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Kabinett von Hamas und Fatah

Neue Mannschaft mit alten Stammkräften

Analyse

Hamas und Fatah feiern ihr neues, gemeinsames Kabinett, Israels Regierung schäumt, protestiert aber vergeblich. Doch kann der Kompromiss um die Schlüsselpersonalien auch die Kernprobleme in den Palästinensischen Gebieten beheben?

Am 2. Juni 2014 hat Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas in Ramallah die neue Übergangsregierung vereidigt. Bis wenige Stunden zuvor stellte ein öffentlicher Schlagabtausch zwischen Hamas und Fatah die Regierungsbildung noch in Frage. Die Hamas bezichtigte die Fatah öffentlich, eine »unilaterale Einheitsregierung« aufstellen zu wollen. Streit gab es bis zuletzt um die Abschaffung des Ministeriums für Gefangenenangelegenheiten und über den Posten des Außenministers, für den Abbas seinen bisherigen, von der Hamas geächteten, Minister Riyad al-Malki durchdrücken wollte – und letztlich auch konnte.

 

Die Euphorie über die innerpalästinensische Versöhnung war jedoch schon in den letzten Wochen vor der Operette wieder verflogen. Mehr und mehr wirkten die Versöhnungsbemühungen wie Wunschdenken, oder gar wie eine Suche nach kosmetischen Veränderungen zur Besänftigung der Bevölkerung, die seit langem die Versöhnung und Vereinigung fordert. Auch wenn das neue Kabinett Personen ohne Parteizugehörigkeit umfasst – der in den vergangenen Wochen immer wieder genannte Begriff der »Technokratenregierung« scheint nicht ganz angebracht.

 

Insgesamt sind neun von 17 Ministern neue Gesichter in der Regierung. Dabei zeichnen sich einige der neuen Ressortleiter nicht durch besonderes Expertenwissen aus. Den neuen Minister für Bauwesen, Mufid Hasayneh, scheint seine Inhaberschaft mehrerer Geldwechselbüros zu qualifizieren. Weitere Minister sind alte Bekannte von Premierminister Rami Hamdallah aus seiner Zeit als Präsident der Al-Najah-Universität. Wer mit dem Begriff »Technokrat« fachliche Expertise verbindet, muss enttäuscht sein.

 

Weiterhin fehlen für zentrale Probleme die Lösungen: Selbst wenn Premierminister Rami Hamdallah nun auch das Portfolio des Innenministers übernimmt, so wird die entscheidende Frage der Kontrolle über die Sicherheitskräfte vertagt. Die amtsmüde Hamas kann die Regierungsgeschäfte wieder abgeben – ohne jedoch ihre bewaffneten Gruppen der Zentralregierung zu unterstellen. Der bisherige De-Facto-Premier in Gaza, Ismail Haniyeh, nannte die Bildung der neuen Regierung bei seiner Abdankung pflichtbewusst »historisch«. Eine wirkliche Machtübergabe im Sicherheitssektor in Gaza sieht die Regierungsumbildung jedoch nicht vor.

 

Diese (Nicht-)Lösung folgt womöglich dem libanesischen Modell, wo sich der militärische Arm der Hizbullah als »nationale Widerstandsbewegung« nicht der Zentralstaatsgewalt unterstellt. Insbesondere der Gazastreifen und seine spezifischen Probleme müssen nun im Fokus der neuen Regierung Hamdallahs stehen. Dazu zählt die Aufhebung der Blockade, die Verbesserung der Infrastruktur sowie Beschäftigungsmöglichkeiten für die überwiegend junge, gut gebildete Bevölkerung. Die Namen der neuen Minister, so der Eindruck in informierten Kreisen, wurden eng mit den USA abgesprochen.

 

Trotzdem verweigerte Israel drei Ministern aus Gaza die Einreise nach Ramallah zur Vereidigungszeremonie. Die Ankündigung des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu, die neue palästinensische Regierung nicht anzuerkennen und alle Kooperation (außer im Sicherheitsbereich) zu beenden, wirkt eher polemisch als fundiert, schließlich ist die neue palästinensische Regierung keine Unbekannte. Nach der Vereidigung der Minister des neuen Kabinetts bekräftigte Präsident Abbas, dass sich die neue Regierung an alle Verpflichtungen und Abkommen halten würde.

 

Jedoch sagte er auch, dass – auch wenn man keine Eskalation wolle – alle israelischen Strafmaßnahmen gegen die neue Regierung Reaktionen seitens der Palästinenser nach sich ziehen würden. Ein harmonischer Auftakt sieht anders aus. Wenn die neue Regierung allerdings ihren Auftrag ernst nimmt, freie und faire Neuwahlen vorzubereiten, dann wird von dieser Umbildung doch Positives ausgehen. Denn dann steht zu hoffen, dass die Palästinenser endlich wieder selbst entscheiden dürfen, wer regiert.


Jakob Rieken ist Projekt-Manager bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Ost-Jerusalem. Der Artikel stellt die Meinung des Autors dar und spiegelt nicht die Meinung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.

Von: 
Jakob Rieken

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