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Die China-Iran-Allianz

Was sich China von der Partnerschaft mit Iran verspricht

Essay
Chinas Handelsrouten
Chinas »Neue Seidenstraße« verlässt sich nicht nur auf die antiken Routen. Ganz Eurasien soll über neue Handelswege in Pekings Orbit eingebunden werden.

Eine strategische Partnerschaft mit Iran soll China zu mehr Einfluss im Nahen Osten verhelfen. Dennoch verfolgen Beijing und Teheran zunächst vor allem kurzfristige Ziele.

Die USA zeigen sich alarmiert angesichts der kürzlich publik gewordenen Möglichkeit einer Allianz ihrer Rivalen China und Iran. Bislang wurde keine offizielle Vereinbarung getroffen und auch die Berichte über vertrauliche Protokolle, die von einer Kooperation sprechen, sollten mit Vorsicht betrachtet werden. Dennoch würde eine Partnerschaft die momentane internationale geopolitische Ordnung aufmischen.

 

Während die wahren Absichten der beiden Staaten noch zur Debatte stehen, hätte die Initiative weltweite Auswirkungen auf Finanzwesen, Handel, Infrastruktur, Verteidigung und Sicherheit.

 

Bislang ist Beijing direkten Konfrontationen mit der US-amerikanischen Politik im Mittleren Osten so gut es ging aus dem Weg gegangen. Obwohl Präsident Xi Jinping stets multilaterale Maßnahmen im Zuge des »Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplan« (JCPOA) unterstützte, hat sich China bislang nicht der amerikanischen Politik des »maximalen Drucks« entgegengestellt.

 

Iran gilt als Musterbeispiel für Beijings langfristige geopolitische Ambitionen.

 

Selbst die »Belt and Road Initiative« (BRI) vermied trotz auf dem Spiel stehender Energieinteressen weitgehende Eingriffe in die Region. Die bisherige chinesische Außenpolitik im Golf lässt also vermuten, dass die Regierung die Involvierung in regionale Konflikte stets vermeiden wollte, um die von Washington gewährleistete Stabilität und Energiesicherheit nicht zu gefährden.

 

Einige Analysten sehen die konstante Konfrontation der Vereinigten Staaten mit China als Grund für den sich anbahnenden geopolitischen Albtraum. Andere sehen im Partnerschaftsabkommen den ultimativen Beweis für Chinas Ziel, die USA als globale Führungsmacht abzulösen.

 

Chinas Entscheidung, diesen Schritt genau jetzt zu gehen, wird von Kommentatoren je nach politischer Position sehr unterschiedlich interpretiert. Die wachsende Anzahl von China-Gegnern in Washington betrachtet das Partnerschaftsabkommen als Angriff auf die globale Führungsrolle der Vereinigten Staaten. Chinas Fürsprecher erkennen dagegen eine Abwehrstrategie seitens Beijing als Folge der zunehmend feindseligen Maßnahmen der US-Regierung.

 

Der vorliegende Essay behandelt die möglichen Folgen des chinesischen Strategiewechsels im Nahen Osten. Iran gilt dabei als Musterbeispiel für Beijings langfristige geopolitische Ambitionen.

 

Der Weg über Iran verlor mit dem Aufkommen schnellerer, transatlantischer Routen im 17. Jahrhundert rasant an Bedeutung.

 

China und Iran waren schon in der Antike durch Handel und Kulturaustausch verbunden – im Mittelalter überquerte Marco Polo auf seinem Weg nach China die Karawanenstraße.

 

Auch Spanien spielte später eine wichtige Mittlerrolle zwischen Europa und den Imperien Asiens. Heinrich III. von Kastilien und Léon ließ 1403 eine Botschaft im Reich Tamerlans eröffnen und durchquerte Persien während seiner Reise nach Samarkand in Zentralasien. Sein Gesandter Ruy González de Clavijo dokumentierte in einem Bericht diese Mission, die bis heute zu den außergewöhnlichsten diplomatischen Unternehmungen der spanischen Geschichte zählt.

 

Unter Philipp III. (1578-1621) erneuerte das spanisch-portugiesische Reich seine diplomatischen Beziehungen zu Persien. Der Weg über Iran verlor jedoch mit dem Aufkommen schnellerer, transatlantischer Routen im 17. Jahrhundert rasant an Bedeutung. Erst über 200 Jahre später weckte die britisch-russische Rivalität erneut das Interesse für die Transitregion.

 

In seiner 2018 veröffentlichten Sammlung von Essays unter dem Titel »The return of the world of Marco Polo« beschreibt der Autor Robert Kaplan die Rückkehr Eurasiens als strategisches Interessensgebiet. Laut Kaplan werden künftig hitzige Konkurrenzkämpfe zwischen früheren Imperien und postkolonialen Mächten wie China, den USA, Iran, Russland, der Türkei und der EU die Geopolitik aufmischen.

 

Solche Rivalitäten werden sich in einem von Globalisierung und Technologie geprägtem Umfeld abspielen, in der Streitkräfte in Konflikten, Handel und Verkehrswirtschaft aufeinandertreffen werden.

 

Die »Neue Seidenstraße« soll die Abhängigkeit von internationalen Seewegen reduzieren.

 

Die früheren Karawanenrouten über die eurasischen Steppen wurden dank Chinas Millionen schweren Investitionen in die »Neue Seidenstraße« wiederbelebt. Die Grundidee des Projekts ist die Integration von Handel und Transportinfrastruktur quer durch den Superkontinent. Ein weiterer geopolitischer Vorteil für China ist, dass die »Neue Seidenstraße« die Abhängigkeit von internationalen Seewegen reduziert. So ist Beijing weniger gefährdet, Blockaden feindlicher Seemächte wie den USA an Meerengen, wie jenen von Malakka oder Hormuz, zum Opfer zu fallen.

 

Die »Perlenketten«-Strategie unterstreicht, dass China zugleich Ambitionen auf hoher See verfolgt. So wurden zwischen Hainan und Dschibuti mehrere Flottenstützpunkte errichtet, um die für Handel unverzichtbaren Seewege abzusichern. Gleichzeitig ist sich China jedoch seiner Unterlegenheit gegenüber der amerikanischen Übermacht auf den Meeren bewusst.

 

Die »Neue Seidenstraße«, und besonders jener Teil, der durch Iran verläuft, steht im Mittelpunkt der »Belt and Road Initiative« (BRI). Der Name dieses Wirtschaftskorridors zwischen China und Europa verweist auf das historische Zeitalter, in dem China als Welthandelszentrum galt. Die BRI verläuft durch Zentralasien und die Straße von Malakka, im Fall Pakistans verbindet sie auch Land- und Seerouten.

 

Ursprünglich lag der Fokus der BRI, zuerst als »One Belt One Road« (OBOR) bekannt, auf der Förderung von Vernetzungsmöglichkeiten und der Koordination von Entwicklungsinitiativen zwischen den eurasischen Staaten. Die praktische Umsetzung blieb aber flexibel und orientierte sich in Ausmaß und Inhalt fortlaufend an chinesischen Interessen.

 

Neben der Entwicklung von Energie- und Transportinfrastruktur aller Art umfasste die BRI mehr und mehr auch andere Bereiche wie Landwirtschaft, Bauwesen, Tourismus, Industrieproduktion, Finanzintegration oder kulturellen, wissenschaftlichen und technologischen Austausch. Darunter fällt auch die »Digitale Seidenstraße«, die Telekommunikation, Cloudspeicher, Datenverarbeitung und vor allem Sicherheits- und Erkennungssysteme beinhaltet.

 

Iran und Afghanistan sind unerlässlich für den Bestand und die Entwicklungsfähigkeit der »Belt and Road Initiative«.

 

Auch geografisch hat sich die »Neue Seidenstraße« erweitert und umfasst heute so nicht nur Eurasien, sondern auch Afrika, Ozeanien, Lateinamerika und sogar die Arktis.

 

Laut dem »Office for the Promotion of the BRI«, jene Behörde, die offizielle Informationen rund um die Initiative publiziert, waren 2019 bereits 125 Länder Teil des Programms. Im selben Jahr veröffentlichte die Weltbank einen Bericht, der 70 Korridore identifizierte, die China mit verschiedenen Ländern verbindet und für 40 Prozent des Exporthandels verantwortlich sind. Die Weltbank schätzt die Gesamtkosten der bislang nur zum Teil realisierten Initiative auf über 500 Milliarden US-Dollar. Andere Berichte rechnen sogar mit Ausgaben von über drei Billionen US-Dollar.

 

Eine strategische Partnerschaft mit Iran wäre ein Musterbeispiel des idealen BRI-Modells. Bislang galt Pakistan als Leitbild für Chinas Beziehungen innerhalb der BRI: Diese Allianz beinhaltete nicht nur Inlands- und Seetransportinfrastruktur, sondern auch wirtschaftliche und militärische Kooperation. Ein Abkommen mit Iran würde eine Energiekomponente ins Spiel bringen und somit eine völlig neue geopolitische Dimension eröffnen.

 

Es würde einen Korridor für Transportinfrastruktur schaffen, der von Xinjiang über Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan und Turkmenistan in die Türkei und Europa führt. Außerdem würde es China über Landwege mit dem Irak und Saudi-Arabien über den Seeweg mit dem Persischen Golf und dem Roten Meer vernetzen.

 

Asiatische Transport- und Kommunikationsrouten werden extrem von der geografischen Umgebung geprägt. Iran und Afghanistan sind unerlässlich für den Bestand und die Entwicklungsfähigkeit der BRI. Auf dem Weg nach Europa kann man Pakistan zwar umgehen, nicht aber Iran, denn die einzige Route zwischen dem Kaspischen Meer und dem Indischen Ozean führt durch das Land.

 

Iran bietet als Teil der »Perlenketten«-Strategie den Hafen Chahbahar eine Alternative zum Stützpunkt Gwadar in Pakistan.

 

Auch Afghanistan grenzt an China, allerdings gestaltet sich der Warentransport im großen Maßstab schwierig, während die schnellste Route zum Indischen Ozean über Pakistan führt. Die Grenzkonflikte, die sowohl China als auch Pakistan mit Indien führen, beeinflussen zusätzlich das strategische Gleichgewicht, besonders bezüglich der Kaschmir-Frage. Kurz gesagt, Iran ist ein essenzieller Bestandteil der »Belt and Road Initiative« und bietet als Teil der »Perlenketten«-Strategie den Hafen Chahbahar eine Alternative zu dem Stützpunkt Gwadar in Pakistan.

 

Aus Chinas Perspektive reduzieren Investitionen entlang der Handelsrouten Transportkosten und schaffen neue Absatzmärkte, während Investitionen im Energiebereich die Ölzufuhr sicherstellen. Gleichzeitig bieten Investitionen in Infrastruktur, umgesetzt von chinesischen Firmen, eine Lösung für Kapazitätsüberschuss und Schwierigkeiten mit der Anpassung an neue Marktgegebenheiten.

 

Diese Firmen verfügen generell über beträchtliche öffentliche Mittel. Auch die finanzielle Komponente spielt eine Rolle, denn sie soll den Wert des chinesischen Yuans in internationalen Transaktionen steigern. Zu guter Letzt hat die BRI auch direkten Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung Chinas westlicher und südlicher Provinzen, die bis dato den reicheren östlichen Provinzen hinterherhinken.

 

China investiert zudem in digitale Telekommunikations- und IT-Infrastrukturen. So können chinesische Mobilanbieter in Sachen Cloud-Infrastruktur und Informationstechnologie voraussichtlich bald mit traditionellen Marktgrößen, meist amerikanischen Firmen, mithalten. Eine chinesische Cloud könnte ein Mittel für Datenspeicherung und -abwicklung aller involvierten Unternehmen bieten.

 

Es wäre in jeder Hinsicht sinnvoll für chinesische Unternehmen, auf diese neue digitale Infrastruktur im Zusammenhang mit der BRI zurückzugreifen. Ebenso ist es im chinesischen Interesse, wenn Unternehmen, die in einer der teilnehmenden BRI Länder operieren, chinesische Netze und IT-Anwendungen wie 5G oder Cloud-Dienste nutzen.

 

Nach immensen Investitionen in die Transportinfrastruktur verlagert sich Chinas Fokus nun auf den Telekommunikations- und Energiesektor.

 

Nach immensen Investitionen in die Transportinfrastruktur – von Eisenbahnen über Häfen und Flughäfen bis hin zu Navigationssatelliten – verlagert sich Chinas Fokus nun auf den Telekommunikations- und Energiesektor. Thinktanks diskutieren bereits diverse Szenarien, in denen China zunehmend in Länder investiert, die finanzielle Unterstützung im Infrastrukturbereich benötigen.

 

Eine Folgeentwicklung ist die Errichtung von Industriegebieten in der Nähe von Verkehrsknotenpunkten. Dort sollen industrielle und technologische Cluster entstehen, die eng mit chinesischen Firmen und den Ex- und Importplattformen kooperieren.

 

Im Jahr 2018 startete China das Projekt »Digitale Seidenstraße« als Erweiterung der BRI. Der Plan umfasst Mobilkommunikation, 5G, Quantencomputing, Nanotechnologie, Künstliche Intelligenz, Big Data, Blockchain, Cloudcomputing und Satellitennavigation. Das Angebot für interessierte Staaten beinhaltet den Aufbau digitaler Infrastruktur und die Entwicklung von Internet-Sicherheitssystemen im chinesischen Stil, die den nationalen Cyberspace vor ausländischen Eingriffen schützen sollen. Das Endziel der chinesischen Vision ist eine internationale Cyberspace-Gemeinschaft.

 

Zusammengefasst sind die Ziele der digitalen Seidenstraße (1) neue Märkte für chinesische Technologie zu eröffnen, (2) Datenbanken zu erweitern, um Chinas technologische Entwicklung zu verbessern, (3) eine digitale Infrastruktur zu erschaffen, um die Ausweitung der BRI zu ermöglichen und (4) positive Meinungen über Chinas Vorgehen in Empfängerländern zu verbreiten.

 

Allein wegen der Größe seines Marktes würde China zunehmend die Ökonomien kleinerer Länder in seinen Einflussbereich ziehen. Nach chinesischer Auffassung würde dies durch Markdynamiken gelingen, nicht etwa aus Zwang oder Einschüchterung. So oder so würde China mit der »Digitalen Seidenstraße« an Macht gewinnen, und gleichzeitig ohne Konfrontationen Einkommen generieren.

 

Kritiker bemängeln, dass Empfängerländer durch Finanzprojekte in ausweglose Schuldenfallen gelockt werden könnten.

 

Kritiker bemängeln allerdings, dass Empfängerländer durch besagte Finanzprojekte in ausweglose Schuldenfallen gelockt werden könnten. Die EU hat sogar bereits Maßnahmen eingeleitet, um ein eigenes Verbindungsprojekt für Eurasien auf die Beine zu stellen, und somit Chinas dominanter Position entgegenzuwirken.

 

Aus historischer Sicht könnte der Marshall-Plan als Vorgänger der BRI bezeichnet werden, wobei Beijings Projekt weitaus ambitioniertere Ziele verfolgt. Sie teilen dasselbe Prinzip: Ländern helfen, die Auslandsinvestitionen benötigen, um ihre Entwicklung anzukurbeln.

 

Hinzu kommt für Geberländer natürlich der Vorteil von neuen Vertriebsstandorten für eigene Güter und Dienstleistungen, die sich auch zu abhängigen Marktwirtschaften entwickeln können. In der Folge erweitern Geberstaaten ihren geopolitischen Einflussbereich und stärken den Stellenwert ihrer Währung bei internationalen Transaktionen.

 

In den letzten Jahren hat sich Irans strategische Position aufgrund seines wirtschaftlichen Potentials und geopolitischen Einflusses, besonders in der Energiebranche, kontinuierlich erhöht. Alleine der demographische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Einfluss Irans machen das Land zu einem attraktiven Partner. Zusätzlich bietet Iran einen einfachen Zugang zu Europa. Dass das Land nun durch US-Sanktionen und schwerwiegende wirtschaftliche Folgen der Covid-19-Pandemie dringend auf internationale Hilfe angewiesen ist, bietet China eine einmalige Möglichkeit.

 

Aus chinesischer Sicht ergänzt Irans strategische Lage perfekt die von Pakistan. Beijings Sicht strebt an, Transportinfrastruktur wie Häfen, Straßen- und Eisenbahnnetze entlang dieser Routen zu erweitern. Die Häfen würden nicht nur als logistische Drehkreuze für Seewege funktionieren, sondern könnten später auch für Militäreinsätze genutzt werden.

 

Mit einer finanziellen Integration Irans könnte China seinem Traum, den Yuan zu einer Leitwährung zu machen, einen großen Schritt näherkommen.

 

Der von US-Sanktionen erzwungene Rückzug Indiens aus Chahbahar hinterließ ein Machtvakuum, das eine ideale Möglichkeit für China darstellt, seinen Einfluss in der Region auszuweiten. Die Sicherstellung von Ölzufuhr, die nicht von den Vereinigten Staaten kontrolliert wird, bietet Beijing im Energiebereich einen weiteren gewichtigen Vorteil.

 

Im digitalen Sektor stellt Irans Ökonomie einen idealen Markt für den Einsatz von 5G- und Cloudcomputing dar. Darüber hinaus könnte Iran angesichts seines begrenzten Zugriffs auf internationale Zahlungssysteme durchaus von chinesischen E-Commerce-Technologien und Online-Bezahlsystemen profitieren. Mit einer finanziellen Integration Irans könnte China seinem Traum, den Yuan zu einer Leitwährung zu machen, einen großen Schritt näherkommen.

 

Doch die Eingliederung Irans in Chinas Alternativfinanzsystem bedeutet gleichzeitig auch einen direkten Angriff auf Washington Hegemonialmacht über das Weltfinanzsystem: Es ist gut möglich, dass Staaten wie Russland, die dem Einsatz von Finanzinstrumenten und Handelssanktionen als politische Waffen überdrüssig sind, sich künftig einer solchen Alternative anschließen.

 

Im August reiste Irans Außenminister Javad Zarif zu Verhandlungen über den Fahrplan der neuen Partnerschaft nach Beijing. Das Fundament der Einigung wäre eine exponentielle Erhöhung chinesischer Fördergelder in Schlüsselbranchen der iranischen Wirtschaft im Austausch gegen günstige Ölversorgung.

 

Außerdem hätte das Abkommen eine Sicherheits- sowie Militärkomponente, einschließlich Ausbildung von Truppen, Zusammenarbeit im Anti-Terror-Kampf, Rüstung und im Geheimdienstbereich. In dieser Hinsicht ist Iran bereits als Beobachter an die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) angeschlossen.

 

Der Rabatt auf den Ölpreis könnte sich auf insgesamt 30 Prozent belaufen.

 

Über ein Zeitfenster von 25 Jahren soll in Sachen Handel, Militär, Transportinfrastruktur, Telekommunikation und Finanzen kooperiert werden. Auf kurze Sicht fokussiert sich der Deal auf den Energiesektor. Iran soll China im Gegenzug für Investitionen extrem großzügige Preisnachlässe gewähren.

 

Nach Berechnungen mancher Experten könnte sich der Rabatt auf den Ölpreis auf insgesamt 30 Prozent belaufen. China würde wiederrum über fünf Jahre 280 Milliarden US-Dollar in Irans Öl- und Gasindustrie, der es gegenwärtig an Raffineriekapazitäten mangelt, sowie den petrochemischen Sektor investieren.

 

Neben den günstigen wirtschaftlichen Bedingungen hätte eine Partnerschaft geopolitisch gesehen auch wichtige militärische und sicherheitspolitische Auswirkungen. Die Verbindung des iranischen Infrastrukturnetzwerks mit Irak gewährt China direkten Zugang. Im letzten Jahr vereinbarten Bagdad und Beijing in einem Vertrag chinesische Unterstützung in Höhe von 10 Milliarden US-Dollar für Iraks Infrastrukturentwicklung. Eine Eingliederung Iraks in den neuen BRI-Korridor würde den Einfluss des Partnerschaftsabkommen beachtlich erweitern.

 

Aus heutiger Sicht sind die wahre Natur der Vereinbarung, sein momentaner Status und tatsächlicher Inhalt alles andere als klar. Wenn sich die durchgesickerten Informationen allerdings bestätigen, steht China vor einem Paradigmenwechsel mit geopolitischen Folgen.

 

Obwohl die Volksrepublik schon seit Ende 1990 einer der wichtigsten Märkte für iranisches Öl ist, hat Beijing sich doch an US-Sanktionen gehalten, die das iranische Atomprogramm einhegen sollen. Zwischen 2006 und 2015 hat China im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen stets für Wirtschaftssanktionen plädiert und zugleich seine Ölimporte von 800.000 auf 200.000 Barrel reduziert sowie den Handel um 30 Prozent zurückgeschraubt.

 

Bisher ist China in seinen Beziehungen zu Iran stets einer direkten Konfrontation mit den USA aus dem Weg gegangen.

 

Die derzeitige US-Regierung sieht Iran als einen seiner Hauptfeinde und Sanktionen als festen Bestandteil der Außenpolitik. Bisher ist China in seinen Beziehungen zu Iran stets einer direkten Konfrontation mit den USA aus dem Weg gegangen und vermied es auch, Sanktionen infrage zu stellen.

 

Falls die durchgesickerten Informationen, die von einer geheimen Militärkooperation, chinesischem Zugriff auf iranische Militärstützpunkte und einer möglichen trilateralen Zusammenarbeit mit Russland sprechen, bestätigt werden, könnte sich die geopolitische Situation in der Region drastisch ändern.

 

Sollte das Abkommen schlussendlich unterschrieben und umgesetzt werden, drängen sich viele Fragen auf: Was wird aus den Sanktionen und wie werden andere Länder reagieren? Bis dato herrscht zu diesen Themen kein Konsens. Manche Stimmen sprechen von einem chinesischen Eigentor, und sind überzeugt, dass China die Zeche für seine gewagte Strategie zahlen werden wird.

 

Andere Experten glauben, dass die strategische Partnerschaft keine tiefgreifenden Auswirkungen haben wird, solange ein attraktives westliches Alternativangebot erarbeitet wird. Beide oben angeführten Ansichten sind jedoch überzeugt, dass die Entscheidung, sich mit einem »Schurkenstaat« wie Iran zu verbinden, China früher oder später wirtschaftlich und politisch eindämmen wird.

 

Auf der anderen Seite stehen Kommentatoren, die den Deal als Konsequenz der kontraproduktiven und kompromisslosen US-Politik gegenüber Iran und China sehen. Diese Meinung ist vor allem in europäischen Hauptstäten und beim Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) verbreitet. Dort wird schon lange für eine pragmatische Beziehung zu beiden Ländern plädiert, die wirtschaftliche Anreize und realistische Forderungen kombinieren soll.

 

Seit 2019 hat China Währungs-Swap-Vereinbarungen mit 20 BRI-Ländern geschlossen.

 

So argumentiert auch der EU-Außenbeauftragte Joseph Borrell: Nur weil China als geopolitischer Gegenspieler gilt, sollte die Beziehung zu Beijing nicht als systemischer Wettkampf gesehen werden, denn das führe zwangsläufig zu Konfrontation.

 

Eine weitere Frage, die sich stellt, ist wie das Abkommen in der Praxis aussehen könnte. Würde ein eigenes Handelssystem geschaffen werden oder würden die beiden Länder eine Art Tauschwirtschaft betreiben? In diesem Zusammenhang spricht der Chefvolkswirt der Bank of China von der geplanten Einführung neuer internationale Zahlungssysteme. Chinas Blockchain-Technologie ist zwar noch in der Entwicklungsphase, könnte aber bald Teil dieser Alternative zu traditionellen Finanztransaktionen werden.

 

Seit 2019 hat China Währungs-Swap-Vereinbarungen mit 20 BRI-Ländern geschlossen und spricht sich folglich auch für das »Cross-Border Interbank Payment System« (CIPS) aus. CIPS ist ein System, dass China als Alternative zu dem US-kontrollierten SWIFT-Zahlungssystem entwickelt hat. 2019 zählte CIPS schon über 40 Mitgliedsstaaten der BRI-Länder und hatte laut eigenen Angaben in 96 Ländern Transaktionen durchgeführt.

 

Trotzdem ist unwahrscheinlich, dass das Zahlungssystem momentan schon in der Lage ist, das Volumen der Transaktionen des China-Iran-Abkommens zu stemmen.

 

Die Reaktionen auf die Ankündigung des Partnerschaftsabkommens waren vielseitig. In Iran liefern sich die Parlamentsfraktionen hitzige Debatten über die strategische Partnerschaft. Nationalistische Parteien haben Angst, wieder unter die Kontrolle einer weltpolitischen Supermacht zu fallen, nachdem Iran es erst kürzlich geschafft habe, die amerikanische Vorherrschaft loszuwerden.

 

Ex-Präsident Mahmud Ahmadinejad verglich das Abkommen mit dem Vertrag von Turkmenchay 1828, laut dem Iran einen großen Teil des Südkaukasus an das Russische Zarenreich abtreten musste.

 

Einige Stimmen, einschließlich der des ehemaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad, haben das Abkommen sogar mit dem Vertrag von Turkmenchay 1828 verglichen, laut dem Iran einen großen Teil des Südkaukasus an das Russische Zarenreich abtreten musste.

 

Ahmadinejad gehört zu den prominentesten Kritikern der Vereinbarung, die seiner Meinung nach »hinter dem Rücken des iranischen Volkes« beschlossen wurde. In Anbetracht seiner politischen Vergangenheit ist Ahmadinejads Position zwar widersprüchlich, doch sie macht trotzdem die Brisanz des Themas deutlich.

 

Gleichzeitig spielt sich der Streit um das Abkommen vor dem Hintergrund der für 2021 angesetzten Wahlen ab, bei denen Präsident Hassan Ruhani der konservativen Konkurrenz gegenübersteht. Seine Gegner fürchten nun, dass die strategische Partnerschaft mit China und die einhergehenden Ressourcen für die Wiederbelebung der Wirtschaft Ruhanis politische Stellung erheblich stärken werden.

 

China nimmt ebenfalls einen interessanten Standpunkt zu der Vereinbarung ein. Alleine der Fakt, dass Beijing die Bedeutung des Deals heruntergespielt hat und stets behauptete, dass es sich lediglich um eine Übereinkunft mit einem befreundeten Land handle, spricht dafür, wie sehr man sich der Brisanz des Abkommens und seiner Auswirkungen bewusst ist. Wäre dies nicht der Fall, hätte China die neugewonnene Machtposition längst nach innen und nach außen propagiert.

 

In seinen Reden und Schriften vertritt Xi Jinping die Meinung, dass Anführer den Lauf der Geschichte nutzen sollten, anstatt ihm entgegenzuwirken. In seinem Buch »Die Regierung Chinas« schreibt er: »Wenn wir die Welt betrachten, sollten wir unseren Blick nicht von komplizierten oder vergänglichen Dingen trüben lassen. Stattdessen sollten wir die Welt durch den Blickwinkel der historischen Gesetze sehen.« Aus Chinas Perspektive ist wirtschaftliche Entwicklung unverzichtbar, es sei der übermäßige Fokus auf andere westliche Konzepte, der offene Konflikte verursache.

 

China ist sich wohl bewusst, dass keine Weltmacht es jemals unbeschädigt aus Interventionen in Konflikte im Nahen Osten geschafft hat.

 

China ist sich wohl bewusst, dass keine Weltmacht es jemals unbeschädigt aus Interventionen in Konflikte im Nahen Osten geschafft hat, und dass Engagement in der persischen, arabischen, israelischen oder türkischen Welt eine heikle Gratwanderung ist. Zwischen 2005 und 2018 haben chinesische Firmen weniger in Iran als in Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) investiert.

 

Trotzdem fühlt sich China nicht in Eile und sieht die Zeit auf seiner Seite. Eine weitere wiederkehrende Idee in Xis politischer Strategie ist die Multipolarität des neuen internationalen Systems, in der die USA ihre Vorherrschaft einbüßen und China eine Führungsrolle spielt, auch wenn nicht zwingend als Hegemon.

 

Die ausbleibende Begeisterung beider Länder bei der Bekanntgabe des Abkommens ist wohl ein Zeichen, dass es sich eher um eine Zweckehe als eine Liebesheirat handelt – beide Länder hätten wohl spätestens zu diesem Zeitpunkt eine für alle Seiten zufriedenstellende Einigung mit den USA vorgezogen.

 

Das Bündnis scheint kein ausgereifter geopolitischer Angriff auf Washington zu sein, sondern eher eine Warnung an die US-Regierung, die die Konsequenzen einer kontinuierlichen Konfrontation mit China aufzeigt. In dieser Hinsicht wäre die Allianz ein Druckmittel, um den chinesischen und iranischen Einfluss in zukünftigen Verhandlungen zu erhöhen.

 

Die Strategie, die die künftige US-Regierung nach den Wahlen verfolgt, wird eine enorme Auswirkung auf künftige Entwicklungen haben – sie wird darüber entscheiden, wie tiefgreifend sich Chinas und Irans Partnerschaft gestaltet. Das Abkommen hat außerdem neue Dynamiken und Ideen ins Leben gerufen, die die Zukunft wesentlich beeinflussen könnten. Die Allianz, die eigentlich eine langfristige Kooperation in den Bereichen Handel, Finanzen, Infrastruktur, Verteidigung und Sicherheit besiegeln sollte, könnte so eigene geopolitische Dynamiken entwickeln.


Ramon Blecua ist Diplomat, ehemaliger EU-Botschafter im Irak und derzeit Sonderbotschafter für Mediation und Interkulturelle
Beziehungen des spanischen Außenministeriums.

Claudio Feijoo ist Professor an der Universidad Politécnica de Madrid und Ko-Direktor des chinesisch-spanischen Campus der Tongji-Universität. Die Meinungen in diesem Artikel stammen von den Autoren und stellen in keiner Weise offizielle politische Positionen des Außenministeriums dar.

Von: 
Ramon Blecua und Claudio Feijoo

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