Die frühen Korankommentatoren sparten nicht mit Ausschmückungen zum islamischen Paradies. Eine Frage ließen sie aber lange offen: Was genau gibt es dort zu Essen?
Der christliche Himmel muss wohl stinklangweilig sein, wenn die Engel dort den ganzen Tag tatsächlich nur Palestrina singen. Es gibt dort vor allem vieles nicht: keinen Hunger und keinen Durst, keine Hitze, keine Tränen; weder Tod noch Leid noch Schmerzen noch Geschrei. Deshalb haben die Christen, um ihre Glaubenslehre herum, noch extra das Schlaraffenland erfinden müssen.
Im islamischen Paradies ist das alles bereits voll integriert. Neben schönen Gärten, luxuriösen Gemächern und hinreißenden Frauen, den Huris, gibt es dort auch beste Verpflegung. Zu trinken (so steht es in Vers 47:15) gibt es aus den Paradiesflüssen Wasser, Wein, Milch und Honig. Ja, auch Wein. Den Gläubigen wird sogar ein hervorragender Tropfen kredenzt, »von dem sie weder Kopfweh bekommen noch betrunken werden« (56:18–19). Als Ernährung nennt der Koran Obst und Geflügel – gesundes, bekömmliches Essen also.
Wörtlich ist in Vers 56:21 die Rede von »Fleisch von Geflügel, wonach immer sie Lust haben«. Aber was für Geflügel ist das genau? Diese Art von Fragen pflegten die frühesten Koranausleger sowohl zu stellen als auch zu beantworten. Merkwürdigerweise haben sie das in diesem Fall aber nicht getan. Auch die Überlieferung vom Propheten schweigt stille. Die Vögel, in denen sich die Seelen der Märtyrer befinden, werden wohl nicht gemeint sein.
In dem riesigen Baum, der mitten im Paradies steht und in dem nach einer späten Tradition goldene Schmetterlinge sitzen, könnte man sich dagegen gut auch riesige Vögel vorstellen. In den Korankommentaren werden sie aber erst bei dem späten Ibn Kathir aus dem 14. Jahrhundert ausdrücklich genannt. Er schreibt von Vögeln »mit Nacken wie Schlachtkamele« oder »Vögeln so groß wie Trampeltiere, die Nahrung suchen in den Bäumen des Paradieses«.
Bei Ibn Kathir wird auch die Wahlmöglichkeit, die der Koranvers anbietet (»wonach immer sie Lust haben«) ausgearbeitet: Vögel, die 70.000 Federn haben, jede in einer anderen Farbe, stehen in Reih und Glied; der Gläubige muss bloß einen auswählen, und schon fällt er gebraten vor ihm nieder. »Auf seinen Teller«, fügt eine Textvariante hinzu. Keiner muss sich also vorstellen, wie im Paradies Tiere geschlachtet werden, und auch die Unbequemlichkeit von gebratenen Tauben, die einem plötzlich in den Mund fliegen, bleibt Muslimen erspart.
Nachdem er aufgegessen ist, fliegt der Vogel übrigens unversehrt wieder weg. Im Koran (in Vers 2:260) wird in einem anderen Kontext über die Wiederbelebung toter Vögel gesprochen; das auf die Paradiesvögel zu beziehen, war wohl kein großer Schritt.
»Lobpreis sei Ihm, der mich geschaffen und gegart hat, und mein Fleisch zur Nahrung für Seine gottesfürchtigen Knechte gemacht hat«
Wohl schon vor Ibn Kathir gibt es in dem anonymen »Kitab al-’Azama« einen zusammenhängenden Text über das Paradies.
Über das himmlische Geflügel steht dort zu lesen: »Auf den Bäumen sitzen Vögel so groß wie Trampeltiere, und der Freund Gottes isst von ihrem Fleisch. Wenn es ihn gelüstet, fällt es vor ihm nieder, so dass er davon essen kann, gegrillt oder gekocht, wie er es wünscht. Es fällt vor ihm nieder durch die Allmacht Gottes, der zu etwas sagt: ›Werd‹, und es wird. Wenn der Knecht Gottes von dem gegessen hat, was er begehrte, und aufstehen will, so ist der Vogel gleich wieder da, lebendig, fett und gar. Dann fliegt er auf, Gott mit den Worten verherrlichend: ›Lobpreis sei Ihm, der mich geschaffen und gegart hat, und mein Fleisch zur Nahrung für Seine gottesfürchtigen Knechte gemacht hat.‹«
Auch dies ist eine Art der Koranauslegung, aber nicht der (nach damaligen Maßstäben) wissenschaftlichen Sorte. Die Wahl zwischen »gegrillt oder gekocht« ist neu, wie auch der Lobpreis des wiederbelebten Vogels. Die lediglich vier Wörter, die der Koran dem Paradiesgeflügel widmet, haben also die Fantasie der Menschen gereizt, obwohl die »kanonische« Tradition und die früheste Koranauslegung diese außen vor gehalten hatten.
Manches davon klingt heute zum Lachen – etwa wenn der Vogel zubereitet auf den Teller fällt oder wenn er nach dem Verzehr lebendig wieder auffliegt und fliegend noch den Herrn lobt. Aber die Autoren haben das wohl nicht witzig gemeint, und ihr Publikum wird nicht darüber gelacht haben. In den Jahrhunderten nach der Entstehung dieser Texte hat sich die Wertschätzung verschoben, von ernst zu nehmend nach komisch. (Das Umgekehrte kommt auch vor: Es ist oft schwer, über einen Witz zu lachen, der 1.000 Jahre alt ist.)
Der Koran enthält vier Wörter über das Geflügel; je länger der Kommentar, desto komischer ist er
Sehr bestimmt gelacht hat der spöttische arabische Dichter al-Ma’arri (973–1058 n. Ch.), der über eine Reise durch »Paradies und Hölle« schrieb, wie es später Dante in Europa tun sollte. Er versucht, auch sein Publikum zum Lachen zu bringen, indem er das Thema ad absurdum führt. Erst lässt er einen Paradiesbewohner einen marinierten Pfau verspeisen, der auf einem Teller aus Gold »entsteht«.
Das Tier wird nach dem Verzehr wieder sein altes Selbst, was die Anwesenden bewundernd ausrufen lässt: »Erhaben ist Er, der die Knochen wiederbelebt, wo sie schon zerfallen sind! Das ist ja wie es im heiligen Buch heißt: ›Und auch wie da sprach Abraham: Herr, lass mich sehen, wie du belebst die Toten! (...) Sprach er: So nimm vier Vögel und drücke sie an dich, dann leg auf jeden Berg ein Stück von ihnen, dann rufe sie, so kommen sie dir eilend.‹«
»Als Nächstes«, fährt al-Ma’arri fort, »kommt da eine Gans vorbei, so groß wie ein Trampeltier. Einige Leute wünschen sie als Braten – und schon erscheint sie zubereitet auf einem Tisch von Smaragd. Nachdem die Leute von ihr genommen haben, so viel sie wollen, kehrt sie mit der Erlaubnis Gottes in ihre frühere geflügelte Gestalt zurück. Darauf wünschen einige der Anwesenden sie als Spießbraten, andere wollen sie mit dem Sumach-Gewürz zubereitet haben, und wieder andere hätten sie gern in Milch und Essig und mit noch anderen Gewürzen gekocht – und alsbald wird die Gans so, wie man sie wünscht.
Und immer wieder kehrt sie in ihre frühere Gestalt zurück.« Den komischen Effekt erreicht al-Ma’arri – den ich hier in Gregor Schoelers Übersetzung zitierte – durch Konkretisierung und Wiederholung: Der Vogel ist jetzt ein Pfau oder eine Gans geworden; die Rezeptur wird präzisiert und die Gans fährt auf und nieder wie ein Stehaufmännchen. Der Koran enthält vier Wörter über das Geflügel; je länger der Kommentar, desto komischer ist er. Vielleicht hatten die frühesten Muslime ja das »Lachpotenzial« dieses Motivs gewittert und es deshalb lieber nicht kommentieren wollen?