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Neuer Premier in Palästina Rami Hamdallah

Regierungschef als Angestellter des Präsidenten?

Analyse

Rami Hamdallah steht vor einer undankbaren Aufgabe: Der palästinensische Premier soll für ein paar Monate Technokrat und »Anti-Fayyad« zugleich sein. Doch der Job an der Regierungsspitze könnte auch mehr als eine Interimslösung sein.

Präsident Mahmoud Abbas hat sich mit der Ernennung eines neuen Ministerpräsidenten etwa sieben Wochen Zeit gelassen. Das lag auch an neuen Versöhnungsgesprächen mit der Hamas und den Bemühungen der USA, Israelis und Palästinenser zurück an den Verhandlungstisch zu holen. Dass der neue Regierungschef Rami Hamdallah für viele ein unbeschriebenes Blatt ist, darf nicht verwundern. Nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Salam Fayyad Mitte April befand sich Präsident Abbas in der Zwickmühle. Von westlichen Geberländern wurde Druck auf ihn ausgeübt, einen unabhängigen Technokraten zu ernennen. Dieser sollte als Garant für die ordnungsgemäße Verwaltung des geberabhängigen Staatshaushalts sorgen.

 

Die Hamas hingegen wollte eine Art Anti-Fayyad: Einen Regierungschef, der dem Westen nicht zu nahe steht und der Hamas im Westjordanland freien Spielraum lässt. Damit wollte sie vor allem die Wiederbelebung ihres aus Moscheen, karitativen Einrichtungen und sozialen Clubs bestehenden Netzwerks erreichen. Dieses wurde nach der Teilung der Palästinensergebiete im Juni 2007 größtenteils von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) unter Abbas und Fayyad zerschlagen. Mitte Mai sah es dann tatsächlich so aus, als könnten die Islamisten diesen Machtkampf gewinnen. In Kairo einigten sich Fatah und Hamas darauf, innerhalb von drei Monaten eine unabhängige Technokratenregierung zu bilden.

 

Namen wurden dabei nicht genannt. Die meisten Palästinenser haben mittlerweile aber aufgehört zu zählen, wie viele Vereinbarungen zwischen den beiden Bewegungen geschlossen – und anschließend gebrochen – wurden. Auch diesmal wurde das Thema Versöhnung schnell überlagert. Der amerikanische Außenminister John Kerry übte wiederholt starken Druck auf Abbas aus, ohne Vorbedingungen Friedensgespräche mit Israel aufzunehmen, und brachte gleichzeitig ein privates Investitionsprogramm für die Palästinensischen Gebiete in Höhe von vier Milliarden US-Dollar ins Gespräch. Die palästinensische Reaktion auf den wenig konkreten Plan war keine Überraschung. Man begrüße private Investitionen zwar, um die Geberabhängigkeit zu verringern, das Wirtschafswachstum anzukurbeln und die Arbeitslosigkeit zu verringern, aber man verbitte sich eine Verknüpfung mit politischen Forderungen.

 

Am 2. Juni ernannte Abbas dann den weitgehend unbekannten 54-jährigen Universitätspräsidenten Hamdallah zum neuen Premier. Hamdallah ist zwar kein Mitglied einer politischen Partei, soll aber der Fatah nahestehen. Bisher hat er noch kein politisches Amt bekleidet und sich stattdessen dem Ausbau des Hochschulwesens im Westjordanland verschrieben. Während seiner fünfzehnjährigen Amtszeit als Präsident der An-Najah-Universität in Nablus verdreifachte sich die Zahl der Studenten auf etwa 20.000. Unter seiner Schirmherrschaft wurden mehrere hundert Millionen US-Dollar akquiriert, ein neuer Campus errichtet und neue Fächer in das Universitätsangebot aufgenommen. Außerdem ist Hamdallah seit 2004 Generalsekretär der Zentralen Palästinensischen Wahlkommission. In seine Amtszeit fiel unter anderem auch die Durchführung der Parlamentswahlen im Januar 2006, die die Hamas mit absoluter Mehrheit gewann.

 

Regierungsarbeit und Friedensprozess werden entkoppelt

 

Während Fayyad sich immer wieder zu Themen des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses äußerte, ist davon auszugehen, dass sein Nachfolger sich auf innenpolitische Themen wie Wirtschaft und Bildung konzentrieren wird. Das ist ganz im Interesse der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und ihres Vorsitzenden Abbas. Die PLO sieht sich als Alleinvertreterin des palästinensischen Volkes und ist für alle Friedensverhandlungen verantwortlich. Gerne betrachtet sie sich als der PA und somit auch dem Kabinett übergeordnet. Da der neue Regierungschef wenig Erfahrung in internationaler Politik besitzt und keinen politischen Ehrgeiz erkennen lässt, wird seine Amtszeit von einer Entkopplung zwischen Kabinettsarbeit und friedenspolitischen Themen gekennzeichnet sein.

 

Problematisch wird es, wenn sich die beiden Themen überlappen. Wen wird die Bevölkerung neben Israel verantwortlich machen, wenn die Wirtschaft weiter stagniert oder es zu erneuten Preissteigerungen kommt: die Regierung, die für den Wirtschafts- und Finanzbereich zuständig ist, oder den Präsidenten, der als Chef der PLO für Abkommen mit Israel verantwortlich ist, die der palästinensischen Wirtschaft abträglich sind? Fayyad, der im September 2012 mit massiven wenn auch kurzlebigen Wirtschafts- und Sozialprotesten konfrontiert war, kennt die Antwort.

 

Zwar wurde damals auch Abbas kritisiert, aber die Stoßrichtung der auch von Angehörigen des Fatah-Zentralkomitees und Fatah-treuen Gewerkschaftsführern initiierten Proteste war eindeutig. So bald ein unabhängiger Politiker eigene Initiative zeigt, neue Ideen formuliert oder versucht, an politischem Profil zu gewinnen, reagiert die von der Fatah dominierte politische Elite im Westjordanland sofort. Solch eine Entwicklung soll diesmal ausgeschlossen werden.

 

Machtzentralisierung wie einst unter Arafat

 

Die Ernennung eines politisch unerfahrenen Technokraten zum Regierungschef wird zu einer Machtkonzentration im Präsidentenpalast, der »Muqata'a«, führen. Ein langjähriger leitender Redakteur einer palästinensischen Tageszeitung äußerte in einem Gespräch, dass es der Wunsch von Abbas sei, einen Regierungschef zu haben, der als Angestellter seine Politik umsetzt. Das politische System würde so immer stärker in Richtung Präsidentialismus tendieren. Ein Korrespondent einer westlichen Nachrichtenagentur bezeichnete Hamdallah bereits als Marionette des Präsidenten. Die beiden Stellvertreter Hamdallahs bestätigen diese Entwicklung. Mohammed Mustafa ist seit 2005 Leiter des »Palestinian Investment Fund«, dem staatlichen Investitionsfonds der PA. Er berät Abbas in Wirtschaftsfragen und gilt als dessen enger Vertrauter.

 

Das gleiche gilt für den zweiten stellvertretenden Ministerpräsidenten, Ziad Abu Amr. Der aus Gaza stammende Abu Amr ist ehemaliges Mitglied der Fatah. Er sitzt als unabhängiger Abgeordneter im dysfunktionalen Parlament. Im Frühjahr 2007 amtierte er in der nur wenige Monate bestehenden Einheitsregierung zwischen Hamas und Fatah als Außenminister. Seine politische Loyalität gilt dennoch ganz klar der PLO. Als einer der führenden Experten zum Thema politischer Islam in den Palästinensischen Gebieten trat Abu Amr immer wieder als glühender Verfechter der PLO und ihrer jahrzehntelangen Tradition des nationalistischen Widerstands gegen die israelische Besatzung auf. Die Hamas sei zwar eine nicht mehr zu vernachlässigende politische Größe geworden, würde auf Grund ihres islamisch geprägten Weltbildes jedoch in großen Segmenten der Gesellschaft Verunsicherung hervorrufen.

 

Eine verstärkte Einflussnahme durch das Büro des Präsidenten und die Fatah weckt die Befürchtung, dass das Modell eines auf Patronage basierenden Klientelismus zurückehrt. Bereits unter Jassir Arafat, der bis zu seinem Tod 2004 als Präsident amtierte, wurde die PA als eine Art Familienbetrieb mit gezielten Abhängigkeitsverhältnissen geführt. Fayyad hat diesem System zum Leidwesen der Fatah aber unter großen Jubel der internationalen Gemeinschaft zumindest teilweise Einhalt geboten. Er sorgte damit für eine massive Transformation der politischen Ökonomie des Westjordanlands.

 

Dadurch, dass immer mehr Menschen auf den Staatsapparat angewiesen sind, stabilisierte er diesen und verringerte die Wahrscheinlichkeit einer Desintegration der PA. Eine Umkehr dieser Politik könnte die graduelle Aushöhlung der politischen Institutionen, die auf Grund fehlender Wahlen nur noch über geringe demokratische Legitimation verfügen, beschleunigen.

 

Ausweitung der Spaltung zwischen Fatah und Hamas

 

Als neu ernannter Ministerpräsident war Hamdallah dazu verpflichtet, eine eigene Regierung zu bilden. Diese wurde am 6. Juni vereidigt und besteht zum Großteil aus Ministern des Kabinetts von Fayyad. Neu in der Regierung sind unter anderem die beiden genannten Abbas-nahen stellvertretenden Ministerpräsidenten. Es wird nun vornehmlich darum gehen, die im Mai geschlossene Vereinbarung zwischen Fatah und Hamas zur Bildung einer unabhängigen Regierung umzusetzen. Hamdallah selbst wird dabei kaum eine Rolle spielen. Er rechnet damit, dass er lediglich bis Mitte August im Amt bleibt und scheint keine Absichten zu hegen, einer Einheitsregierung vorzustehen.

 

Dass die Ernennung von Hamdallah und die Regierungsbildung ohne Konsultation mit der parlamentarischen Mehrheitspartei erfolgten, zeigt, wie weit eine Aussöhnung derzeit entfernt ist. Ein Sprecher der Hamas bezeichnete die neue Regierung bereits als illegal. Die Ernennung Hamdallahs beweise, dass Abbas nicht an einer nationalen Aussöhnung interessiert sei. Hamdallah kann zu all den genannten Punkten – Friedensprozess, Machtakkumulation, Spaltung – derzeit wenig beitragen. Die israelische Tageszeitung Haaretz nannte sein Amt bereits das undankbarste im gesamten Westjordanland. Sollte es erneut zu keiner Wiedervereinigung von Westjordanland und Gaza kommen, bleibt er vielleicht länger im Amt als erwartet und bekommt somit die Chance, ein eigenes politisches Profil zu entwickeln.

 

Auch Fayyad benötigte dafür einige Zeit. Dabei könnte ihm seine politikferne Ausbildung praktische Hilfe leisten. Der promovierte Linguist schrieb 1999 in einer Studie über die Vorteile der Benutzung der Muttersprache beim Erlernen einer neuen Sprache: »Da der Lernende im Zentrum des Lernprozesses steht, sollten Sprachlehrer die Bedürfnisse der Lernenden beherzigen.« Vertreter von Fatah und Hamas sollten diesen Satz richtig zu deuten wissen und ihn sich zu Herzen nehmen, um den Wünschen und Forderungen der eigenen Bevölkerung in Zukunft besser nachzukommen.


Jörg Knocha ist Projektmanager bei der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) Ramallah. Der Artikel stellt die Meinung des Autors dar und spiegelt nicht grundsätzlich die Meinung der KAS Ramallah wider.

Von: 
Jörg Knocha

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