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Kommunalwahlen in Palästina

Wahlen ohne Wahl

Analyse

Am 20. Oktober haben die Palästinenser das erste Mal seit 2006 die Möglichkeit zu wählen. Die Hamas im Gazastreifen boykottiert die Kommunalwahlen. In den meisten Wahlkreisen im Westjordanland wird es lediglich eine Akklamation geben.

Seit dem Erfolg der Hamas bei den Parlamentswahlen im Januar 2006 fanden in den Palästinensischen Gebieten keine Wahlen mehr statt. Eingeleitet wurde der überraschend deutliche Sieg der Islamisten durch die letzten Kommunalwahlen, die 2004/2005 stattfanden. Diese markierten den Beginn des politischen Aufstiegs der Hamas, die erstmals an einer Wahl teilnahm und der es gelang, der Fatah sowohl in Gaza als auch im Westjordanland erhebliche Verluste zuzufügen.

 

Die blutige Eroberung Gazas durch die Hamas im Juni 2007 leitete die bis heute anhaltende Spaltung der Palästinensergebiete ein. Die im Westjordanland herrschende Regierung von Salam Fayyad, die vom palästinensischen Parlament nie bestätigt wurde, setzte für den 17. Juli 2010 Kommunalwahlen im Westjordanland und dem Gazastreifen an.

 

Aufgrund von Unstimmigkeiten zwischen Fatah und Hamas über technische sowie politische Details der Durchführung und der daraus resultierenden Einschränkung der Wahlvorbereitungen im Gazastreifen wurden diese vom Kabinett Fayyad zuerst verschoben und schließlich abgesagt. Das palästinensische Hohe Gericht entschied im Dezember 2010, dass die Absage illegal gewesen sei, da die Regierung nicht die Entscheidungsbefugnis dafür gehabt habe.

 

Israelische Behörden behindern Wahlen in Ost-Jerusalem

 

Zusätzlich zu den innerpalästinensischen Konflikten wird die Durchführung von Wahlen in den Palästinensischen Gebieten von der israelischen Besatzung erschwert. Insbesondere die hunderten Kontrollposten im Westjordanland und die sich seit 2003 in Bau befindliche Sperranlage schränken die Bewegungsfreiheit von Wählern, Kandidaten und Angestellten der Zentralen Wahlkommission teils erheblich ein und mindern insofern den Charakter der Wahlen als frei, fair und transparent.

 

Im von Israel annektierten Ost-Jerusalem sind palästinensische Wahlen prinzipiell möglich, werden aber von den israelischen Behörden behindert. Die unabhängig arbeitende Zentrale Wahlkommission, die die Kommunalwahlen überwacht, vorbereitet und organisiert, wirft der israelischen Stadtverwaltung vor, an Wahltagen nicht genügend Wahlhelfer zur Verfügung zu stellen.

 

Außerdem behauptet sie, dass israelische Behörden Registrierungsstellen durchsuchen, um die Ausweisnummern in den Registern aufzuzeichnen. Darüber hinaus führt sie an, dass Wahlen in Jerusalem von Mitarbeitern der israelischen Postbehörde überwacht werden, die nie durch die Zentrale Wahlkommission ausgebildet wurden. Derartige Restriktionen werden von der Europäischen Union regelmäßig scharf verurteilt.

 

Nach dem wiederholten Scheitern der Durchführung von Wahlen in den vergangenen zwei Jahren kündigte die Regierung Fayyad im Sommer 2012 erneut Kommunalwahlen an, die am 20. Oktober 2012 in 353 Gebietskörperschaften stattfinden sollen und für die sich 518.000 Palästinenserinnen und Palästinenser (etwa 54 Prozent aller Wahlberechtigten) haben registrieren lassen.

 

Begründet wurde dies mit dem erwähnten Gerichtsurteil vom Dezember 2010. Der Fatah-Abgeordnete Abdullah Abdullah glaubt, dass die Lokalvertretungen durch die Wahlen an demokratischer Legitimität gewinnen werden und nach dem Urnengang eine Vielzahl von Problemfeldern wie »die lokale Wasserversorgung, die Müllabfuhr, Strom und Straßen« effektiver bearbeiten können.

 

Nur in 94 von 353 Wahlkreisen wird am 20. Oktober gewählt

 

Die Hamas hat wiederum zu einem Boykott der Wahlen aufgerufen, was deren Durchführung im von ihr beherrschten Gazastreifen unmöglich macht und folglich auf das Westjordanland beschränkt. Die Islamisten sind davon überzeugt, dass die Fatah die unabhängige Rekrutierung von Wahlhelfern und eine neutrale Überwachung des Wahlgangs sowie der Stimmenauszählung im Westjordanland nicht zulässt.

 

In der palästinensischen Zivilgesellschaft herrscht jedoch die Meinung vor, dass die Kommunalwahlen ein Schritt hin zu einem demokratischen Staat sein können. In einem Gespräch drückte Aref Jaffal, Direktor der Organisation »Al-Marsad«, die unter anderem auch Wahlbeobachtung durchführt, sein Bedauern über den Boykott der Hamas aus.

 

Dennoch befürwortet er eine Durchführung der Wahlen, um zu gewährleisten, dass »die Wahlkultur erhalten bleibt«. Kritik an den Wahlen gibt es aber nicht nur von der Hamas. Rechtsexperten kritisieren das 2005 eingeführte und auf Listen basierende Verhältniswahlrecht. Die Notwendigkeit auf Listen anzutreten und die hohe Sperrklausel von acht Prozent – eine höhere Sperrklausel hat nur die Türkei mit zehn Prozent – benachteiligen unabhängige Kandidaten sowie kleine Parteien, denen kaum Chancen eingeräumt werden.

 

Gekoppelt mit dem Boykott der Hamas führt dies dazu, dass in den meisten der 353 Gebietskörperschaften nur eine einzige Liste zur Wahl antritt, was den Wettbewerbscharakter der Kommunalwahlen erheblich einschränkt. Am 6. Oktober 2012 gab die Zentrale Wahlkommission bekannt, dass die Kommunalwahlen effektiv in lediglich 94 Gebietskörperschaften stattfinden werden.

 

In 181 Gemeinden werden die Sitze wegen mangelnder Konkurrenz mittels Akklamation vergeben. In den übrigen 78 Gemeinden werden auf Grund des Fehlens von Listen die Wahlen erst am 24. November durchgeführt. Bis zum Ende der Berufungsfrist wurden 322 Listen zugelassen, auf denen 4696 Kandidatinnen und Kandidaten stehen, die um insgesamt 1064 kommunale Mandate konkurrieren. Der Frauenanteil auf den Listen liegt bei etwa 25 Prozent.

 

Der größte Herausforderer für die Fatah bleibt die Fatah selbst

 

Ein Novum bei den diesjährigen Kommunalwahlen ist die Aufstellung der reinen Frauenliste »Durch Teilnahme können wir es« in der als konservativ geltenden Stadt Hebron. Sie wollen mit ihrer Kandidatur unter anderem erreichen, dass die Frauen Hebrons nicht auf die drei für sie garantierten Sitze im 15-köpfigen Stadtrat angewiesen sind.

 

Der größte Herausforderer für die Fatah bleibt aber die Fatah selbst. Bereits bei den Parlamentswahlen 2006 war der Mangel an interner Disziplin ein entscheidender Grund für die Wahlniederlage gegen die Hamas. Auch bei den diesjährigen Wahlen werden in einigen Gemeinden Fatah-Mitglieder auf unabhängigen Listen antreten, obwohl die Parteiführung dies verbot.

 

Das führte zum Parteiausschluss von dutzenden Mitgliedern. Die Kommunalwahlen im Westjordanland werden aller Voraussicht nach frei sein. Die Wähler werden ihre Stimme ohne Zwang und unmanipuliert abgeben können. Auch die Wahlregistrierung verlief frei. Dem Recht, ungehindert Wahlkampf zu betreiben, wurde unter anderem durch die überall vorkommenden Wahlplakate und diversen Wahlveranstaltungen der verschiedenen Listen entsprochen.

 

Darüberhinaus gilt die Arbeit der Zentralen Wahlkommission als unabhängig und überparteilich. Die Kommunalwahlen werden somit dafür sorgen, dass die Lokalvertretungen im Westjordanland an demokratischer Legitimität gewinnen. Dies gilt jedoch nicht für diejenigen Distrikte, in denen nur eine Liste antritt und daher keine Wahl, sondern nur eine Akklamation stattfinden wird.

 

Während die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) das ihr Mögliche getan hat, um freie Wahlen stattfinden zu lassen, wirft der Boykott der Hamas einen langen Schatten auf die Wahlen. Dies führt nicht zu einer völligen Delegitimierung des Urnengangs, zeigt aber die Schwächen der palästinensischen Parteienlandschaft auf, die durch zwei große Bewegungen kontrolliert wird und in denen dritte Parteien und Unabhängige nur über sehr geringe Aufstiegs- und Einflussmöglichkeiten verfügen.

 

Dies ist vor allem deshalb Grund zur Sorge, weil eine der beiden großen Bewegungen, die Hamas, jegliche grundlegenden Kriterien demokratischer Herrschaft missachtet. Es bleibt zu hoffen, dass ein reibungsloser Ablauf der Wahlen den Druck auf die Hamas erhöhen wird, freie Wahlen auch in Gaza zuzulassen.

 

Mandatsausübung in den C-Gebieten ist kaum möglich

 

Darüber hinaus stellt sich erneut die Frage nach der Vereinbarkeit von Besatzung und Demokratie. So hatten die Kandidaten durch die zahlreichen israelischen Kontrollpunkte und die Sperranlage nicht die Möglichkeit, in allen Teilen des Westjordanlands Wahlkampf zu betreiben. Auch werden die neuen Kommunalabgeordneten in einem Großteil des Westjordanlands, den von Israel kontrollierten C-Gebieten, kaum ihr Mandat ausüben können.

 

Angesichts der wachsenden Unzufriedenheit der Bewohner des Westjordanlands mit der wirtschaftlichen Lage und den steigenden Lebenshaltungskosten können die neuen Lokalräte dennoch eine wichtige Rolle im Vermittlungsprozess zwischen der Bevölkerung und der politischen Elite übernehmen.

 

Aber auch sie können nur bedingt den Auswirkungen sinkender Wachstumsraten und des teilweisen Ausbleibens internationaler Hilfsgelder entgegenwirken. Neue Sozialproteste, wie sie bereits im September im gesamten Westjordanland stattfanden, sind jederzeit möglich. Dazu kommt, dass sich die Spaltung zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen weiter verfestigen dürfte.

 

Ob es sich, wie die Hamas glaubt, bei den Wahlen um einen unnötigen Alleingang der PA handelt, der die ohnehin geringen Aussichten auf eine nationale Wiederversöhnung verringert, oder ob die Hamas in Gaza mit neuen Unmutsbekundungen konfrontiert werden wird, bleibt jedoch offen. Bisher gibt es keine ernsthaften Pläne der PA zur Abhaltung von Parlaments- und Präsidentschaftswahlen allein im Westjordanland.

 

Ein solcher Schritt könnte zu einer Entwicklung beitragen, in deren Verlauf aus der Option einer Zwei-Staaten-Lösung die Unvermeidlichkeit einer Drei-Staaten-Lösung würde.


Jörg Knocha, ist Projektleiter im Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in den Palästinensischen Gebieten in Ramallah.
Von: 
Jörg Knocha

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