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Erdgas im Mittelmeer

Das Feld ist bestellt

Analyse
von Leo Wigger
Das Feld ist bestellt
Offshore-Förderung bei Aschkelon Wikimedia Commons

Anrainerstaaten und Energieriesen buhlen um die Gasvorräte im östlichen Mittelmeer. Selbst die Außenseiter und Nachzügler machen sich nun Hoffnungen auf große Geschäfte.

Es klingt wie die Versuchsanordnung eines sozial-psychologischen Experiments: Man nehme eine Gruppe von Akteuren, die untereinander in herzlicher Abneigung verbunden sind, und füge einen externen Faktor hinzu, der allen Akteuren zugutekommen könnte, jedoch ungleich verteilt ist und nur bei gegenseitiger Kooperation seine volle Wirkung entfacht. Würde Bewegung in verhärtete Fronten kommen? Die Feinde enger zusammenzurücken? Würden sie Allianzen schmieden oder sich mit Inbrunst in alte Fehden stürzen, ohne ihrem Nächsten auch nur den kleinsten strategischen Vorteil zuzugestehen?

 

2009 läutete die Entdeckung des Gasfeldes Tamar vor der israelischen Küste den Versuchsablauf entlang dieser Koordinaten ein. Der externe Faktor: Gas. Die Akteure: die Anrainerstaaten, internationale Energieriesen, Russland und die USA.

 

Ägypten hätte eigentlich alle Trümpfe in der Hand. Dort entdeckte das italienische Energiekonglomerat ENI 2015 mit Zohr das bisher mit Abstand größte Gasfeld der Region. Zudem verfügt das Land über Erfahrung in der Gasförderung und könnte beim Export auf bestehende Infrastruktur zurückgreifen. Politische und wirtschaftliche Turbulenzen verzögerten jedoch die Entwicklung von Zohr immer wieder. 2016 wurde Ägypten gar selbst zum Gasimporteur. Seit Ende 2017 wird nun zwar Gas in Zohr gefördert, die Fördermenge bleibt aber noch hinter den Erwartungen zurück.

Das Feld ist bestellt

In unmittelbarer Nachbarschaft und schon auf zyprischen Hoheitsgebiet stieß das amerikanische Unternehmen Noble Energy bereits 2010 auf das Gasfeld Aphrodite. Der Wermutstropfen: Die ausschließliche Ausbeutung des deutlich kleineren Gasfelds würde sich wirtschaftlich kaum rechnen.

 

Doch im Februar 2018 verkündete ENI einen neuen Fund – auf zyprischer Seite. Dank Calypso I positioniert sich Nikosia nun im Schachern um lukrative Gas-Deals. Zypern verbraucht selbst kaum Gas und könnte demnach einen Großteil der Fördermenge exportieren. Im Dezember unterzeichneten Zypern und Israel mit kräftiger Unterstützung durch die EU eine Absichtsbekundung für den Bau einer Pipeline, die Gas nach Italien und Griechenland liefern könnte.

 

Das Problem: Aufgrund der politischen Teilung der Mittelmeerinsel werden die Seegrenzen des griechisch dominierten EU-Staates von der Türkei nicht anerkannt, zumal Ankara selbst seinen Anteil an den Gasfeldern einfordert. Die Türkei hat in den betroffenen Gebieten teilweise eigene Bohrkonzessionen an ein türkisches Gasunternehmen vergeben. Anfang Februar stoppte die türkische Marine gar ein ENI-Bohrschiff. Die Italiener zeichnen für die Bohrungen um Calypso I verantwortlich.

 

Israel indes konnte bisher am meisten Kapital aus den Gasfeldern schlagen. Die Abhängigkeit von Energielieferungen aus den Nachbarstaaten bereitete Jerusalem aus strategischen Gründen seit Jahrzehnten Kopfschmerzen. Denn das Land war permanent auf das Wohlwollen der wenigen Israel nicht offen feindselig gegenüberstehenden Nachbarstaaten angewiesen.

Russland will den Gasmarkt im östlichen Mittelmeer nicht nur den Europäern und Amerikanern überlassen.

Durch den Fund der Gasfelder Leviathan und Tamar innerhalb des israelischen Hoheitsgebiets im Mittelmeer gelang es Israel, den Spieß nun umzudrehen. Bisheriger Höhepunkt: Dank eines zügigen Förderbeginns und amerikanischer Expertise unterzeichnete Israel im Februar 2018 Abkommen zum Gasexport nach Ägypten und Jordanien.

 

Diese Entwicklungen wurden nicht zuletzt im Libanon aufmerksam zur Kenntnis genommen. Zwar hinkt der politisch chronisch instabile Zedernstaat seinen Nachbarn bei der Erschließung möglicher Gasfelder bisher hoffnungslos hinterher. Dennoch machte Beirut Ansprüche auf Teile der libanesischen Hoheitsgewässer geltend, in denen Israel bereits Bohrkonzessionen vergeben hat. Im Dezember 2017 gewährte der Libanon seinerseits erstmals zwei Offshore-Bohrkonzessionen an ein internationales Konsortium.

 

Pikant: Neben ENI und Total ist auch der russische Gasriese Novatek mit an Bord. Russland, weltweit der zweitgrößte Gasproduzent, verfolgt das strategische Interesse, den Gasmarkt im östlichen Mittelmeer nicht nur den Europäern und Amerikanern zu überlassen, da dies mittelfristig die Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren könnte. Auch an dem von ENI angeführten Konsortium hinter dem ägyptischen Gasfeld Zohr ist seit 2016 mit Rosneft ein russisches Unternehmen beteiligt.

 

Fehlt nur noch ein letzter Levante-Anrainer in der Anordnung: das kriegsgeplagte Syrien. Ali Ghanem, Minister für Bodenschätze, gab Ende 2017 die Vergabe von fünf Offshore-Konzessionen bekannt. Die Konzessionen seien an Unternehmen aus nicht namentlich erwähnten »befreundeten Staaten« vergeben worden. In Moskau wurde das wohlwollend zur Kenntnis genommen.

Von: 
Leo Wigger

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