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Wirtschaftskrise und Diversifizierung in Oman

Warum Oman vor dem finanziellen Kollaps steht

Feature
Wirtschaftskrise und Diversifizierung in Oman
Foto: Sebastian Castelier

Die Folgen von Ölpreis-Sturz und Pandemie machen Omans Wirtschaft schwer zu schaffen – und Hilfe von den Nachbarn ist kaum zu erwarten. Sollte die EU nun in die Bresche springen?

Seit dem Ölpreis-Sturz hat die omanische Regierung keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorgelegt. Nach dem Tod von Sultan Qabus am 10. Januar 2020 erbte sein Nachfolger Sultan Haitham Bin Tariq (HBT) aufgeblähte Staatsschulden: Seit 2014 haben sie sich verzwölffacht und entsprechen inzwischen fast 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

 

Und der finanzielle Druck wird weiter steigen. »Durch die Covid-19-Pandemie wird es schwieriger werden, Kredite auf den internationalen Finanzmärkten zu bekommen und zusätzlich ist da noch der neuerliche Einbruch der Ölpreise«, so Yesenn El Radhi, Finanzexperte der »Capital Intelligence Ratings« aus Frankfurt, im Gespräch mit zenith.

 

Bisher hat der Oman damit gerechnet, etwa 80 Prozent seines Haushaltsdefizits 2020 durch Kredite im In- und Ausland zu finanzieren, doch »wegen des Kollapses der Ölpreise wurden alle Pläne erst einmal auf Eis gelegt«, erzählten Insider der Nachrichtenagentur Reuters. Laut El Radhi soll vor allem der größte omanischen Staatsfonds, der »State General Reserve Fund (SGRF)«, diese Lücke schließen. Die Ratingagentur Fitch schätzt, dass aus dem SGRF rund fünf Milliarden US-Dollar abgezogen werden – das entspräche knapp einem Drittel des Gesamtvolumens von etwa 14,3 Milliarden US-Dollar.

 

Wirtschaftskrise und Diversifizierung in Oman
Sultan Qabus Bin Said (1940-2020) regierte Oman fast fünfzig Jahre lang.Foto: Sebastian Castelier

 

Zusätzlich hat die omanische Regierung alle Ministerien und Behörden angewiesen, ihre jeweiligen Ausgaben um mindestens zehn Prozent zu senken. »Ich gehe davon aus, dass die Regierung sogar Subventionen für Strom und Wasser kürzen wird«, so Mohammad Al-Sami, ein Analyst der omanischen Zentralbank gegenüber zenith. Darüber hinaus sind auch weitere Maßnahmen zur Haushaltsfinanzierung denkbar: Verkauf von staatlichen Vermögenswerten, Entwertung des omanischen Rials oder Unterstützungsgesuche beim Internationalen Währungsfonds (IWF).

 

Sultan Qabus hat solche Schritte jahrelang vor sich hergeschoben – aus Furcht vor politischen Unruhen. Stattdessen entschied sich der Monarch, Staatsgelder anzuzapfen, um beispielsweise während des Arabischen Frühlings Proteste im Land den Wind aus den Segeln zu nehmen.

 

»Oman schaffte über all diese Jahre mehr Jobs für junge Leute im öffentlichen Dienst und erhöhte die Löhne für Beamte sowie das Arbeitslosengeld«, so Cinzia Bianco, Golf-Expertin am »European Council on Foreign Relations (ECFR)«. »All diese Maßnahmen gingen auf Kosten der Staatskasse, anstatt nachhaltiges Wachstum zu fördern, vor allem im Privatsektor.«

 

Wirtschaftskrise und Diversifizierung in Oman
Das Hafenprojekt in Duqm ist das Herzstück der omanischen Diversifizierungs- und Modernisierungsstrategie.Foto: Sebastian Castelier

 

Der wirtschaftliche Druck steigt weiter und so kündigt die Regierung für 2021 Sparmaßnahmen an: Stellen im öffentlichen Dienst werden reduziert. Außerdem sollen eine Lohnsteuer und die immer wieder verschobene Mehrwertsteuer endgültig eingeführt werden.

 

Besonders im Nachgang der Covid-19-Pandemie wird die prekäre Situation der omanischen Staatsfinanzen das Land vor große Probleme stellen: Das Sultanat wird keine großen Finanzspritzen oder Konjunkturpakete aufsetzen können, und auch die Diversifizierung der Wirtschaft durch die Stärkung des Privatsektors wird ohne staatliche Hilfen enorm schwierig werden – zusätzlich wird in den Jahren 2021 und 2022 die Rückzahlung großer Kredite fällig. »Oman hat für all das einfach nicht das Geld«, resümiert Bianco.

 

»Staatliche Investitionen sind der zentrale Impulsgeber für die nicht durch das Öl bestimmten Teile der Wirtschaft im Oman«, so El Radhi. »Wenn die Regierung also Kürzungen der öffentlichen Ausgaben vornimmt, werden es genau die Wirtschaftssektoren am deutlichsten spüren, die man eigentlich fördern will.« In diesem Kontext wird sich die Vision von Sultan Haitham, die omanische Wirtschaft neu zu denken und zu modernisieren, wohl den ökonomischen Realitäten stellen müssen.

 

Wirtschaftskrise und Diversifizierung in Oman
Um das Haushaltsloch zu stopfen, könnte Oman womöglich demnächst zahlreiche Subventionen kürzen.Foto: Sebastian Castelier

 

Aber könnten seine reichen Nachbarn dem Sultanat in der aktuellen Lage nicht unter die Arme greifen, so wie sie dies mit Bahrain im Jahr 2018 getan haben? »Wenn Saudi-Arabien und die VAE einspringen und Oman helfen, dann werden sie im Gegenzug erwarten, dass das Sultanat sich entsprechend fügsam gibt«, sagt Houchang Hassan-Yari, Direktor des Instituts für Politische Wissenschaft an der Sultan-Qabus-Universität mit Blick auf die eigenständige Außenpolitik des Sultanats – seit Jahrzehnten ist Oman stets bedacht, Gesprächskanäle in alle Richtungen offen zu halten.

 

Vor dem Atomabkommen mit Iran im Jahr 2015 hatte sich Oman als Treffpunkt für geheime Gespräche zwischen Teheran und Washington empfohlen. Nach der Unterzeichnung des Abkommens im Juli 2015 erhoffte sich das Sultanat ökonomische Vorteile als Handelsplatz zwischen Iran und dem Rest der Welt. Doch infolge der Aufkündigung des Atomabkommens durch die Trump-Regierung konnte Oman die geplanten Gewinne nicht einstreichen.

 

Dennoch könnte genau diese Haltung es Oman weiterhin erlauben, sich als Brückenbauer zwischen den Küsten des Golfes aufzustellen – eine Position, die bestens zu den Interessen der Europäischen Union passen würde, die sich global für Deeskalation im Umgang mit Iran einsetzt. Durch diese Kooperation könnten beide Seiten gewinnen: die EU auf der diplomatischen Ebene mit Iran und Oman durch Unterstützungen für die Diversifizierung seiner Wirtschaft. Bianco glaubt, dass zwar »aktuell kein Momentum für finanzielle Unterstützung vorhanden ist, aber technische Hilfe und eine beratende Funktion der EU durchaus willkommen« wären.

 

Wirtschaftskrise und Diversifizierung in Oman
In der Straße von Hormuz floriert der Schmuggel zwischen der omanischen Exklave Musandam und dem iranischen Festland.Foto: Sebastian Castelier

 

»Wir Europäer kommen zu spät zu diesem Spiel, weil wir der ganzen Region sowie den einzelnen Ländern bisher nicht die nötige Aufmerksamkeit zukommen ließen«, meint Bianco. Die Wissenschaftlerin hofft daher, dass die aktuelle Krise eine Gelegenheit bieten könnte, die Beziehungen zwischen der EU und Oman zu intensivieren.

 

Dem steht bislang unter anderem die Steuerpolitik des Sultanats im Weg: Aktuell gilt Oman laut dem Ranking der Europäischen Kommission als »Steueroase« – die Designation schrecke Investoren aus Europa ab, so Bianco.

Von: 
Sebastian Castelier

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