Binnen weniger als drei Jahren absorbierte Irans Wirtschaft den Doppelschock von Sanktionen und Pandemie. Es mag erstaunen – aber für die Aussicht auf Reformen und Atomgespräche ist das keine gute Nachricht.
Irans Wirtschaft wächst. Nach drei Jahren der Rezession weisen die Statistiken seit Sommer 2020 wieder nach oben. Die schlimmsten Auswirkungen von US-Sanktionen und Corona-Pandemie scheinen überwunden. Entsprechend zuversichtlich blickt die iranische Führung in die Zukunft. Ihre Bereitschaft, in Fragen von Atomprogramm oder Regionalpolitik Konzessionen zu machen, nimmt dagegen ab.
Denn anders als in der Vergangenheit sei das Land nicht mehr unbedingt von einer Lockerung des Sanktionsregimes abhängig, sind führende Politiker in Teheran überzeugt. Doch die Gemengelage ist kompliziert.
Auf Instagram präsentierte Abdolnaser Hemmati, Gouverneur der iranischen Zentralbank, Mitte März die neuesten Zahlen zur Lage der Wirtschaft. Gegenüber dem Vorquartal, in dem die Talsohle der Rezession durchschritten wurde, sei das iranische Bruttoinlandsprodukt zwischen Oktober und Dezember um 4,9 Prozent gewachsen. Auch der Internationale Währungsfonds und die Weltbank prognostizieren für 2021 einen Aufschwung.
Die relative ökonomische Resilienz Irans fußt auf jahrzehntelangen Bemühungen um eine Diversifizierung der Wirtschaft, die bis in die 1960er Jahre zurückreichen. Unter dem revolutionären Banner der »Widerstandswirtschaft« wurde dieser Kurs in Reaktion auf die US-Sanktionen der Obama-Ära noch einmal intensiviert.
Inzwischen werden rund 30 Prozent mehr Erdöl im Inland raffiniert als noch vor einem Jahrzehnt
Tatsächlich verringerte Iran seine Abhängigkeit von Ölexporten, die nur noch etwa ein Zehntel des Bruttoinlandsprodukts ausmachen, in den letzten Jahren deutlich. Heute werden rund 30 Prozent mehr Erdöl im Inland raffiniert als noch vor einem Jahrzehnt, das Land avancierte vom Importeur zum Exporteur von Benzin.
Parallel dazu wurde die industrielle Basis erweitert, speziell durch die Ausweitung der Produktion petrochemischer und energieintensiver Erzeugnisse wie Aluminium oder Stahl. Die Ausweitung der Wertschöpfungskette ermöglichte es Iran sogar, seine Exporte im Inland produzierter Güter deutlich auszuweiten.
Die zielen primär auf Märkte in der Nachbarschaft Irans, die sich teilweise dem langen Arm der US-Sanktionen entziehen. »Wir haben einen Punkt erreicht, an dem das Atomabkommen überflüssig ist«, tönte jüngst der Kommandeur der Revolutionsgarden, Hossein Salami, mit Blick auf Irans wirtschaftliche Fortschritte. Ins gleiche Horn stößt Präsident Hassan Rohani, der kurzerhand erklärte »der ökonomische Widerstand hat Früchte getragen.«
Aber auch jenseits markiger Rhetorik prägt die Resilienz der iranischen Wirtschaft die Politik des Landes. Wenngleich in unterschiedlichem Grad, teilt Irans politische Elite lagerübergreifend die Überzeugung, ihr Land sei zunehmend weniger durch Sanktionen verwundbar. Washingtons Sanktionsregime könne die wirtschaftliche Entwicklung Irans zwar bremsen, nicht aber aufhalten, so der allgemeine Tenor.
In dem Maß, in dem die iranische Wirtschaft trotz Sanktionen wächst, nimmt der ökonomische Nutzen von Sanktionserleichterungen ab
Von Europa und den Vereinigten Staaten geforderte neuerliche Konzessionen wiegen daher umso schwerer. Denn in dem Maß, in dem die iranische Wirtschaft trotz Sanktionen wächst, nimmt der ökonomische Nutzen von Sanktionserleichterungen ab. Bekräftigt wird dieser Standpunkt auch durch die Ungewissheit, wie lange eine diplomatische Übereinkunft mit den Vereinigten Staaten überhaupt Bestand hätte.
Nicht nur Teheran fürchtet, ein Wechsel im Weißen Haus nach den US-Präsidentschaftswahlen 2024 könnte zur abermaligen Sanktionierung Irans führen. Auch Investoren aus dem Ausland teilen diese Sorge und dürften von größeren Engagements in Iran auch künftig Abstand nehmen.
Diese wirtschaftlichen Erwägungen potenzieren die politischen Vorbehalte Irans gegenüber Verhandlungen mit dem Westen. Ohnehin machte sich in Teheran in den letzten Jahren Ernüchterung breit angesichts des einseitigen Ausstiegs der Vereinigten Staaten aus dem Atomabkommen und des europäischen Unvermögens, manch iranischer Politiker unter stellt gar ein mangelndes Interesse, den US-Sanktionen effektiv entgegenzutreten.
Nur wenige Wochen nach Joe Bidens Amtsantritt im Januar zerschlugen sich auch die Hoffnungen, der neue US-Präsident würde auf raschem Wege sein Versprechen aus dem Wahlkampf einlösen und zum Atomabkommen zurückkehren. Das Beharren der Biden-Regierung, Iran müsse zunächst seine Verpflichtungen im Rahmen des Abkommens erfüllen, bevor die Vereinigten Staaten der Übereinkunft wieder beiträten, sorgt in Teheran für Unverständnis.
Iran verweist darauf, dass Washington sich einseitig von der Übereinkunft zurückgezogen hat, und daher nun den ersten Schritt machen müsse. Politiker unterschiedlicher Couleur, allen voran Außenminister Mohammad Javad Zarif, werfen Biden vor, die »Politik des maximalen Drucks« der Vorgängerregierung fortzusetzen, nun allerdings mit voller Unterstützung der um eine Wiederbelebung des transatlantischen Verhältnisses bemühten Europäer.
Seit 2018 haben sich die Preise für Kleidung und Nahrungsmittel im Schnitt mehr als verdoppelt
Die trotz Sanktionen und Pandemie wieder anlaufende iranische Wirtschaft stärkt nun jene Kräfte in Teheran, die von jeher Verhandlungen mit dem Westen mit Skepsis begegneten. Die Regierung um Präsident Rohani strebt weiterhin eine Verhandlungslösung an, gerät aber nun zunehmend unter Druck.
Bei den Parlamentswahlen im Februar 2020 konnten radikale Kräfte bereits eine Mehrheit für sich reklamieren, begünstigt durch den massenhaften Ausschluss moderater und reformistischer Kandidatinnen und Kandidaten. Im Juni dieses Jahres wollen die Hardliner auch die Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden – mit guter Ausgangslage angesichts des Scheiterns der Rohani-Regierung, mittels Diplomatie für Handel und Investitionen zu sorgen.
Beinahe in den Hintergrund gerät hierüber, dass sich die Rohani-Regierung in den letzten Jahren selbst deutlich radikalisiert hat. Passé ist die Hoffnung, das Atomabkommen als Sprungbrett für eine nachhaltige Verbesserung des Verhältnisses zum Westen zu nutzen. Statt auf Kompromisse zu setzen, glaubt nun auch das moderate Lager, Angriff sei die beste Verteidigung.
Der konfrontative Kurs Teherans, ob in Atom- oder Regionalpolitik, beruht daher, ungeachtet aller sonstiger Rivalitäten, auf einem breiten Konsens. Das Kalkül: Solange Sanktionslockerungen ausbleiben, soll zumindest der Preis für die Sanktionspolitik in die Höhe getrieben und Druck für Verhandlungen aufgebaut werden. Teheran tritt also höchst selbstbewusst auf.
Dennoch kann die Führung des Landes nicht kaschieren, welch gewaltigen Schaden die Sanktionen Iran in den vergangenen Jahren zugefügt haben. In sechs der letzten zehn Jahre durchschritt die Wirtschaft Rezessionen, mit einschneidenden Folgen für die Bevölkerung.
Das Kleinbürgertum sieht sich der materiellen Früchte der Revolution beraubt
Die Sanktionen bedingten nicht nur einen Rückgang im Außenhandel, im Zuge dessen Irans Handelsbilanz ins Negative kippte und das Land nicht mehr genügend Devisen zur Finanzierung seiner Importe aufbringen konnte. Aus Sorge vor den US-Sanktionen froren internationale Banken auch im großen Stil iranische Vermögen im Ausland ein, was die Devisenprobleme weiter vergrößerte. Die Folge: Der iranische Rial verlor massiv an Wert.
Im Zuge dessen schnellte die Inflationsrate hoch, allein in den letzten drei Jahren lag sie konstant über 30 Prozent. Die Iranerinnen und Iraner verloren auf diese Weise enorm an Kaufkraft. Seit dem Ausstieg der Vereinigten Staaten aus dem Atomabkommen 2018 haben sich die Preise für Kleidung und Nahrungsmittel im Schnitt etwa mehr als verdoppelt. Bei einer landesweiten Umfrage im Sommer 2020 gab ein Viertel der Befragten an, im zurückliegenden Jahr kein oder nur selten Fleisch konsumiert zu haben.
In der Gesamtschau zeigt sich, aller Fortschritte in Sachen Diversifizierung zum Trotz, daher ein ernüchterndes Bild: Im vergangenen Jahrzehnt, das mit den Sanktionen der Präsidentschaft Obamas begann und mit denen der Trump-Administration endete, nahm die Armut unter der iranischen Bevölkerung rasant zu, während die Mittelschicht erheblich schrumpfte.
Einer Analyse des Ökonomen Djavad Salehi-Isfahani zufolge hat sich die Armutsrate seit 2012 nahezu verdoppelt, von 6,4 auf 12,1 Prozent im Jahr 2019. Fortschritte bei der Reduzierung von Armut in den 1990er und 2000er Jahren wurden binnen kurzer Zeit zunichtegemacht.
Die Verschärfung der sozioökonomischen Situation führte in den letzten Jahren wiederholt zu landesweiten Protesten. Dabei brachten viele Iranerinnen und Iraner regelmäßig auch ihren Frust über die politischen Verhältnisse im Land zum Ausdruck, etwa hinsichtlich Missmanagement und Korruption der Systemeliten. Während die staatlichen Behörden die Proteste mit brutaler Härte niederschlugen, blieben die ökonomischen Nöte der Bevölkerung bestehen.
Besonders brisant für die Islamische Republik ist dabei, dass unter den Protestierenden auch Vertreter jenes Milieus sind, das bislang zu ihrer Kernklientel zählte: Angehörige des vorrevolutionären Lumpenproletariats, denen die Revolution einen sozialen Aufstieg ins Kleinbürgertum ermöglicht hatte und die sich nun ihrer materiellen Früchte beraubt sehen.
Zwar wäre ein Abgesang auf die Islamische Republik verfrüht, doch die politischen Spannungen in der Gesellschaft dürften bis auf Weiteres bestehen bleiben. In diesem Zusammenhang erscheint mehr als fraglich, ob Irans bisherige Erfolge bei der wirtschaftlichen Diversifizierung ausreichen, um die sozioökonomische Lage merklich zu verbessern.
Vielmehr dürfte das Wachstum der iranischen Wirtschaft bei Fortbestand der Sanktionen auch künftig weit unter den Möglichkeiten und Notwendigkeiten des Landes bleiben. Selbst wenn die von Zentralbankgouverneur Hemmati jüngst vorgestellten Wachstumsratenbeibehalten werden, bräuchte es Jahre, um allein den Schaden der Sanktionen zu egalisieren. Für die iranische Wirtschaft bleibt somit eine nachhaltige Aufhebung des Sanktionsregimes essenziell.
Dennoch verändern die Überwindung der Rezessionsjahre und die Fortschritte bei der Diversifizierung die iranische Position bei internationalen Verhandlungen. Angesichts der Ernüchterung, die sich nach dem Ausstieg der Vereinigten Staaten aus dem Atomabkommen breitgemacht hat, zeigen die wirtschaftlichen Dynamiken der letzten Monate eine neue Perspektive auf. Aufwind erfahren hierbei besonders jene in Teheran, die aus politischen Gründen das Wagnis eines erneuten diplomatischen Arrangements mit dem Westen schon immer ablehnten.
Dr. David Jalilvand leitet die Politik- und Wirtschaftsberatung Orient Matters in Berlin.