seiner Möbelfabrik in nächster Zeit ausführen darf. Im Jahr 2010 hatte Israel angekündigt, das Exportverbot aus dem Gazastreifen für einige Produkte aufzuheben, darunter auch Möbel. Mohamed Najar hatte das ernst genommen und in seiner Fabrik in Rafah Möbel im Wert von 150.000 Dollar produziert, für die er Bestellungen von außerhalb des Palästinensergebiets hatte.

 

»Nach den positiven Ankündigungen Israels haben wir uns auf den Export vorbereitet«, sagt er heute. »Aber am Ende gab es nichts außer leeren Versprechen.« Israel kontrolliert bis auf einen Übergang zu Ägypten alle Grenzen des Gazastreifens, in dem rund 1,7 Millionen Palästinenser leben. Nachdem die islamistische Hamas im Jahr 2006 die palästinensische Parlamentswahl gewonnen hatte, blockierte Israel sämtliche Exporte und mit Ausnahme weniger humanitärer Güter auch fast alle Importe.

 

Auch die Ankündigung vom Dezember 2010, künftig den Export von landwirtschaftlichen Produkten, Möbeln und Textilien zu erlauben, stand unter dem Vorbehalt der nötigen logistischen Vorbereitungen und Sicherheitsvorkehrungen. Palästinensische Bauern und Lebensmittelproduzenten haben seitdem mehr als 400 Tonnen Erdbeeren, 40 Tonnen Paprika, 6 Tonnen Kirschtomaten und fast 1 Million Blumen ausgeführt.

 

»Wir brauchen den Außenhandel, damit innen die Wirtschaft wachsen kann«

 

Die Möbelmacher sind dagegen leer ausgegangen. Nur einmal durften Ende Januar zwei Lastwagen mit Möbeln den Gazastreifen verlassen – und deren Ladung war nicht für den kommerziellen Export bestimmt, sondern für eine Messe in Jordanien. Grund zum Optimismus sieht Mohamed Najar darin nicht: »Ich habe keine Produkte zur Messe geschickt. Solange ich nichts exportieren darf, brauche ich dort auch keine Aufträge annehmen.«

 

Viele Möbelhersteller hätten wegen der Folgen der israelischen Blockade bereits dichtgemacht. Einer von ihnen ist Hashem al-Aish. »Früher habe ich 270 Menschen beschäftigt. Aber nachdem Israel 2007 die Grenzen dichtgemacht hat, konnte ich nur noch ein paar Dutzend Leute bezahlen, bis ich meine Fabrik letztlich ganz schließen musste«, berichtet al-Aish. Der Niedergang der Privatwirtschaft habe auch die Radikalisierung der Gesellschaft in Gaza gefördert. So seien einige seiner entlassenen Arbeiter den Al-Qassam-Brigaden beigetreten, dem militärischen Flügel der Hamas.

 

Al-Aish selbst leitet jetzt eine Fabrik in Ägypten, könnte sich aber eine Rückkehr nach Gaza vorstellen, sollte sich die Situation dort ändern. »Wir brauchen den Außenhandel, damit innen die Wirtschaft wachsen kann«, sagt er. »Ohne Exporte keine Profite.«

 

Einige der entlassenen Arbeiter traten dem militärischen Flügel der Hamas bei

 

Den Unternehmer Faisal al-Shawa treiben neben den wirtschaftlichen Folgen der Blockade auch andere Auswirkungen um. Die Firmen seien durch eine Art psychischen Schock gelähmt, sagt al-Shawa, der zugleich Vizevorsitzender der Organisation Paltrade ist. Diese will durch Studien und Weiterbildung den palästinensischen Handel fördern. »Der letzte Gazakrieg im Winter 2008/2009 hat uns alle stark beeinträchtigt.

 

Lange Zeit haben wir überhaupt nichts auf die Reihe bekommen«, erklärt er. »Anfangs dachten die Unternehmer, dass die israelische Wirtschaftsblockade bald wieder aufgehoben wird. Wir haben gewartet. Doch auf dem Weg haben viele Firmen ihr Geld und ihre Beschäftigten verloren.« Zusätzlich werde die Situation durch Bargeldmangel und das Fehlen von Maschinen und anderer Ausrüstung erschwert.

 

»Selbst wenn wir wüssten, dass morgen die Grenzen geöffnet werden, könnten wir heute nicht mehr in unsere Firmen investieren«, sagt al-Shawa. Weitere Hürden für die Industrie sind der Mangel an Rohmaterial und die anhaltende Stromund Benzinknappheit, die zuletzt Anfang Februar sogar den Betrieb von Krankenhäusern lahmzulegen drohte.

 

Die Möbelindustrie ist wegen der äußerst geringen Kaufkraft der Bevölkerung im Gazastreifen besonders abhängig vom Export. Allgemein sind die wichtigsten Exportmärkte für Unternehmen aus Gaza das Westjordanland und Israel. 90 Prozent aller Textilien, 76 Prozent aller Möbel und 20 Prozent aller Lebensmittel wurden vor Beginn der Blockade dorthin exportiert.

 

Noch 2005 brachte der Außenhandel der Wirtschaft insgesamt 180 Millionen Dollar ein – Geld, das heute fehlt. Würde Israel das Exportverbot aufheben, hätte das einen enormen Effekt, glaubt Faisal al-Shawa deshalb. Ein Indiz dafür ist der Aufschwung der Fertigungswirtschaft, seit Israel 2010 die Beschränkungen für den Import von Rohmaterialien lockerte: Zwischen Juni 2010 und Juli 2011 stiegen die Umsätze um 27 Prozent.

 

In der ersten Hälfte des Jahres 2011 waren rund 25 Prozent mehr Gaza-Palästinenser beschäftigt als in der zweiten Hälfte des Vorjahres. Doch dieser Aufholprozess hat quasi am Nullpunkt begonnen. So betrugen die Umsätze der Branche trotz der Steigerungen auch 2011 noch weniger als 60 Prozent des Vergleichswerts von 2005. Und im vergangenen Jahr erlaubte Israel nur ein Prozent der Exporte, die 2007 den Gazastreifen verließen.

 

»Selbst wenn wir wüssten, dass morgen die Grenzen geöffnet werden, könnten wir heute nicht mehr investieren«

 

Israel begründet das Exportverbot vor allem mit Sicherheitsbedenken. »Die politische Entscheidung von 2010 über eine Steigerung der Exporte bezieht sich nur auf Lieferungen ins Ausland«, sagt etwa der Sprecher des israelischen Büros für die Koordination der Regierungsangelegenheiten in den Palästinensergebieten, Guy Inbar. »Für das Westjordanland und Israel gilt das nicht. Hier bestehen weiterhin Sicherheits- und Zollprobleme.«

 

Gerade für die Möbelhersteller im Gazastreifen machen jedoch die langen Transportwege, die dadurch entstehenden Kosten und die Konkurrenz anderer Anbieter den Export nach Europa und Nordamerika wenig lukrativ. Auch für sie wären das Westjordanland und Israel die eigentlich wichtigen Märkte. Zudem überzeugt das Argument Sicherheit zumindest Sari Bashi nicht, die Gründerin und Direktorin der israelischen Nichtregierungsorganisation Gisha, die sich für einen freien Personen- und Warenverkehr einsetzt.

 

»Es ist eine politische Entscheidung«, sagt Bashi. »Sie ist Teil einer israelischen Politik, die den Gazastreifen von Israel und vom Westjordanland trennen will.« Wer auch immer recht hat: Solange Israel die Blockade nicht deutlich lockert, werden die Möbelhersteller im Gazastreifen weiter auf ihren Warenbergen sitzen bleiben.

Von: 
Andreas Hackl

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.