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Korruption in Aserbaidschan

Ein Land wird ausgeraubt

Feature
Der Aliyev-Clav
Der Aufstieg der Familie Aliyev, eine Geschichte von Macht, Vetternwirtschaft und millionenschweren Hochzeiten.

Wer in Aserbaidschan zur richtigen Familie gehört, kann sehr schnell, sehr reich werden. Und so bemüht sich das Land zwar vordergründig um die Bekämpfung der grassierenden Korruption. Doch das ist nur Scharade, glauben Aktivisten und Opposition.

Im Oktober 2019 berichtete der griechische Sender Skai TV über einen Luxustrip im Mittelmeer: Die Sprösslinge aserbaidschanischer Funktionäre aus der Gasindustrie verprassten demnach bei einem knapp zweiwöchigen Urlaub auf Mykonos zwei Millionen Euro. Wenige Monate zuvor machte Rashad Abdullayev Schlagzeilen: Dem Sohn des Präsidenten des staatlichen Energieunternehmens SOCAR war auf Ibiza eine Uhr im Wert von 1,2 Millionen Euro gestohlen worden.

 

Natürlich, viel Geld im Urlaub auszugeben ist keine Straftat. Doch wenn Staatsbeamte und deren Familien derart prassen, stellt sich die Frage, wo diese Vermögen herkommen. Laut Transparency International liegt Aserbaidschan auf Platz 152 von 180 mit Blick auf die Korruption im Land. Zwar gibt es sowohl eine Anti-Korruptionsabteilung als auch eine beim Generalstaatsanwalt angesiedelte »Kommission zum Kampf gegen die Korruption«, aber ernsthaft ermitteln tut keines der beiden Gremien.

 

Dabei gäbe es gute Gründe. Etwa ist Aserbaidschan tief verstrickt in den Geldwäsche-Skandal der Danske-Bank, der seit 2017 mit immer neuen Enthüllungen die Finanzwelt in Atem hält. Gleich mehrere Staaten ermitteln, ebenso der Europarat. Auch das Recherche-Netzwerk »Projekt zur Erfassung und Veröffentlichung von organisierter Kriminalität und Korruption« (OCCRP) macht immer wieder auf Fälle von Korruption aufmerksam. So haben die Journalisten etwa die Geschäfte der Präsidentenfamilie und hohen Regierungsfunktionären aufgedeckt – es geht unter anderem um Milliarden von Euro, die auf Offshore-Finanzplätzen geparkt wurden.

 

»Man muss nachverfolgen können, ob ein Beamter in kurzer Zeit reich wird«

 

Die Behörden schweigen zu den Vorwürfen, nur die staatstreuen Medien melden sich zu Wort. Glaubt man ihnen, seien die Ermittlungsergebnisse ein Angriff des Westens auf das Land am Kaukasus. Der Anwalt Alasgar Mammadli wäre es aber die Aufgabe der Behörde, die Vorwürfe ernst zu nehmen und die Ermittlungen aufzunehmen. Geltendes Recht ermächtigt sie dazu nicht nur, es verpflichtet sie sogar.

 

Doch soweit kommt es nicht. Für Mammadli ist das Anti-Korruptionsgesetz bloße Augenwischerei. »Die Edelkarossen von Funktionären oder ihrer Kinder, ihre dubiosen Geschäfte, über all das wird seit langem berichtet. Staatliche Ermittlungen gibt es aber nicht. Das Gesetz dient nur dazu, der Welt zu zeigen, dass wir so ein Gesetz haben. In der Praxis wird es nicht angewandt.«

 

Und selbst wenn es Anwendung finden würde, berichtet Mammadli weiter, blieben Gesetzeslücken. Im Prinzip müssten Funktionäre ihre Einkommen offenlegen: »Dem Gesetz zufolge sollen sie das in der von der Regierung vorgeschriebenen Form tun. Aber seit 15 Jahren hat die Regierung keine Vorlage dafür geschaffen.«

 

Der beste Weg, Korruption zu bekämpfen, bestehe deshalb darin, sie erst gar nicht zuzulassen, meint Mammadli. Dafür müsste man nachverfolgen können, ob ein Beamter in kurzer Zeit zu Reichtum kommt. »Die Offenlegung des Einkommens sollte gegenüber einer eigens dafür bestimmten Regierungsbehörde erfolgen. Aber das allein reicht ebenfalls nicht aus.«

 

Ein Monopol der Antikorruptionsbehörden erhöht die Gefahr weiterer Manipulation

 

Die größte Schwachstelle sei die fehlende Kontrollfunktion durch zivilgesellschaftliche Institutionen. Die Angaben, so Mammadli, müssten auch für die Medien, für die Öffentlichkeit einsehbar sein. Denn ein Monopol auf Unterlageneinsicht erhöhe das Manipulationspotenzial: »Das würde dazu führen, dass Korruptionsfälle weiterhin unter der Decke gehalten werden.«

 

Es komme durchaus vor, dass Behörden, auch die Staatsanwaltschaften, Informationen über mögliche Korruptionsfälle erhielten – per Gesetz sind sie dann berechtigt, zu ermitteln. Allerdings können sie die Ermittlungen nur einleiten, wenn sie dafür den politischen Auftrag erhalten. »Diese Informationen werden dann aber oft als Kompromat genutzt, wenn es darum geht, einen Funktionär zu opfern«, glaubt Mammadli.

 

Zahid Oruj widerspricht. Er ist Leiter des Zentrums für Politikwissenschaften in Baku – vom Präsidenten ernannt – und Parlamentsabgeordneter. Er behauptet, der Kampf gegen Korruption sei in den letzten Jahren erfolgreich ausgeweitet worden. Der Kampf gegen Korruption, sagt Oruj, sei aber ein »anhaltender Prozess« und könne nicht nur von einer Behörde geführt werden: »Alle Kräfte müssen hier zusammenwirken, unabhängig von ihrer Ideologie oder religiösen Zugehörigkeit. Natürlich müssen Mechanismen zur Einkommenserklärung entwickelt werden, so wie es das Gesetz aus dem Jahr 2001 vorsieht. Das schafft größere Transparenz.«

 

 

Oruj fordert auch für die Wirtschaft klarere Gesetze. Wer Teil der Regierung sei, dürfe nicht an Unternehmen beteiligt sein. Dies sei auch die Haltung von Staat und Präsident, behauptet Oruj, was im Ausland aber nicht wahrgenommen werde. »Es ist eigentlich nicht mehr zu übersehen, dass es erhebliche Verbesserungen in den letzten Jahren gegeben hat. Wenn ausländische Medien aber nur über Korruptionsvorwürfe gegen Funktionäre berichten, Maßnahmen gegen Korruption aber verschwiegen, dann zeigt das, das einige Länder kein Interesse an einem sauberen Aserbaidschan haben, sondern nur ihre eigenen Interessen vertreten.«

 

Die Investigativ-Journalistin Khadija Ismailova bezweifelt, dass Präsident Ilham Aliyev ein Interesse an tatsächlicher Korruptionsbekämpfung hat. Für sie liegt die Wurzel des Problems im Geschäftsgebaren der Präsidentenfamilie. Ismailovas Enthüllungen und die Recherchen anderer Journalisten haben gezeigt, dass Aliyevs Familie die Kontrolle über fast alle Wirtschaftsbereiche hat, von Baukonzernen, über Luxus-Hotels und Telekommunikation bis zur Landwirtschaft und der Nahrungsmittelindustrie.

 

»Alle Unternehmen mit Monopolstellung sind direkt oder indirekt mit der Familie des Präsidenten verknüpft. Das haben unsere Recherchen gezeigt«, sagt Ismailova gegenüber zenith. 2016 tauchten die dubiosen Geschäfte der Familie in den »Panama Papers« auf. Der Pressesprecher des Präsidenten entgegnete daraufhin dem Sender Radio Free Europe, dass die Töchter des Präsidenten ebenso in Firmen investieren dürften wie alle anderen Bürger.

 

Dank öffentlicher Ausschreibungen erkennt man, wo der Staat zu viel ausgegeben hat

 

Eigentlich bräuchte es keine großen Enthüllungsgeschichten, um das Ausmaß der Korruption im Land zu erfassen, sagt der Generalsekretär der oppositionellen REAL-Partei, Natig Jafarli. Mit den Daten der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds, der Asiatischen Entwicklungsbank oder der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ließe sich ohne Weiteres das Ausmaß der Korruption in Aserbaidschan bemessen. »Den Berichten zufolge macht die Schattenwirtschaft etwa 40 Prozent der aserbaidschanischen Wirtschaft aus, in einem Bericht ist sogar von 64 Prozent die Rede«, so der Politiker.

 

Ein Blick in den Staatshaushalt sei ebenso erhellend, glaubt Jafarli. Die Regeln für öffentliche Ausschreibungen ermöglichen Dokumenteneinsicht und so lasse sich herausfinden, wer sich für bestimmte Projekte beworben hat – mit echten oder Scheinbewerbungen. Jafarli zufolge erkenne man auf diese Weise, wo der Staat viel zu viel Geld ausgegeben hat. Mit erheblichen Folgen: »Die Korruption verhindert, dass sich ein gesunder Wettbewerb entwickelt. In der Folge sinkt das Wirtschaftswachstum.«

 

Jafarli fügt hinzu, dass sich die Korruption auch auf den Lebensstandard der Bevölkerung auswirkt. Er glaubt, dass viele Bürger zwar Korruption im Alltag wahrnehmen, über Betrug bei Ausschreibungen und Verschwendung von Staatsgeldern würde dagegen viel häufiger hinweggesehen. Dabei hätte diese Form der Korruption viel schwerwiegendere Folgen. Ohne die finanziellen Einbußen könnten die Bürger mit höheren Löhnen und Renten rechnen und der Staat seine Aufgaben besser wahrnehmen, so Jafarli.

Von: 
Kamran Mahmudov

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