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Kopten und Deutschland

Der große Glaubensbruder

Feature

Guido Westerwelle hat sich bei seinem jüngsten Ägypten-Besuch vor allem mit den Kopten beschäftigt. Die Verbrüderung mit den orientalischen Christen hat in Deutschland Tradition – die Stimmen sind dabei ganz verschieden.

»Gleich nach seiner Landung in Kairo hat sich Guido Westerwelle hierher bringen lassen, in die koptische Altstadt«, schreibt die Süddeutsche Zeitung zu Westerwelles Ägyptenbesuch zu Beginn dieser Woche. Die Christen stehen für uns an erster Stelle – das hat der deutsche Außenminister damit sagen wollen. Zur Bestätigung ließ auch CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe verlauten, der Union lägen »als Partei mit einem C im Namen« die Christen besonders am Herzen.

 

Immer wieder wurde in den letzten Jahren in Deutschland der Fokus auf die Orientchristen gerichtet – nicht nur von Politikern. Der Journalist und Berufsislamhasser Karl-Michael Merkle mit dem Pseudonym »Michael Mannheimer« illustriert die Artikel in seinem Buch »Christenverfolgung in islamischen Ländern« mit Bildern einer lichterloh brennenden Kirche in Ägypten und einem Rosenkranz in dunkelroter Blutlache.

 

Auf 160 Seiten spannt Mannheimer einen Bogen von Nordafrika über die Türkei, den Golf, Pakistan und Indonesien bis zu den muslimischen Migranten in Deutschland. Auf jeder Seite berichtet Mannheimer von Mord und Verfolgung, führt Fallbeispiele und Zahlen an, schreibt über den »Terrormonat Ramadan« und die »Feigheit Europas gegenüber dem türkischen Imperialismus«.

 

Mannheimers Fakten sind nicht alle aus der Luft gegriffen, sondern spiegeln einen, wenn auch selektiv aufgetischten und maßlos übertriebenen Teil der Lebenssituation von Christen in mehrheitlich islamischen Ländern wider. Mit seiner Hetzschrift disqualifiziert sich Mannheimer, auch Autor beim Blog »Politically Incorrect«, aber als unsachlicher Islamophobiker.

 

Wo bleiben Positivbeispiele von Dialog und respektvollem Zusammenleben an der Basis?

 

Unter den Islamkritikern sind aber nicht nur jene, die bewusst die Nähe zu rechtspopulistischen Parteien suchen. Es gibt auch ruhigere Stimmen, denen jedenfalls mehr an einer sachlichen Diskussion gelegen ist.

 

Eine bekannte Ansprechpartnerin zum Thema ist die Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher, die sich seit vielen Jahren mit den orientalischen Christen beschäftigt. »Rechtlich waren und sind Christen in islamischen Gesellschaften Bürger zweiter Klasse«, schrieb Schirrmacher kurz nach dem Anschlag gegen koptische Christen in Ägypten in der Silvesternacht 2010/11 in der FAZ. In dem Anschlag sieht Schirrmacher auch eine »Botschaft an die westliche Welt, denn nicht nur die verwundbare Minderheit der Christen vor Ort soll mit den Anschlägen eingeschüchtert werden.«

 

Das von Schirrmacher geleitete »Institut für Islamfragen der Deutschen Evangelischen Allianz« möchte versuchen, woran Mannheimer nicht interessiert ist. Laut seiner Internetpräsenz will es, »zu einer informierten und fairen Begegnung mit Muslimen« beitragen.

 

Scrollt man etwas runter, findet man unter dem Stichwort »Schlagzeilen« aktuelle von islamischen Theologen herausgegebene Fatwas abgedruckt. Dort lässt es sich beispielsweise von einem saudi-arabischen Rechtsgutachter lesen, der aufruft, denjenigen zu bekämpfen, »der sich weigert, Allah anzubeten« und einem anderen, der die Steinigung bei Ehebruch befürwortet.

 

Jemand, der sich durch diese lose Sammlung von Fatwas klickt, bekommt schnell den Eindruck einer rückständigen Religion, die tief im Mittelalter stehen geblieben ist. Dem gegenüber scheint auch bei der Evangelischen Allianz, die ein Sammelbecken diverser evangelikaler Strömungen ist, ein aufklärerisches Christentum zu stehen, das sich für seine von einem finsteren Islam bedrohten Glaubensbrüder einsetzt.

 

Den Finger in die Wunde zu legen ist notwendig und legitim, führt aber auch zu einer einseitigen Betrachtung. Wo bleiben Positivbeispiele von Dialog und respektvollem Zusammenleben an der Basis, das in den meisten muslimischen Ländern mit christlichen Minderheiten existiert? Auf diese Nachfrage verweist Frau Schirrmacher auf das kleine Redaktionsteam ihres Instituts und auf das Fehlen von Mitarbeitern, die vor Ort Informationen besorgen könnten. 

 

Verpflichtet das »C« im Namen zur »Selektion«?

 

Zurück zur Politik: Bei der CDU ist das Christenthema omnipräsent, nicht nur vor dem Hintergrund von Westerwelles aktueller Ägypten-Reise. Regelmäßig veröffentlicht die Partei neue Pressemitteilungen dazu. Der Vorstoß von Wolfgang Schäuble, verfolgte irakische Christen aufzunehmen, stieß 2008 auf Lob von Seiten der Kirchen aber auch auf Kritik von EU-Politikern, die eine bevorzugte Aufnahme nach Religionszugehörigkeit als »selektiv« werteten.

 

Der Westen hat die moralische Verpflichtung, sich unabhängig von Religionszugehörigkeiten für Menschenrechte im Orient stark zu machen. Er sollte sich jedoch gerade in Bezug auf die Christen davor hüten, zu protegierend und überheblich aufzutreten. Auch muss sich vor Augen geführt werden, dass es nicht überall Blutvergießen gibt und sich auch in den Sturmböen des arabischen Frühlings nicht überall im Orient die Christen kategorisch in einer Bedrohungslage befinden. 

 

Historischer Fakt ist auch, dass der Westen die orientalischen Christen vor allem in Zeiten politischer Instabilität im Nahen Osten immer wieder als Ansprechpartner für koloniale Machtansprüche missbraucht hat. Das hat das Vertrauen der orientalischen Christen in den Westen nicht gerade gestärkt. Dass orientalische Christen tatsächlich viele kulturelle und soziale Werte mit ihren muslimischen Mitbürgern teilen und nicht die Außenposten eines westlichen Wertesystems darstellen, wurde immer wieder vergessen.

 

Im nun zerrütteten Syrien erzählten die Christen stets von den Kreuzrittern, die eines Tages vor den Toren von Damaskus standen, um die Stadt einzunehmen. Doch statt dass die einheimischen Christen sich mit den fremden christlichen Kreuzrittern verbündeten, verteidigten sie zusammen mit den Muslimen ihre Stadt gegen die Eindringlinge. Die zukünftige Rolle und Lage der Christen in dem Land muss kritisch verfolgt werden, aber jetzt geht es erst einmal um ein Ende des Blutvergießens – an den mehrheitlich sunnitischen Demonstranten.

Von: 
Marian Brehmer

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