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Identitätskonflikte in Malaysia

Malaysias Allah ist nicht mehr Gott

Analyse

Der absurde Zwist um den Gottesnamen wirft ein Licht auf die Identitätskonflikte in Malaysia. Dabei geht es weniger um theologische Feinheiten, sondern vielmehr um leicht zu manipulierende, tiefsitzende Ängste der Muslime.

Malaysia präsentiert sich gerne als islamisches Vorzeigeland und ist auch im Westen ein oft zitiertes Beispiel für einen religiös moderaten und wirtschaftlich aufstrebenden Vielvölkerstaat. Muslimische Malaien, die knapp über die Hälfte der Einwohner ausmachen, einheimische Ethnien, chinesische und indischstämmige Malaysier, sie alle leben hier freundlich lächelnd in farbenfroh kostümierter Harmonie miteinander – das behauptet zumindest die erfolgreiche Tourismuswerbung unter dem Motto »Malaysia – Truly Asia«.

 

Doch die multikulturelle malaysische Gesellschaft wird durch politische Instrumentalisierung ethnischer und religiöser Identitäten zunehmend polarisiert.  Die Auswüchse dieser Entwicklung gehen als bizarre Schlagzeilen immer wieder mal durch die Weltpresse.

 

So nun auch das Mitte Oktober verkündete Urteil des Berufungsgerichtes, in dem malaysischen Christen von nun an untersagt wird, Gott weiterhin auf Malaiisch »Allah« zu nennen, denn, so lautet die Argumentation: Allah ist nicht der christliche Gott, und das Wort »Allah« ist kein integraler Bestandteil der christlichen Religion und der Glaubenspraxis. Wenn Gott als Allah bezeichnet wird, dann könne das sowohl Muslime als auch Christen in religiöse Verwirrung führen. Und das wiederum würde den sozialen Frieden im Lande bedrohen.

 

Das Problem, welche Religion Gott bei welchem Namen nennen darf, beschäftigt Malaysia schon seit ein paar Jahren. Konkret geht es um die katholische Wochenzeitung The Herald, die in ihrer malaiischsprachigen Ausgabe »Gott« mit dem arabischen Wort »Allah« übersetzt hat. Das ist nun nichts Ungewöhnliches, denn seit den Anfängen der Bibelübersetzung in das Malaiische im frühen 17. Jahrhundert und später auch Indonesische wurde »Gott« immer als »Allah« übersetzt.

 

Alternativ wird »Tuhan« verwendet, das auch »Gott« bedeutet, aber eher an seine Rolle als »Herrn« denken lässt. Auch für die arabischen Christen ist Gott seit den ältesten bekannten Übersetzungen der Bibel in das Arabische selbstverständlich Allah. Gleiches gilt für den Namen der Bibel, der auf Malaiisch und Indonesisch aus dem Arabischen entlehnt ist: »Alkitab – das Buch«.

 

Keine Religionsfreiheit für Malaien

 

Entsprechend irritiert, zwischen Verständnislosigkeit und Belustigung schwankend, waren denn auch die Reaktionen aus der arabischen Welt zum malaysischen »Allah-Urteil«. Der Schweizer Theologe Tariq Ramadan twitterte: »Why do we get emotional when others use the word #Allah? There is only one God. My God is your God. Allah is not just the God for Muslims.« Malaiische Intellektuelle wiederum befürchteten, Malaysia mache sich mit dieser irrigen Wortklauberei zum internationalen Gespött, mache das Urteil doch vor allem eines deutlich: eklatante Wissenslücken in Sachen Islam.

 

Befürworter des Urteils verweisen immer wieder auf die angeblich spezifische Situation der Muslime in Malaysia. So erklärte einer der drei Richter, Mohd Nawawi bin Salleh, in seinem Urteil, das Problem, ob Allah auch der christliche Gott sei, stelle sich für die arabischsprachigen Christen nicht, doch in nicht-arabischsprachigen muslimischen Ländern müssten die jeweiligen lokalen Bedingungen beachtet werden.

 

Seine weiteren Begründungsversuche verlieren sich jedoch heillos in Widersprüchen und basieren augenscheinlich auf einer oberflächlichen Internetrecherche. Anders als zum Beispiel im benachbarten Indonesien, wo es unter den vornehmlich muslimischen Javanern auch sehr lebendige und im öffentlichen Leben sichtbare christliche Gemeinden gibt, ist in Malaysia die ethnische Zugehörigkeit der Malaien gesetzlich an den Islam gebunden: Ein Malaie muss sich zum islamischen Glauben bekennen.

 

Malaysia ist laut Verfassung ein islamischer Staat, in dem jedoch Religionsfreiheit gilt – außer für die Malaien beziehungsweise Muslime, und nur solange »Frieden und Harmonie« gewahrt bleiben. Malaientum und Islam werden seit Jahrhunderten fast als Synonyme verstanden. So sagt man, wenn jemand zum Islam konvertiert ist, er sei »masuk Melayu«, das heißt »ins Malaientum eingetreten« beziehungsweise »zum Malaien geworden«.

 

Christliche Chinesen und Inder haben folglich für eine malaiischsprachige Bibel so gut wie keine Verwendung

 

Malaiisch (»Bahasa Melayu«), immer mal wieder umbenannt in »Malaysisch« (»Bahasa Malaysia«), ist zwar Amtssprache, wird im alltäglichen Leben aber zumeist nur von den Malaien gesprochen, während die ethnischen Chinesen Mandarin, Kantonesisch, Hokkien und andere chinesische Sprachen sprechen und die indischstämmigen Malaysier vor allem Tamil, Telugu und Malayalam.

 

Gerade in den urbanen Gebieten ist zudem auch das Englische oder »Manglish« übliche Verkehrssprache. Christen machen mit etwas über 2 Millionen Gläubigen weniger als 10 Prozent der Bevölkerung aus, die meisten von ihnen sind ethnische Chinesen, Inder oder nichtmalaiische einheimische Ethnien, die in Ostmalaysia (im Norden der Insel Borneo) leben. Christliche Chinesen und Inder haben folglich für eine malaiischsprachige Bibel so gut wie keine Verwendung, ihre Gottesdienste werden in den chinesischen oder indischen Sprachen oder auf Englisch gehalten.

 

Diese malaysischen Christen kennen »Allah« in der Tat vornehmlich als den Gott der Muslime oder die muslimische – nicht christliche – Bezeichnung für Gott. Anders sieht es jedoch in Ostmalaysia, den im Norden der Insel Borneo gelegenen Bundesstaaten Sarawak und Sabah aus. Hier wohnen die meisten Christen Malaysias. Fast die Hälfte der nichtmalaiischen einheimischen Ethnien ist christianisiert, so große Teile der Iban, Dayak und Penan.

 

Sie sprechen dem Malaiischen nahestehende Sprachen, das Malaiische fungiert als ethnische Zugehörigkeiten überschreitende gemeinsame Sprache. Der christliche Gott ist hier so selbstverständlich Allah wie im benachbarten Indonesien. Hier erscheint auch die katholische Wochenzeitung The Herald, ein Blatt von und für Katholiken, in dem es unter anderem auch eine malaiischsprachige Sektion gibt, an der sich die Causa Allah entzündete.  

  

Wer genau ein Malaie ist und was unter »malaiisch« zu verstehen ist, war schon immer schwer zu fassen

 

Ende 2007 untersagte das Innenministerium dem Herald, weiterhin das Wort »Allah« zu verwenden. Kurz darauf wurden 15.000 aus Indonesien stammende malaiischsprachige Bibeln konfisziert. Doch als am 31. Dezember 2009 der Oberste Gerichtshof in Kuala Lumpur das Verbot aufhob, indem er sich auf die von der Verfassung garantierte Religionsfreiheit berief und urteilte, das Wort »Allah« sei ein für die malaiischsprachige katholische Kirche integraler Bestandteil dieses Glaubens, eskalierte die öffentliche Meinungsmache.

 

Es folgten Anschläge auf Kirchen. Der Oppositionspolitiker Anwar Ibrahim warf 2010 im Wall Street Journal Politikern, Mainstreammedien und einigen Nichtregierungsorganisationen, die der herrschenden UMNO (»United Malays National Organization«) nahestehen, eine skrupellose Instrumentalisierung des Konfliktes vor. Das von der UMNO dominierte Parteienbündnis »Barisan Nasional« (Nationale Front) hatte 2008 erstmals die bisherige Zweidrittelmehrheit verloren, zur Rückgewinnung der Wählergunst schienen alle Mittel recht.

 

So habe die größte malaiischsprachige Zeitung des Landes, der im Besitz der UMNO stehende Utusan Malaysia, durch demagogische Emotionalisierung gezielt muslimische Ängste geschürt: Die Verwendung des Wortes »Allah« durch Christen entweihe den islamischen Gott, denn Allah bezeichne einzig den islamischen, streng monotheistischen Gott und habe nichts mit der christlichen Vorstellung von der Dreieinigkeit Gottes zu tun.

 

Der damalige Vizeminister für Innere Sicherheit, Mohd Johari Baharum, hatte bereits 2007 erklärt, nur Muslime dürften von Allah sprechen, denn »Allah« sei ein muslimisches Wort. Auch das Schreckgespenst einer christlichen Verschwörung, die an einer Christianisierung des derzeit noch mehrheitlich muslimischen Malaysias arbeite, wurde und wird immer wieder beschwört. Für weitere Verwirrung und Rechtsunsicherheit sorgen unterschiedliche Äußerungen von Ministern und Politikern zu der Frage, ob sich das Verbot nur auf die malaiischsprachige Ausgabe des Herald beziehe oder generell alle christlichen Texte, Predigten und Äußerungen betreffe.

 

So erklärte der Generalstaatsanwalt Tan Sri Abdul Gani Patail gegenüber dem Malaysian Insider, malaiische Bibeln seien vom Verbot ausgenommen – mit der bizarren Begründung, dass Bibeln auf den Gottesdienst und den Gebrauch in christlichen Familien begrenzt seien, der Herald jedoch als Wochenblatt frei verkäuflich sei und im Internet auch von Muslimen gelesen werden könne, beide Schriften seien also unterschiedlich zu behandeln.

 

Man ahnt, hier geht es weniger um theologische Feinheiten, sondern vielmehr um leicht zu manipulierende, tiefsitzende Ängste der Muslime. Die stellen zwar mit etwas über 60 Prozent die Mehrheit der Bevölkerung, werden aber von diffusen Minderwertigkeitsgefühlen verunsichert. Wer genau ein Malaie ist, was unter »malaiisch« zu verstehen ist, das war schon immer schwer zu fassen.

 

Es ist ein historisch offenes, flexibles, sich fließend unterschiedlichen Kontexten anpassendes Konzept, das sich westlichen Begriffen von »Volk« und »Nation« entzieht und in Zeiten globaler Identitätspolitik und den damit einhergehenden Polarisierungen weiter unter Druck gerät. Die Gleichsetzung von »Malaiischsein« mit »Islam« scheint der einzige identitätssichernde Fixpunkt zu sein. Entsprechend wird in Demonstrationen gefordert: »Allah for Muslims Only« – als sei Allah ein Objekt, das einer Gruppe von Menschen gehören kann, ein Ding, das einem weggenommen oder kaputtgemacht werden könnte.

 

Die Saat der Exklusivität

 

Premierminister Najib Razak, der seit 2010 mit seiner »1Malaysia«-Kampagne interethnische und interreligiöse Toleranz und ein die nationale Einheit stärkendes, gemeinsames malaysisches Identitätsgefühl fördern will, erklärte in seiner Ansprache zum islamischen Neujahr am 5. November, dass seine Regierung den »Namen Allahs« verteidigen werde, aber gleichzeitig weiterhin für »Wasatiyyah«, das heißt eine moderate Auslegung des Islams stehen wolle.

 

Die katholische Kirche hat derweil angekündigt, gegen das Urteil Berufung einzulegen. Die irrationale Vorstellung, mehr und mehr Muslime könnten zum Christentum übertreten, ist weit verbreitet. Das gilt auch für das Nachbarland Indonesien, mit über 200 Millionen Muslimen das bevölkerungsreichste muslimische Land der Welt. Panik vor »Kristenisasi« wird seit Jahren regelmäßig von muslimischen Hardlinern geschürt, es sind Horror-Geschichten im Umlauf von unter Hypnose erzwungenen Konversionen.

 

Christliche Hilfsaktionen nach Naturkatastrophen werden immer wieder der verdeckten Missionierung verdächtigt, indem sie die Gefühle der Opfer unter dem Deckmantel der Barmherzigkeit so manipulierten, dass diese willig seien oder sich gar gezwungen sähen, aus Dankbarkeit für die Hilfe zum Christentum überzutreten. Der Chefredakteur der englischsprachigen Jakarta Post, Endy M. Bayuni, warnte in einem Kommentar bereits vor den möglichen überregionalen Folgen des malaysischen Allah-Urteils. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis jemand dem malaysischen Beispiel folge und Vorbehalte gegen die Verwendung des Wortes »Allah« durch indonesische Christen erhebe. Die »Saat der Exklusivität« sei auch im Inselstaat längst gesät.

Von: 
Bettina David

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