Weltweit läuft ein Wettbewerb um einen neuen Energieträger. Wird das Rennen in den Golfstaaten entschieden?
Vor etwa fünf Jahren besuchte der CEO des Solar and Sustainable Energy Fund, Christofer Rathke, Saudi-Arabien. Dort wollte er Investoren und hochrangige Beamte warnen, dass fossile Brennstoffe schnell an Bedeutung verlieren könnten, da erneuerbare Energien »bald preislich wettbewerbsfähig« sein würden. Doch jenseits der Absichtserklärungen blieb die Kursumkehr aus. Der Fondsmanager stellte jedoch fest, dass das Bewusstsein für die Energiewende zunimmt. »Die Saudis lernen sehr schnell und sie schauen sich um.«
Die arabischen Golfstaaten waren lange Nachzügler im Bereich der erneuerbaren Energien, obwohl sie einige der höchsten Sonneneinstrahlungswerte weltweit aufweisen. Saudi-Arabien, der größte Ölexporteur, verbrennt selbst immer noch deutlich mehr Rohöl zur Stromerzeugung als jedes andere Land. Da Solarenergie mittlerweile so günstig wie nie zuvor ist, wirken Saudi-Arabiens ölbefeuerte Kraftwerke auf einmal rückständig und wie ein Symbol für die lange Weigerung der saudischen Führung, das Ende der Dominanz der Kohlenwasserstoffe in ihrem Energiemix einzuläuten.
Nachdem Riad jahrzehntelang herablassend auf die Solarenergie-Revolution schaute, versucht das Königreich nun aufzuholen und importiert Solartechnologie und Fotovoltaik-Panels, die von Ingenieurteams in China, Europa und den Vereinigten Staaten entwickelt und produziert werden. Bis 2030 plant Saudi-Arabien, 50 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien zu erzeugen – im Vergleich zu nur einem Prozent 2019. Doch dieser Anteil würde sich nicht aus Technologien speisen, die im Land entwickelt wurden.
Saudi-Arabien importiert nun Fotovoltaik-Panels, die von Ingenieurteams in China, Europa und den USA entwickelt und produziert werden
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sind bereits weiter. Der 2012 angekündigte Muhammad-bin-Rashid-Al-Maktum-Solarpark südlich von Dubai ist in großen Teilen fertiggestellt und bereits heute der größte Solarpark weltweit. Die in Abu Dhabi ansässige Firma »Masdar Clean Energy« ist zum führenden Entwickler und Betreiber von Projekten im Bereich der erneuerbaren Energien aufgestiegen.
Trotz der Fortschritte in den VAE bleiben die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in der Golfregion aber insgesamt niedrig: In Kuwait, Oman und Bahrain etwa machen sie weniger als einen halben Prozentpunkt des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Im Gegensatz dazu hat sich Israel, das etwa fünf Prozent seines BIP in Forschung und Entwicklung investiert, zu einem Innovationszentrum für Sektoren entwickelt, die für die Golfstaaten angesichts des trockenen Klimas und der hohen Sonneneinstrahlung in der Region von größter Bedeutung sind, darunter Solarenergie, Wassermanagement und Entsalzungstechnologien.
»Mit der Vision 2030, dem strategischen Plan des Landes zurTransformation der Wirtschaft, hat sich alles verändert, jetzt blickt Saudi-Arabien in die Zukunft«, ist sich Sarah Al-Otaibi sicher. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am »King Faisal Center for Research and Islamic Studies« in Riad und veröffentlichte im Februar 2021 einen Bericht über die Zukunft der erneuerbaren Energien in Saudi-Arabien.
Doch trotz der jüngsten Bemühungen, sich als umweltbewusste Nationen darzustellen – Saudi-Arabien kündigte im März 2021 an, in den kommenden Jahrzehnten zehn Milliarden Bäume im Land pflanzen zu wollen –, wird das grüne Engagement der Golfstaaten weiterhin in erster Linie von wirtschaftlichen Interessen bestimmt.
Angesichts der zunehmenden Konkurrenz, die seine Vorher schaft auf den globalen Energiemärkten infrage stellt, will Saudi-Arabien nun der weltgrößte Exporteur von Wasserstoff werden. Der Energieträger wird durch die Spaltung von Wassermolekülen mittels Elektrolyse gewonnen, die nötige Energie soll von der Sonne kommen – die Solarenergie soll so für eine gute Klimabilanz bei der Stromerzeugung genutzt werden.
Das Land plant, in seiner futuristischen Megastadt Neom die weltgrößte grüne Wasserstoffanlage zu bauen, die mit Solar- und Windenergie betrieben wird. Auf diese Weise wollen die Saudis den 700 Milliarden US-Dollar schweren Wasserstoffmarkt beherrschen. »Unsere Rolle in der Energiewende wird über die Erzeugung von Energie innerhalb unserer Grenzen für unseren eigenen Verbrauch hinausgehen«, verspricht Khalid Al-Falih, Saudi-Arabiens Minister für Investitionen.
Doch das Projekt »grüner« Wasserstoff ist nur ein Teil der Geschichte – tatsächlich fällt fossilen Brennstoffen auch hier eine Schlüsselrolle zu. Sowohl Saudi-Arabien als auch die VAE setzen nämlich auf sogenannten blauen Wasserstoff. »Unser Ziel ist es, einer der kostengünstigsten und größten Produzenten von blauem Wasserstoff zu werden«, sagt Sultan Ahmed Al-Jaber, CEO der »Abu Dhabi National Oil Company« (ADNOC).
Statt erneuerbarer Energien ist dafür Erdgas die primäre Energiequelle. Diese Anlagen würden Treibhausgase ausstoßen, auch wenn diese, so der Plan, aufgefangen und gespeichert werden sollen.
»Dieses Geschäft wird hart umkämpft sein«, prognostiziert Rathke und merkt an, dass China und einige europäische Länder »perfekte Bedingungen« hätten, um grünen Wasserstoff selbstzu produzieren. »China wird sicherlich grünen Wasserstoff für weniger als 1,5 Dollar pro Kilogramm produzieren. Das streben die Saudis auch an, aber die Verschiffung verursacht enorme Kosten«, meint der Fondsmanager gegenüber zenith.
Der kostspielige Transport von Wasserstoff egalisiert so den Wettbewerbsvorteil der Region, nämlich hohe Sonneneinstrahlung und große Gasvorkommen. Trotz einer realen Marktchance liegt vor den Golfstaaten also noch ein weiter Weg.
Darüber hinaus stellen schwindende Wasserressourcen die Energiestrategien vor Probleme und verursachen weitere Kosten. Die sechs Mitgliedsstaaten des Golf-Kooperationsrat werden bis 2040 zu den zehn wasserärmsten Ländern der Welt gehören. Das für die Produktion von »grünem« Wasserstoff benötigte Süßwasser muss von energieintensiven Entsalzungsanlagen geliefert werden, die wiederum mit fossilen Brennstoffen betrieben werden.
Das Königshaus kündigte deshalb im Januar 2020 den Bau einer Entsalzungsanlage in Neom an, die auf Solarenergie zur Produktion von Süßwasser setzt. Nicht nur deshalb bleibt der Ölexport ein zentraler Bestandteil der Energiestrategien der Golfstaaten – auch in Zukunft. Denn noch immer liegen die Produktionskosten pro Barrel nirgends so niedrig wie am Golf. Das Kalkül: standhaft bleiben, während konkurrierende Ölproduzenten aus dem Markt gedrängt werden.
»Kuwait drängt nicht auf eine schnelle Energiewende«, gibt ein hochrangiger Beamter der Kuwait Petroleum Corporation unumwunden zu. »Wir planen nicht, plötzlich alles auf grün umzustellen und uns von fossilen Brennstoffen zu verabschieden«, entgegnete der Beamte dem britischen Magazin Petroleum Economist Ende 2020.
Die ADNOC plant, ihre Ölförderkapazität bis 2030 von etwa vier Millionen Barrel pro Tag auf fünf Millionen zu erhöhen. Saudi-Arabien will seine Rohölproduktion auf Rekordniveau steigern, vor allem um die schnell wachsenden asiatischen Volkswirtschaften zu versorgen.
»Warum sollten wir nach all den Jahren, in denen wir in die Entwicklung unserer Öl- und Gasinfrastrukturen investiert haben, darauf verzichten?«
»Warum sollten wir nach all den Jahren, in denen wir in die Entwicklung unserer Öl- und Gasinfrastrukturen investiert haben, darauf verzichten?«, fragt Sarah Al-Otaibi im Gespräch mit zenith. »Wir wollen weiterhin von dem profitieren, was wir aufgebaut haben, während wir neue Sektoren entwickeln.« Die Forscherin hebt hervor, dass ein vom saudischen Ölgiganten Saudi Aramco gefördertes Barrel deutlich weniger Emissionen erzeuge als die globale Konkurrenz.
Saudi Aramco bleibt aber ein führender Umweltverschmutzer in staatlicher Hand – seit 1965 ist der Konzern für 4,38 Prozent aller Kohlenstoffemissionen verantwortlich. Obwohl Saudi Aramco transparenter als andere staatliche Öl- und Gasunternehmen am Golf operiert, hat der Konzern die Emissionen vieler Raffinerien und petrochemischer Anlagen nicht in seine Kohlenstoffbilanz aufgenommen und täuscht so die Klimarisikoeinschätzung von Investoren.
»Das ist doch nur ein kleiner Faktor. Das ändert meine Sicht auf Aramco nicht«, gibt sich Saleh Al-Omar im Gespräch mit zenith gelassen. Der saudische Privatanleger hat wie viele seiner Landsleute beim Börsengang 2019 Aramco-Aktien erworben.
Der »Climate Action Tracker«, eine Kollaboration mehrerer Klimaforschungsinstitute, verfolgt und bewertet die Klimapolitik von Regierungen weltweit. Saudi-Arabien und die VAE bekommen ein schlechtes Zeugnis ausgestellt: Die Maßnahmen beider Golfstaaten, um die globale Erwärmung in diesem Jahrhundert auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen, werden als »kritisch unzureichend« beziehungsweise »höchst unzureichend« eingestuft.
Auch Katar setzt unvermindert auf fossile Rohstoffe, allen voran auf Flüssigerdgas (LNG). Das Emirat, das seit Jahresbeginn nach der Aufhebung der Blockade wieder enger an seine Nachbarn Saudi-Arabien und VAE rückt, ist bereits der weltgrößte Exporteur von Flüssigerdgas. Im Februar 2021 bekam der Staatskonzern »Qatar Petroleum« den Auftrag, die Produktion bis 2026 um 40 Prozent zu steigern.
Zwar wird Flüssigerdgas weithin als Brücke für den Wechsel von Erdöl zu erneuerbaren Energien gesehen, es ist aber kein grüner Energieträger. Die Produktion verursacht erhebliche Methanemissionen. Nach Kohlendioxid leistet das Treibhausgas den zweitgrößten Beitrag zur globalen Erwärmung.