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Fahrplan zu Neuwahlen auf den Malediven

Machtpoker in Malé

Analyse

Drei Monate nach dem Machtwechsel haben sich die politischen Kontrahenten auf den Malediven auf einen Fahrplan zu Neuwahlen geeinigt – nicht zuletzt wegen des wachsenden internationalen Drucks.

Am 7. Februar dieses Jahres erklärte der damalige Präsident der Malediven, Mohamed Nasheed, in einer Fernsehansprache seinen Rücktritt. Die Regierungsverantwortung ging auf den bisherigen Vizepräsidenten Mohamed Waheed über. Am nächsten Tag ließ Nasheed jedoch verlautbaren, dass er vom Militär mit Waffengewalt zu seinem Schritt gezwungen worden sei. Als Verantwortlichen für den angeblichen Putsch machte er seinen Amtsvorgänger Gayoom aus, von dem er die Macht im Jahr 2008 in erstmals abgehaltenen freien Wahlen übernommen hatte. Die Sicherheitskräfte erließen umgehend einen Haftbefehl gegen Nasheed, der bisher jedoch nicht vollstreckt wurde.

 

Unruhige Wochen folgten. Immer wieder kam es zu Zusammenstößen zwischen Polizisten und Demonstranten. Waheed stellte ein Kabinett zusammen und kündigte Neuwahlen im Oktober 2013 an. Nasheed forderte schnellstmögliche Neuwahlen, um sich von der verbreiteten Empörung über die Umstände des Machtwechsels erneut in das präsidiale Amt tragen zu lassen. Seine Anhänger hinderten Waheed im März daran, die verfassungsgemäß vorgeschriebene Antrittsrede im Parlament zu halten.

 

Inzwischen hat sich die Lage beruhigt. Als Wahltermin wird nun der Juli 2013 angestrebt. Auch Nasheed scheint dies – wenn auch zähneknirschend – akzeptiert zu haben. Allerdings ist die Festlegung des Termins weniger auf die Einsicht der Beteiligten, sondern vielmehr auf internationalen diplomatischen Druck, vor allem seitens Indiens und der USA, zurückzuführen. Beide Länder sind an einer stabilen Situation auf den Malediven interessiert. An diesen führt der große, west-östliche Schifffahrtsweg vorbei, über den fast der gesamte indische Außenhandel läuft. Eine Destabilisierung könnte zudem den Drogenschmuggel sowie den Einfluss radikaler islamischer Gruppierungen befördern. Eine »Pakistanisierung« der Inseln an seiner Südspitze möchte man in Indien auf jeden Fall vermeiden. Die USA wiederum sieht die Kontrolle der internationalen Verkehrswege als eines ihrer sicherheitspolitischen Ziele. Die maledivische Krise gab den strategischen Partnern zudem die Möglichkeit, den wachsenden chinesischen Einfluss im Indischen Ozean zurückzudrängen.

 

Seit den 1990er Jahren bemühte sich China, dort eine »Perlenkette« maritimer Stützpunkte aufzubauen, um seine Öllieferungen aus dem Persischen Golf und Afrika zu sichern. Aus diesem Grund bemühte sich Peking auch erfolgreich um eine Verbesserung seiner außenpolitischen Beziehung zu dem winzigen Inselstaat. Im Jahr 1999 schloss der damalige Präsident Gayoom ein Verteidigungsbündnis mit China. Dessen Inhalt ist bis heute nicht bekannt, zur Einrichtung eines chinesischen Stützpunktes kam es jedenfalls nicht. Nasheed erteilte diesem Kurs nach seiner Wahl eine Absage und erklärte sich als Freund allein Indiens. Um diese Haltung zu bekräftigen, leaste er den Betrieb des Flughafens nicht an eine maledivische Firma sondern den indischen Konzern GRM.

 

China und Indien buhlen um Einfluss im Indischen Ozean

 

Dieser Schritt war nachvollziehbar. Seit 1974 wird der Ausbau der Tourismusindustrie auf den Malediven vor allem mit Krediten aus Indien finanziert. Die State Bank of India (SBI) ist die stärkste Bank auf den Malediven und kontrolliert dort ein Viertel aller Spareinlagen sowie über 40 Prozent der vergebenen Kredite. Im Jahr 2009 zeichnete sie maledivische Schuldverschreibungen im Wert von 100 Millionen US-Dollar und rettete so das kleine Land vor einer finanziellen Krise. Zwei Jahre später vergab die Import-Export-Bank Indiens einen Kredit von 40 Millionen US-Dollar zum Ausbau der Infrastruktur. Das indische Militär lieferte Patrouillenboote und Radarstationen an die Küstenwache der Malediven. Ein indischer Vizeadmiral bezeichnete die Malediven aus diesem Grund als »praktisch einen indischen Außenposten«.

 

China jedoch ließ sich von Nasheeds Absage nicht entmutigen und verstärkte seine diplomatischen und wirtschaftspolitischen Bemühungen. Peking eröffnete eine Botschaft in Malé und finanzierte den Bau des Außenministeriums sowie eines Nationalmuseums – dessen Exponate bei den Unruhen im Februar allerdings weitgehend zerstört wurden. Im Gegenzug vergab Nasheed – der gegen rein wirtschaftliche Beziehungen nichts einzuwenden hatte – den Auftrag zum Bau von 1000 Häusern an eine chinesische Firma. Das Außenhandelsvolumen zwischen den beiden Ländern stieg von 2009 bis 2010 um 56 Prozent an. Gleichzeitig entdeckte eine wachsende chinesische Mittelschicht die Atolle als Reiseziel und trägt so zu Deviseneinnahmen bei.

 

Trotz seines Bekenntnisses zu Indien musste Nasheed im Februar jedoch an das berühmte Diktum General de Gaulles erinnert gefühlt haben, demzufolge Staaten allein Interessen und keine Freunde hätten. Angeblich bat er die indische Staatsführung nach dem Machtwechsel um Unterstützung, wurde jedoch zurückgewiesen. Auch die Regierung des benachbarten Sri Lanka erteilte jedweder Intervention durch eine auswärtige Partei eine klare Absage. Ebenso wie Indien, die USA und China beglückwünschte sie den neuen Präsidenten Waheed und gab ihrer Hoffnung auf gute Zusammenarbeit Ausdruck.

 

Auch der britische Premier Cameron – der Nasheed ob dessen Bemühungen zum Klimaschutz dereinst als seinen »neuen besten Freund« bezeichnet hatte – blieb stumm. Allein der Staatenbund Commonwealth schlug sich auf die Seite Nasheeds und forderte Neuwahlen bis zum Jahresende 2012. Allerdings fiel diese Meinung angesichts der vereinten Anerkennung der Großmächte kaum ins Gewicht. Diese akzeptierten den Status Quo, selbst wenn  die genauen Umstände des Machtwechsels unklar blieben. Die Stabilisierung der Lage erschien vorrangig.

 

Wahlkampf und Politik werden in den nächsten 14 Monaten kaum zu trennen sein

 

Hochrangige Diplomaten wie US-Staatssekretär Blake und der indische Außenminister Ranjan Mathai reisten auf die Malediven, um die Gegenspieler zu einer Konsenslösung zu drängen. Unter Beteiligung der UN vermittelten sie Gespräche zwischen den Parteien. In der letzten Aprilwoche kam dann Bewegung in die festgefahrene Situation. Nasheed kehrte von einem Kurzbesuch aus Indien zurück, auf dem er – ohne großen Erfolg – für einen frühen Wahltermin zu werben versucht hatte. Das maledivische Parlament bestätigte Waheeds Kabinett in einer Abstimmung, der sich Nasheeds Partei MDP allerdings enthielt.

 

Bei den Mehrparteiengesprächen einigten sich die Teilnehmer auf eine Versachlichung des Dialoges und bestimmten Kernthemen, die im Zentrum weiterer Gespräche stehen sollen. Neben der prekären wirtschaftlichen Situation des Landes zählen hierzu Gesetzes- und Verfassungsfragen sowie Reformen im Justizwesen und nicht zuletzt die Bekämpfung der hohen Kriminalitätsrate. Waheed erklärte sich mit dem von indischer Seite vorgeschlagenen Wahltermin im Juli 2013 einverstanden. Ein früherer Termin war aus indischer Sicht kaum möglich, da der Wahl eine Verfassungsreform vorausgehen soll. Auch Nasheed scheint in diesem Punkt beizugeben. Er erklärte, »mehr als zufrieden mit Indien« zu sein, welches nur »das Beste des maledivischen Volkes im Sinne« hätte. Im Gegenzug bewilligte Indien einen Sofortkredit von 20 Millionen US-Dollar. Dies wurde auf den Malediven erleichtert aufgenommen, denn die SBI hatte dort bereits im Februar den Geldhahn zugedreht, um den Forderungen der indischen Diplomaten Nachdruck zu verleihen.

 

Inwieweit die diplomatische Intervention von Außen nun die Demokratie auf den Malediven befördert hat, ist schwer zu sagen. Auf der einen Seite haben sich die Parteien zu einer konstruktiven Zusammenarbeit verpflichtet, um die drängendsten Probleme des Landes anzugehen. Dies schließt auch Reformen im Justizwesen ein, an denen Nasheed in seiner Amtszeit gescheitert war. Auf der anderen Seite wird das Land bis zum Juli 2013 von einem Präsidenten geführt, der nicht durch Wahlen legitimiert und unter ungeklärten Umständen zu seinem Amt gekommen ist.

 

Eine Untersuchungskommission zu den Vorgängen der Machtübernahme wurde zwar eingesetzt, bezüglich deren Neutralität hegen Nasheeds Parteigänger jedoch Zweifel, denen sich auch Transparency International anschloss. Das Commonwealth kritisierte die Zusammensetzung der Kommission ebenfalls, musste dafür jedoch den Spott von US-Diplomaten einstecken. Die USA begrüßten die Einsetzung der Kommission und erklärten, über die USAID ein Wahlhilfeprogramm (von bescheidenen 500.000 Dollar) aufzulegen, um die Transparenz der anstehenden Wahlen zu gewährleisten. Wahlkampf und Politik werden in den nächsten 14 Monaten kaum zu trennen sein. Hierbei haben Waheed und seine Parteigänger ob der Festlegung eines späten Wahltermins sowie der Bestätigung ihrer Regierung durch die Großmächte einen klaren Startvorteil.

 

Der »Volksfreund« in der Zwickmühle

 

Es wird für Nasheed immer schwerer, sich als alleinigen Garanten für eine Demokratisierung der Malediven zu präsentieren. Stattdessen sieht er sich immer weiter in die Defensive gedrängt. Den Hoffnungen, die mit seinem Regierungsantritt im Jahr 2008 verknüpft waren, konnte er nicht gerecht werden. Die meisten der einflussreichen Politiker haben sich von ihm abgewendet. Sein ehemaliger Vize Waheed hat nun die Regierungsgewalt inne. Dessen politischer Berater Saeed wird nicht müde, Nasheed in scharfen Worten die Fähigkeit zur Regierungsführung abzusprechen.

 

Selbst in Nasheeds eigener Partei zeigen sich erstmals Risse. Nachdem sie sich gegen eine Position Nasheeds ausgesprochen hatten, wurden die beiden Parteivorsitzenden zwar umgehend abgewählt, dies führte jedoch zu Kontroversen innerhalb der MDP. Nicht alle Mitglieder wollen ihre Partei als willfährigen Wahlverein Nasheeds sehen. Die Protestbewegung gegen den Machtwechsel ebbt weiter ab. Sein positives Image in westlichen Medien als »grüner Inselpräsident« kann Nasheed im Machtkampf auf den Malediven nicht helfen. Präsident Waheed hat zudem die Einrichtung eines Umweltministeriums angekündigt, um Nasheed bei diesem Thema den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wie seine Vorgänger hat er inzwischen ausländische PR-Experten (in diesem Fall die US-amerikanische Firma Rudder Finn sowie die britische Agentur Rooster) angeheuert, um das Image der Malediven und seiner Präsidentschaft zu stärken.

 

Waheeds Kabinett macht einen soliden Eindruck, besteht jedoch zu einem großen Teil aus Weggefährten und Parteigängern des ehemaligen Präsidenten Gayoom – dessen Tochter nun das Außenministerium führt. Auf der einen Seite scheint dies Nasheeds Behauptung, dass Gayoom der eigentliche Drahtzieher hinter dem Machtwechsel ist, zu bestätigen. Auf der anderen Seite sind die Malediven ein kleines Land, das nur über eine ebenfalls kleine politische Kaste verfügt. Auch in Nasheeds Kabinett befanden sich Mitglieder der Regierung seines Vorgängers Gayoom.

 

Doch die Mehrzahl der Geschäftselite – die nicht selten auch in der Politik aktiv ist – zieht einen von Gayoom unterstützten Präsident Waheed sicherlich dem »Volksfreund« Nasheed vor. Dieser befindet sich nun in einer Zwickmühle. Boykottiert seine Partei weiterhin die Arbeit des Parlaments, fängt er sich über kurz oder lang den Ruf eines anti-demokratischen Störenfriedes ein. Arbeitet er hingegen konstruktiv an von Waheed einzuleitenden Reformen mit, so hilft er der Popularität seines ehemaligen Vizepräsidenten auf die Sprünge. Dieser hat bereits begonnen, sich zu profilieren.

 

Dass es zu einer Zusammenarbeit der Kontrahenten in Sachfragen kommt, ist allerdings zu hoffen. Zu drängend sind die Probleme des Landes. Eine hohe Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit, Drogenmissbrauch, mangelnde Verteilungsgerechtigkeit sowie ein Reformstau in Verwaltung und Justiz machen den Maledivern zu schaffen. Die Unfähigkeit, diese Probleme zu bewältigen, hat Gayoom dereinst das Präsidentenamt und Nasheed die Unterstützung mancher Anhänger gekostet. Im Juli 2013 werden die Malediver erneut Bilanz ziehen.

Von: 
Arne Segelke

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