Auf einer Biofarm in Katar versuchen die Menschen dem Wüstenboden Ernten abzutrotzen. Helfen soll dabei auch der Müll von Luxus-Hotels.
Vögel zwitschern, Insekten zirpen, die Felder im Schatten der großen Dattelpalmen leuchten in einem satten Grün. Tomaten wachsen hier, Rucola, Gurken und Kohl – insgesamt 30 Nutzpflanzen. Eine Oase der Ruhe an einem Ort, an dem die Natur eigentlich keine Oase vorgesehen hatte.
Die Farm »Heenat Salma« liegt rund 35 Kilometer vom geschäftigen Zentrum der katarischen Hauptstadt Doha entfernt – und mitten in der Wüste. »Wir versuchen eine Permakultur aufzubauen«, erzählt Walid, während er den Palmenhain inspiziert. Der Agraringenieur bezieht sich auf ein alternatives Landwirtschaftskonzept des australischen Biologen Bill Mollison (1928-2016), das zum Ziel hat, ein Ökosystem aufzubauen, das autark und mit möglichst wenig menschlicher Einwirkung überlebt. Es kann mitunter Jahrzehnte dauern, bis es wirklich funktionsfähig ist.
»Das Wetter ist nicht das Problem«, sagt Walid, während er durch ein dicht begrüntes Beet streift. Ein ungewöhnliches Argument angesichts der katarischen Sommer mit Temperaturen von bis zu 50 Grad Celsius. Sommer, die in den letzten Jahren noch länger und heißer geworden sind.
Vielmehr mache der Wassermangel die Biofarm zurHerausforderung. Es ist schwer, dem kargen Boden ergiebige Ernten abzutrotzen. Zudem weist das verfügbare Wasser einen Salzanteil von vier Gramm auf den Liter auf, in der konventionellen Landwirtschaft liegt der Grenzwert bei 1,5 Gramm. Eine Entsalzungsanlage könnte Abhilfe schaffen, doch Walid winkt ab. »Das aufbereitete Wasser ist schön und gut, aber was machen wir mit den Abwässern, die durch die Entsalzung entstehen? Die sind Gift für die Umwelt.« Und so ist Kreativität gefragt. Für den Kompost liefern beispielsweise einige Luxushotels aus Doha regelmäßig ihren Biomüll an.
Derzeit hat Katar einen der größten ökologischen Fußabdrücke der Welt
Dazu ist geplant, bald auch Pflanzenarten anzubauen, die besonders gut in salzhaltiger Umgebung überleben. Dabei geht es auch darum, Gewohnheiten zu ändern. »Der Queller zum Beispiel ist ein Fuchsschwanzgewächs, das auf Salz angewiesen ist und hier wunderbar wächst«, erzählt Walid. »Bislang gilt es als Unkraut, dabei findet es in Griechenland etwa Verwendung in Salaten.« Und nährstoffreich sei die Pflanze ohnehin.
Walid ist gelernter IT-Ingenieur. Nach einem hektischen Leben mit Stationen in Australien und Frankreich stürzte der Tunesier in eine persönliche Krise. »Bei mir traten mit Mitte 20 heftige Gesundheitsprobleme auf. Mein Cholesterinspiegel war viel zu hoch«, erinnert sich der 32-Jährige. »Ich habe verstanden, dass das Leben, das wir führen, sehr problematisch ist – und dass ein wesentlicher Grund dafür in unserer Ernährung liegt.« Walid stellte sein Leben damals komplett um und widmet sich seitdem der Biolandwirtschaft. Eine neue Heimat fand er nach der Weiterbildung in Australien in Katar.
Entschleunigung, Nachhaltigkeit und Behutsamkeit in der Entwicklung sind nicht die ersten Assoziationen, die man mit den rasch wachsenden Golfstaaten verbindet. Nun sollen die Treibhausemissionen bis 2030 um 25 Prozent gesenkt werden. Derzeit hat Katar einen der größten ökologischen Fußabdrücke der Welt.
Träger der Farm »Heenat Salma« ist die Caravan Foundation, eine NGO mit Sitz in den Niederlanden. Ermöglicht wird die Umsetzung vor Ort durch die Unterstützung der Al Attiyah, einer der mächtigsten Familien im Land, denen auch das umliegende Land gehört. Fahd Bin Muhammad Al-Attiyah, derzeit Dohas Botschafter im Vereinigten Königreich, ist der wohl wichtigste Förderer des Pilotprojekts, das 2018 den Betrieb aufnahm.
Die Marketingexpertin Sarah Al-Hamadnah führt durch die durch die Farm. »Wir versuchen hier nicht nur Landwirtschaft nachhaltig zu betreiben, sondern verwenden beispielsweise, wo möglich, nur natürliche Baustoffe und Kunsthandwerktechniken.«
Ihre Kollegen empfangen auf der Farm regelmäßig katarische Besuchergruppen. Es ist auch der Wunsch nach Ruhe und Abgeschiedenheit, die gestresste Kataris aus der innerhalb weniger Jahrzehnte zur Millionenmetropole angewachsenen Hauptstadt Doha aufs Land treibt – auch wenn sich viele Besucher erstmal daran gewöhnen müssten, dass hier keine Klimaanlagen rund um die Uhr liefen.
»Heenat Salma« ist eine von mehreren neuen Farmen, die in den vergangenen Jahren in Katar entstanden sind – vor allem seit die Regierung aus geopolitischen Überlegungen heraus 2017 das Ziel ausgab, mittelfristig bis zu 70 Prozent des Obst- und Gemüsebedarfs aus dem eigenen Land zu beziehen.
Bis dahin importierte das Emirat nahezu alle seiner Lebensmittel. Bevor Öl und Erdgas ab Mitte des 20. Jahrhunderts Katar zu einem der reichsten Länder der Welt machten, lebten die Menschen hier von Perlenfischerei, Schaf- und Ziegenhaltung sowie vereinzelter Subsistenzwirtschaft. Erst mit dem Wirtschaftswachstum stiegen die Lebensmittelimporte rapide.
In Doha werden seit Neuestem regelmäßig Wochenmärkte mit Gemüse, Obst und Honig aus eigener Produktion organisiert
Doch mit der Blockade durch das benachbarte Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain wurde die katarische Abhängigkeit von ausländischen Nahrungsmitteleinfuhren zum Problem.
Auch wenn der Streit zunächst einmal beigelegt ist und mittlerweile auch wieder mehr Besucher aus den Nachbarländern einreisen, bleibt das Gefühl, sich aus der versorgungstechnischen Verwundbarkeit lösen zu müssen. Der Trend zur Autarkie setzt sich seitdem fort.
In der Hauptstadt Doha werden seit Neuestem regelmäßig Wochenmärkte mit Gemüse, Obst und Honig aus eigener Produktion organisiert. Die meisten Erzeugnisse stammen allerdings aus konventionell betriebenen Gewächshäusern.
Auch wenn nachhaltige Farmen noch die Ausnahme sind, ist der Biotrend längst auch in Katar im hochpreisigen Segment angekommen. Auf der Farm »Heenat Salma« hat mittlerweile ein exklusives Farm-to-Table-Restaurant eröffnet. Ein Yoga-Studio bietet Kurse an. Rundherum sind aufwändig gestaltete Lodges zum Übernachten entstanden. Der Naturpool läuft selbstverständlich ohne Chlor.
Während der Fußballweltmeisterschaft im Winter 2022 sollen hier auch einige Stars ihr Lager aufschlagen – auch wenn sich der an die Farm angeschlossene Gasthof mit Informationen dazu noch bedeckt hält. Zudem möchten die Betreiber auch ihre Pforten für angereiste Fußballfans öffnen.
Lifestyle-Hype hin oder her, den Agraringenieur Walid freut das Interesse an nachhaltiger Lebensweise. »Ich hoffe, dass das irgendwann auch in anderen Ländern der Region Schule macht – zum Beispiel in meiner Heimat Tunesien.«