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Interview über Investitionen aus Katar in Deutschland

»Geringere Gefahr als China«

Interview
von Leo Wigger
Interview über Investitionen aus Katar in Deutschland
Foto: Leo Wigger

Kein anderer Golfstaat investiert mehr in Deutschland als Katar. Und die Bundesregierung buhlt um das Geld vom Golf, aller Kritik zum Trotz. Katar-Experte Jeremias Kettner im Interview über die Hintergründe einer Partnerschaft im Kreuzfeuer.

zenith: Katar investiert und die Bundesregierung freut das. Wieso?

Jeremias Kettner: Wirtschaftspolitisch hat das zwei Gründe. Erstens können katarische Investitionen helfen, deutsche Arbeitsplätze zu sichern. Erst im Herbst kündigte Emir Tamim Al Thani Seite an Seite mit Angela Merkel an, 10 Milliarden Euro in Deutschland investieren zu wollen. Diese Investitionen sollen vor allem in den deutschen Mittelstand fließen. Schon heute betragen die Gesamtinvestitionen Katars in Deutschland 35 Milliarden Euro. Generell zieht die Bundesregierung Investitionen aus dem Golf gegenüber chinesischen Anlegern vor, sie werden als geringere Gefahr gesehen. Anteileigner aus dem Golf halten sich gemeinhin aus dem operativen Geschäft raus. Das Risiko der Abwanderung von Knowhow ist gering.

 

Und zweitens?

Auch das Thema Energiesicherheit spielt eine Rolle. Es gibt seit den 1970er Jahren Überlegungen, ein LNG-Gasterminal in Deutschland zu bauen. Katar ist der weltweit größte Exporteur von Flüssiggas (LNG). Bisher stand das aber zum Unverständnis der Katarer nicht prioritär auf der politischen Agenda. Mit der Energiewende und dem Atomausstieg samt Kohleabbau wird es für Deutschland aber immer wichtiger, seine Energiequellen zu diversifizieren. Das hat auch Merkel erkannt. Seit Kurzem wird offiziell über den Terminalbau verhandelt. Katar würde das Projekt sogar größtenteils finanzieren. Bisher läuft der Export noch über einen Terminal in Rotterdam. Aus deutscher Sicht wäre diese Option interessant, weil Russland als zunehmend unsicherer Energielieferant angesehen wird.

 

In der deutschen Öffentlichkeit wird Katar deutlich kritischer gesehen. Vorwürfe von Terrorfinanzierung, Menschenrechtsverletzungen und katastrophalen Arbeitsbedingungen von Gastarbeitern auf den Baustellen für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 stehen im Raum. Mindestens 800 Bauarbeiter sollen dort bereits zu Tode gekommen.

Die Bundesregierung hat immer gesagt, dass sie diese Zahlen nicht verifizieren kann. Und auch in Deutschland gibt es auf Baustellen schlechte Arbeitsbedingungen.

 

Aber das kann man doch nicht vergleichen. Und selbst in Katar bestreitet doch kaum jemand, dass es Probleme gibt.

Ich finde, solche Debatten zeugen oft von Doppelmoral. Vor der WM hat sich doch nie irgendjemand für Arbeiterrechte in Katar interessiert. Durch die WM steht Katar im Zentrum der Weltöffentlichkeit. Und für die Medien ist es einfach, da draufzuhauen.

 

Die WM in Katar steht nicht nur von Seiten der Öffentlichkeit in der Kritik. Mittlerweile haben auch Staatsanwälte die Ermittlungen aufgenommen. Der frühere Uefa-Generalsekretär Michel Platini wurde Ende Juni wegen Korruptionsvorwürfen bezüglich der WM-Vergabe kurzzeitig festgesetzt. Steckt wirklich nur eine Medienkampagne hinter den Vorwürfen gegen Katar?

Das kann ich schwer einschätzen, da ich kein Experte auf dem Gebiet bin und auch nicht mehr weiß, als was öffentlich über die Medien zugänglich ist. Am Ende des Tages wird es schwierig sein, im Nachhinein zu beurteilen, was wie gelaufen ist. Das sind Mutmaßungen und kann nur von den ermittelnden Behörden abschließend beurteilt werden. Das war in der Geschichte großer Sportevents schon immer so. Mit Blick auf den Arbeiterschutz ist es besser zu fragen: Wie kann man Katar helfen, die Bedingungen nachhaltig zu verbessern? Die Rechtslage in Katar wurde angepasst und die Bundesregierung drängt in Gesprächen immer wieder auf nachhaltige Verbesserungen. In der Praxis geht es darum, dass Generalunternehmer arbeitsrechtliche Mindestanforderungen konsequent von Subunternehmern einfordern und durchsetzen können.

 

Welche Rolle spielen denn deutsche Unternehmen in Katar?

Die deutsche Wirtschaft hat Katar lange vernachlässigt und eher auf die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Saudi-Arabien gesetzt. Erst als während der Finanzkrise 2008/09 viele Aufträge in den anderen Golfstaaten platzten, rückte Katar als Ausweichmarkt in den Blickpunkt. Aber bis heute sitzt die deutsche Außenhandelskammer in Dubai und betreibt lediglich ein Ablegerbüro in Doha. Ein Schwachpunkt in den Beziehungen. Aus deutscher Sicht haben katarische Investitionen in Deutschland eindeutig höhere Priorität als umgekehrt.

 

»Deutschland hat auf amerikanischen Wunsch hin den Taliban geholfen, Räumlichkeiten für ihre Handelsvertretung anzumieten.«

 

Zählen für die deutsche Politik also nur wirtschaftliche Überlegungen?

Das Auswärtige Amt und das Kanzleramt verfolgen seit 2012 die Strategie, neue Partner in der deutschen Außenpolitik zu finden. Explizit wurde in dem Strategiepapier auch die Golfregion genannt, gemeint war insbesondere Katar. Als agiler, flexibler Partner, der bei Konflikten unabhängiger als Saudi-Arabien oder Iran vermitteln kann. Gerade bei Geiselnahmen hat Doha oft hinter den Kulissen vermittelt. Ich nenne das »Außenpolitik über Bande«.

 

...So über »Bande«, dass Außenminister Maas bei seiner jüngsten Nahostreise einen weiten Bogen um Doha machte...

Du kannst mit einem kleinen Staat, der sich auf die Fahnen geschrieben hat zu vermitteln, zum Beispiel mit nichtstaatlichen Akteuren reden, die du nie im Westen sprechen könntest. Ich denke da an die Afghanistan-Friedensgespräche in Doha. Dabei hat Deutschland übrigens auf amerikanischen Wunsch geholfen, Räumlichkeiten für die Taliban-Handelsvertretung anzumieten. Auf der anderen Seite muss Deutschland bei allen bilateralen Initiativen mit Katar natürlich auch immer die Interessen seiner wichtigen Partner in Abu Dhabi und Riad im Auge haben.

 

Anfang Juni jährte sich die Katarkrise zum zweiten Mal. Das Emirat ist seitdem in der eigenen Nachbarschaft isoliert. Die einstmals engen Verbündeten Saudi-Arabien und die VAE haben ihre Beziehungen zu Doha abgebrochen. Wie hat Katar darauf reagiert?

Das Land verfolgt seit langem eine pragmatische, interessengeleitete Außenpolitik, die politische Erwägungen wirtschaftlich flankiert. Insbesondere unter Hamad Al Thani, der 2013 durch seinen Sohn Tamim bin Hamad Al Thani an der Spitze der Regierungsgeschäfte abgelöst wurde, gab es seit 1995 eine klare Vision, die auf der Annahme basiert, dass man den steigenden Reichtum nutzen sollte, um sich unabhängiger zu machen, insbesondere vom einstmals großen Bruder Saudi-Arabien. Deswegen hat man schon vor der Krise eine Hatching-Strategie in der Außenpolitik verfolgt. Das heißt, mit möglichst vielen staatlichen und nichtstaatlichen Partnern gute Beziehungen aufzubauen und diese wirtschaftspolitisch zu untermauern. Um die Folgen der Handelsblockade durch die Golfstaaten nun auszugleichen, hat Katar also vermehrt in neue Märkte in Asien, Europa und Amerika investiert.

 

»In Katar gibt es keine klare Trennung von Staat und Wirtschaft«

 

In welche Länder hat Katar besonders viel investiert?

Man muss bedenken: In Katar gibt es keine klare Trennung von Staat und Wirtschaft. Vielleicht fünf Leute haben wirklich etwas zu sagen. In Asien hat man die Beziehungen zu Japan, Südkorea und China intensiviert. Länder, die in den Anfangszeiten der katarischen Energiewirtschaft in den 1970er Jahren mit Krediten und Handelsverträgen den heutigen Reichtum ermöglichten. In Asien wurde vermehrt in den Bereichen Infrastruktur und Flugverkehr angelegt. Qatar Airways hat zum Beispiel Anteile an der chinesischen Fluggesellschaft Cathay Pacific erworben.

 

Und außerhalb von Asien?

In den USA hat das Emirat im Banken- und Immobiliensektor investiert, auch im PR-Bereich hat man aufgerüstet, wobei Saudi-Arabien und die VAE gerade in Washington weit besser aufgestellt sind. Insgesamt sind heute die Türkei, Iran und Deutschland sehr wichtige Partner, wobei ich Deutschland da sogar noch besonders hervorheben würde. Berlin hat Doha bei der Überwindung der Blockade enorm geholfen und zum Beispiel mehrere Tausend Milchkühe eingeflogen, um die Nahrungsmittelsicherheit zu gewährleisten. Umgekehrt baut Katar seine Aktivitäten in Deutschland immer weiter aus.

 

Warum ausgerechnet Deutschland?

Deutschland ist reich und bietet innovative Unternehmen. Und genau wie viele andere aufstrebende Staaten arbeitet Katar mit den besten Unternehmensberatungen, Banken und Analysten der Welt zusammen. Man guckt insbesondere auf die politische Stabilität. Frankreich zum Beispiel hat die Gelbwesten, Marine Le Pen steht in Umfragen bei über 20 Prozent. In Deutschland sind die politischen Risiken weiterhin sehr gering. Das nehmen nicht nur die Golfstaaten zu Kenntnis. Deutschland ist damit für viele Investoren auf der ganzen Welt ein enorm attraktiver Investitionsstandort. Das Bundeskanzleramt weiß das und wirbt offen um das Geld vom Golf. Das gilt im Übrigen für die gesamte deutsche Parteienlandschaft mit Ausnahme der Linken und Teile der Grünen, die Vorbehalte pflegen.

 

Wohin fließt das Geld aus dem Emirat? Katar hält bereits an zahlreichen deutschen Großunternehmen Anteile. Am Automobilriesen Volkswagen gar 17 Prozent.

Bisher waren vor allem Dax30-Konzerne interessant, die sichere Renditen und politische Absicherung bieten. Doha hält neben der Beteiligung bei Volkswagen beispielsweise Anteile an der Deutschen Bank, Siemens, Solarworld und Hapag-Lloyd. Zunehmend rücken aber auch die »Hidden Champions«, also besonders innovative Mittelständler, und Start-Ups in den Fokus der Katarer.

 

Kann Katar diese Politik lange aufrechterhalten?

Katar hat sehr viel Geld für die Überwindung der Blockadekrise bezahlt. Heute steht das Land wieder gut da. Man hat an Unabhängigkeit gewonnen und das schafft wirtschaftspolitisch neue Möglichkeiten. Ich glaube deswegen nicht, dass sich die Situation bald entspannen wird. Letztlich haben weder Katar noch Saudi-Arabien und die VAE Interesse an einer Annäherung.

 

Sie sind stellvertretender Direktor des von Katar finanzierten Kulturzentrums Divan in Berlin. Wie unabhängig können Sie überhaupt auf das Emirat blicken?

Beim Divan geht es mir darum, das verbindende, brückenbauende Potential von Kulturdiplomatie herauszuarbeiten. In meiner Arbeit als Außenpolitikexperte und politischer Risikoanalyst bin ich neutral. Das habe ich übrigens sogar vertraglich festgehalten. Mein Anspruch ist es deswegen, möglichst objektiv Sachverhalte zu analysieren und zu bewerten. Letztlich ist aber jeder Akademiker nicht ganz frei von äußerlichen Einflüssen.


Jeremias Kettner hat bei Peter Neumann (Kings College London) und Eberhard Sandschneider (FU Berlin) zu den katarisch-deutschen Beziehungen promoviert. Er lebt und arbeitet als politischer Risiko-Analyst in Berlin und ist stellvertretender Direktor des arabischen Kulturhauses Divan, das von der katarischen Botschaft gegründet wurde.

Von: 
Leo Wigger

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