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Arabische Protestbewegung im Oman

Reformen statt Revolution

Feature

Die arabische Protestbewegung hatte 2011 auch den Oman erreicht. Heute steht das Land besser da als vor den Unruhen, die auch Menschenleben gefordert hatten. Mit einem Reformpaket nahm Sultan Qabus dem Protest den Wind aus den Segeln.

Als am 27. Februar 2011 in den Nachrichten im deutschen Fernsehen Bilder von revoltierenden Demonstranten, brennenden Autos und Häusern aus der Hafenstadt Sohar im Oman gezeigt wurden, schien dies perfekt in jenes Bild zu passen, welches schon seit etlichen Wochen regelmäßig in die deutschen Wohnzimmer vom Arabischen Frühling gesendet wurde.

 

Denn auch im Oman regierte ein Herrscher seit 40 Jahren das Land ohne ein parlamentarisches demokratisches System im westlichen Sinne. Ein Fakt, der in der folgenden Berichterstattung in den deutschen Medien über die Unruhen Ende Februar in Oman immer wieder mit Nachdruck unterstrichen wurde. Der Arabische Frühling – nun erstreckte er sich endgültig vom Atlantik bis zum Indischen Ozean, so das allgemeine Credo.

 

Eine tiefer gehende Analyse der Situation im Oman und weitere Berichterstattung über die atemberaubende Entwicklung ließ in den folgenden Monaten auf sich warten. Sie hätte schnell deutlich gemacht, dass die Situation in Oman gänzlich verschieden war und ist von der in Tunesien, Ägypten, Libyen oder gar Syrien.

 

Der 20. »Bericht über die menschliche Entwicklung« des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) vom Oktober 2010 untersuchte die ganzheitliche Entwicklung der Bevölkerung in 135 Ländern der Erde in den vergangenen 40 Jahren und kam zu dem Resultat, dass das Sultanat hierbei weltweit auf Rang 1 liegt.

 

Sultan Qabus bin Said Al-Said hatte die Bevölkerung nicht 40 Jahre lang ausgebeutet, sondern sich kontinuierlich erfolgreich darum bemüht, die Lebenssituation seines Volkes umfassend zu verbessern. Er hatte es sozusagen vom Mittelalter in die Neuzeit katapultiert, ohne es aber seiner kulturellen Wurzeln zu entreißen.

 

Wohl jeder omanische Staatsbürger ist sich der beispiellosen Verbesserung der Lebenssituation in den vergangenen 40 Jahren voll bewusst und dem Sultan auch dankbar dafür – Wieso kam es dann aber zu gewalttätigen Unruhen und Demonstrationen?

 

Die junge Generation ist gut ausgebildet, aber ohne Job

 

Die Bevölkerung Omans ist sehr jung. Durch die konsequente Investition im Gesundheitsbereich fiel die Kindersterblichkeit, die 1970 noch bei 118 pro tausend Geburten lag, drastisch. Heute sterben statistisch gesehen bei 1000 Geburten nur noch zehn Kinder. Die Hälfte der Omanis sind Kinder und Jugendliche.

 

Diese demographische Besonderheit stellt das Land vor die Herausforderung, Ausbildungs- und Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl zur Verfügung zu stellen. Oman investiert seit Beginn der 1970er Jahre kontinuierlich in großem Umfang in Bildung und Ausbildung und regelt seit fast zwei Jahrzehnten die Vergabe von Arbeitsplätzen vorzugsweise an omanische Staatsbürger durch sukzessiv steigende Quoten.

 

Diese »Omanisierung« bewirkte, dass in einigen Wirtschaftszweigen, in denen noch vor zwanzig Jahren überwiegend Gastarbeiter beschäftigt waren, heute fast ausschließlich omanische Staatsbürger arbeiten – dies betrifft auch Niedriglohnsparten wie das Kassenpersonal im Supermarkt. Doch waren die Auswirkungen der Omanisierung nicht so weitreichend, wie sie hätten sein können. Viele der Firmen des Privatsektors beteiligten sich nur sehr halbherzig. Sie sind in Händen von mächtigen Monopolisten, die ihren Gewinn durch Beschäftigung von billigeren Ausländern maximieren wollten; denn für omanische Arbeitnehmer gilt ein höherer Mindestlohn.

 

Zudem investierte der Staat seit 2001 vor allem in industrielle Großprojekte. Durch die Schul- und Ausbildungspolitik sind viele Omanis mittlerweile zwar gut ausgebildet, den meisten fehlt jedoch die Erfahrung bei der Mitarbeit an Großprojekten. Die wirklich qualifizierten Jobs wurden daher nach wie vor oft an Spezialisten aus dem Ausland vergeben. Die eigene Bildungselite hatte somit kaum Aussicht auf Arbeit. Aufgrund der immer noch herrschenden familiären Strukturen waren die arbeitslosen jungen Menschen aber nicht auf der Straße zu sehen, sie wurden weiterhin von ihren Familien unterhalten.

 

Diese junge Generation mit Bildung, aber ohne Job, fing an, ihren Frust und ihre Sorgen in verschiedenen omanischen Internetforen und Blogs öffentlich zu machen. Die offizielle Presse und die Medien unterschätzten oder ignorierten dieses Problem lange Zeit. Sie schwiegen zu den Spannungen, die aufgrund der hohen Jugendarbeitslosigkeit entstanden und auch zu einem weiteren Problem, welches sich im Laufe der jüngeren Staatsentwicklung herausgebildet hatte – eine teilweise korrupte Führungsschicht.

 

Mit der Zeit hatte sich eine Klasse aus autoritären Ministern, Wirtschaftsmagnaten und einigen Sicherheitsorganen herausgebildet, die die Geschicke des Landes leiteten und immer korrupter wurden. Diese erkannten die Zeichen des Wandels nicht und waren der Auffassung, weiterhin als uneingeschränkte Autorität schalten und walten zu können.

 

Im November 2010 feierte das Sultanat Oman sein 40-jähriges Staatsjubiläum. Bereits 1991 hatte Sultan Qabus die »Majlis al-Shura«, den Konsultativrat, als beratendes Organ ins Leben gerufen. Jeder Omani kann hier kandidieren, alle Omanis (Männer wie Frauen) sind aufgefordert, zur Wahl zu gehen – doch der Zulauf hielt sich in Grenzen. Für große Teile der Bevölkerung war es ungewohnt, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen – Sultan Qabus sorgte ja für ihr Wohl.

 

Der Protest entzündete sich an der grassierenden Korruption

 

Doch viele Omanis begannen sich scheinbar an diesem Nationalfeiertag erstmals intensive Gedanken zu machen, wie es mit ihnen weitergehen sollte ohne ihren wohlwollenden Monarchen, der gleichzeitig seinen siebzigsten Geburtstag feierte. Sie hegten die Hoffnung, dass Sultan Qabus nach der 40-Jahr-Feier reformierte politische Richtlinien ausgeben werde – eine Hoffnung, die sich aufgrund der massiven Macht des Klüngels aber nicht erfüllte.

 

Die gleichzeitigen Geschehnisse des Arabischen Frühlings in Tunesien und Ägypten und die dadurch erzielten Veränderungen ermutigten die junge Generation Omans dazu, ebenfalls erstmals öffentlich zu protestieren. Unterstützung bekamen die  Demonstranten auch vom Mufti von Oman, der die Proteste der Jugend guthieß.

 

Nach der in Oman vorherrschenden ibaditischen Glaubesrichtung innerhalb des Islams darf sich die Bevölkerung gegen ungerechte Zustände im Land auflehnen. Der Protest der omanischen Jugend richtete sich vor allem gegen die Korruption und auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, sowie auf Mitbestimmung der Themen und der Politik, die die Zukunft Omans betreffen. Die uneingeschränkte Herrschaft von Sultan Qabus stellte er jedoch nicht in Frage.

 

Demonstrationen waren in Oman auch vor dem Februar 2011 nicht verboten, nur übte so gut wie niemand sein Demonstrationsrecht auch aus. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, daß die ersten Proteste in Sohar auf beiden Seiten aus dem Ruder liefen. Einerseits hatte die Polizei Omans bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei wirkliche Erfahrung im Umgang mit Demonstrationen, geschweige denn mit einzelnen gewaltbereiten Demonstranten – umgekehrt betraten auch die Demonstranten persönliches Neuland.

 

So tragisch es ist, dass am 27. Februar 2011 ein Demonstrant ums Leben kam, so lehrreich war sein Tod für die Vermeidung weiterer Gewaltausbrüche in den folgenden Monaten, in denen Streiks und Demonstrationen das Bild im Land bestimmten und schon fast zum Volkssport wurden.

 

Denn sein Tod rüttelte das ganze Volk auf. Während in Tunesien und Ägypten Facebook und Twitter die Schnittstellen zur Koordinierung des Aufruhrs waren, sendeten sich die Omanis Textnachrichten von Handy zu Handy, in denen sie sich ermahnten, darauf zu achten, dass es zu keiner Gewalt mehr kommt. Bereits am 2. März demonstrierten tausende Omanis, um ihren Protest gegen das Vorgehen gewalttätiger Demonstranten in Sohar und ihr Vertrauen in die Politik von Sultan Qabus zum Ausdruck zu bringen.

 

Ein Reformpaket sollte das Volk besänftigen

 

In den folgenden Monaten überflutete der Monarch sein Volk mit Erlassen und Entscheidungen, mit denen die Forderungen des Volkes erfüllt werden sollten und die teilweise noch darüber hinaus gingen. Er entließ zwölf Minister und ersetzte sie weitgehend durch junge, vom Volk gewählte Abgeordnete der »Majlis al-Shura«; das korrupte Wirtschaftsministerium bekam eine Frist von sechs Wochen zur Selbstauflösung; der im Volk verhasste Minister des »Royal Office« und oberste Sicherheitschef wurde ebenfalls binnen weniger Tage entlassen; Polizei und Staatsanwaltschaft wurden getrennt, letztere kann nun in völliger Unabhängigkeit agieren.

 

Rundfunk und Fernsehen wurden aus dem Informationsministerium ausgegliedert. Die Rechte und Aufgaben der »Majlis al-Shura« wurden stark erweitert – sie hat nun, im Gegensatz zu früher, das Recht, Gesetze zu erlassen und auch die Kontrolle über die Haushalte der Minister und kann diese zur Befragung einbestellen.

 

Die zweite Kammer der Regierung, der Staatsrat (»Majlis al-Dawla«) wurde mit der akademischen Elite der Gesellschaft besetzt. Aufgabe des Rats ist die Mitwirkung bei der Planung zukünftiger Projekte und sozialer Entwicklung. Beide Kammern wurden mit einer Reform der Verfassung beauftragt, in welcher die jüngsten politischen Veränderungen fest verankert werden sollen. Er verfügte die Schaffung von 50.000 Arbeitsplätzen, die Anhebung des Mindesteinkommens für Omanis, die Einführung einer Arbeitslosengrundversorgung und Registrierung aller Arbeitslosen im Land.

 

Ein Indiz für das nun wachsende politische Bewusstsein ist auch die gestiegene Beteiligung an den Wahlen zur »Majlis al-Shura« im Dezember 2011 – sie stieg um 30 Prozent auf über eine halbe Million. Auch die Minsterien und Staatsorgane bemühen sich nun ihrerseits stark um kontinuierlichen Austausch mit den Bürgern. Sie haben in den öffentlichen omanischen Foren Ansprechpersonen installiert, die der Bevölkerung Rede und Antwort stehen. Das erstaunliche ist, dass die Fragen tatsächlich zeitnah in wenigen Stunden beantwortet werden – eine bürokratische Sensation.

 

Viele Firmen des Privatsektors haben wegen der neuen Gesetze Omanis eingestellt. Oft zwar nur mit Widerwillen, aber immerhin können die jungen Leute so nun erste Erfahrungen im Berufsleben sammeln – und die Arbeitgeber auch mit ihnen. Zudem soll das Niveau der Ausbildungsstätten erhöht werden, um den Anforderungen der Industrie besser gerecht zu werden.

 

Für viele Omanis fängt aufgrund dieser umfangreichen Maßnahmen nun ein neuer Zeitabschnitt an. Die Zuversicht der jungen Generation ist deutlich gestiegen. Die vielleicht wichtigste nachhaltige Wirkung der Proteste ist jedoch, dass es keinerlei Tabuthemen mehr gibt, weder im politischen, sozialen, noch im religiösen Bereich. Auch die Nachfolge von Sultan Qabus ist nun allgemeiner Diskussionsstoff. Alles deutet darauf hin, daß sich in Oman schon in naher Zukunft ein politisches System etablieren wird vergleichbar mit dem Englischen – mit einem Premierminister als politischen Führer und einem Monarchen im Hintergrund.

Von: 
Georg Popp und Juma al-Maskari

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