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Tourismus in Iran

Lauter nette Leute

Essay
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Foto: Sören Faika Sören Faika

Immer mehr Menschen reisen nach Iran – und die meisten kommen weder aus Europa noch den USA. Dennoch richtet die Branche ihren Blick auf westliche Touristen – und stößt dabei schon an ihre Grenze.

Als deutscher Tourist, der nach Iran aufbricht, erntet man meist ungläubige Blicke, die zwischen Unverständnis und Bewunderung schwanken. Während vor der Islamischen Revolution 1979 internationale Touristen Iran scheinbar überrannten, mutet eine Reise nach Iran noch heute wie ein wagemutiges Unterfangen an. Tatsächlich erzählen die Zahlen eine andere Geschichte. Vor der Revolution kamen im Jahr 1977 etwa 700.000 internationale Touristen nach Iran. Nach einem Tiefpunkt während der Revolutions- und Kriegsjahre überschritt Iran schon 1997, mit der Wahl des Hoffnungsträgers Mohammed Khatami zum Präsidenten, wieder die Marke von 750.000 internationalen Besuchern. Und dieser Trend setzte sich fort – mit einer leichten Abschwächung zu Beginn der Amtsperiode von Mahmud Ahmadinedschad. Selbst in den härtesten Sanktionsjahren 2011/12 stieg die Anzahl der ausländischen Touristen von 3,3 auf 4 Millionen. Das heißt, dass Iran heute deutlich mehr Touristen aufnimmt als unter den besten Jahren der Pahlavi-Herrschaft. Dennoch brauchte das Image Irans das Atomabkommen mit den 5+1-Maechten, um von der internationalen Staatengemeinschaft vom »Schurkenstaat« zu einer der »Top-Destinationen« im Jahr 2016 aufzusteigen. Eine Bezeichnung, die im letzten Jahr zahlreiche Reisemagazine, Zeitungen und Nachrichtenagenturen aufgriffen.

Aktuell trägt der Tourismussektor etwa sieben Prozent zum Bruttosozialprodukt des Landes bei, was unter Entwicklungsländern ein relativ guter Wert ist, doch im Falle Irans noch deutlich Potenzial bereithält. Und der Ausbau des Tourismussektors ist auch das offizielle Ziel Irans, um die Wirtschaft weiter zu diversifizieren und das Land zu einer modernen, islamischen und in die Welt eingebundenen Nation zu entwickeln. Die Grundlage dafür legt der 20-Jahre-Entwicklungsplan, den Revolutionsführer Ali Khamenei 2005 absegnete. Die für den Tourismus daraus abgeleiteten Ziele visieren 20 Millionen Touristen für das Jahr 2025 an – eine kaum machbare Zielmarke für die Islamische Republik Iran. Während die Regierung unter Ahmadinedschad nur wenige effektive Schritte zum Erreichen dieser Vision im Tourismusbereich einleitete und mit ihrer provokativen Außenpolitik zumindest in Europa für schockierende Schlagzeilen sorgte, griff Präsident Hassan Ruhani 2013 einige brachliegende Maßnahmen aktiv auf und ebnete mit dem Atomabkommen den Weg für neue Impulse.

Internationale Hotelketten schlossen Bauverträge, bekannte Autovermietungen öffneten Filialen in Iran, und der Ausbau von Zugverbindungen zwischen den großen Städten Irans beschleunigte sich. Auch einen der schwierigsten Flaschenhälse aller internationalen Aktivitäten in Iran ging die Regierung an, indem sie eine alte Initiative aus der Khatami-Ära unterstützte: Die damals gegründete »Tourismus-Bank« begann erneut, ihre speziellen Touristen-EC-Karte anzubieten. Damit können ausländische Besucher Bargeld, das sie wegen der Sanktionen gezwungenermaßen mit sich tragen, auf ein temporäres Konto in Iran einlagern und während ihres Aufenthalts wie gewohnt mit Karte zahlen. Dieses Modell hatte allerdings bis vor Kurzem noch einen Haken: Der Umtausch der Devisen war an den offiziellen Kurs des Iranischen Rials gebunden. Da dieser deutlich vom realen Wechselkurs abweicht, bedeutete die Karte einen enormen Wertverlust und war somit höchst unattraktiv. Seit Juni 2017 bietet allerdings eine andere Bank den selben Service an und wechselt laut eigenen Angaben nach dem Realwert.


»Si-o-se Pol«, die »33- Bogen-Bruecke«, gehoert zu den markantesten Wahrzeichen und beliebtesten Sehenswuerdigkeiten Isfahans. Das 290 Meter lange, zweistoeckige Viadukt ueber den Fluss Zayandeh Rud hielt als Meisterwerk safawidischer Bauku
»Si-o-se Pol«, die »33- Bogen-Brücke«, gehört zu den markantesten Wahrzeichen und beliebtesten Sehenswürdigkeiten Isfahans. Foto: Sören Faika

Ein weiterer Indikator für die höhere Priorität des Tourismus: Iran bringt seine Sehenswürdigkeiten in Schuss. Obwohl das Kabinett Ahmadinedschad über so viel Budget wie keine iranische Regierung zuvor verfügte, reichte es nicht für die Instandhaltung von Kulturstätten. Seit Ruhanis Amtsantritt begannen daher Baumaßnahmen und längst überfällige Restaurationsarbeiten – zumindest an den bekanntesten Sehenswürdigkeiten Irans wie Persepolis bei Schiraz oder dem zentralen Platz in Isfahan. Im Umkehrschluss heißt das allerdings auch, dass Iran sehr viele Orte und Plätze noch entwickeln muss, um tatsächlich eine große Anzahl an Touristen bedienen zu können. Nicht alle geplanten 20 Millionen Touristen können sich bei Persepolis treffen.

Diese Konzentration auf die bekanntesten Stätten spiegelt eine Wahrnehmung des Tourismus in Iran wider, die nur einen Bruchteil des Gesamttourismus berücksichtigt. Denn wenn man in Iran an Touristen denkt, fallen einem die betagten Mittel- und Westeuropäer ein, die aus ihren Bussen steigen, um kurz Fotos einer prächtigen Moschee zu schießen. Tatsächlich macht diese Gruppe nur einen kleinen Anteil der Touristen in Iran aus. Sie fallen aber überproportional auf, da sie sich auf die wenigen der bekanntesten Sehenswürdigkeiten in einer Handvoll Städte konzentrieren. Zwar sind sie innerhalb der internationalen »Kulturtouristen« noch die größte Gruppe, machen aber gerade einmal 15 Prozent der internationalen Besucher aus, die selbst wiederum nur 35 Prozent der Gesamttouristen in Iran stellen. 65 Prozent aller Touristen in Iran sind somit Iraner. Innerhalb der Gruppe der ausländischen Besucher sind die meisten geschäftlich unterwegs, gefolgt von religiösem Tourismus und Familienbesuchen. Erst auf dem vierten Platz kommen die Kulturtouristen. Medizintouristen stellen die kleinste Gruppe, obgleich dieser lukrative Bereich auch dank spezieller Angebote enorm an Bedeutung gewinnt.

Diese Zahlen geben auch Aufschluss über die Bedeutung Irans als regionaler Fixpunkt: Etwa die Hälfte aller internationalen Besucher kommt aus umliegenden Staaten, aus dem Irak, Syrien, Armenien, Aserbaidschan, Afghanistan, Turkmenistan, den Golfstaaten und Pakistan. Man ist geschäftlich unterwegs, kommt für eine Pilgerreise, besucht die Familie oder möchte die in Iran relativ gute medizinische Versorgung nutzen. Und nur ein Teil der anderen Hälfte der ausländischen Besucher sind Europäer oder US-Amerikaner, denn mittlerweile kommen aus China und Japan mindestens ebenso viele Touristen.

Der Glaube, dass Iran seit dem Atomabkommen zur Top-Destination aufsteigt, ist insofern irreführend, da auch schon in den Jahren zuvor jedes Jahr mehr Touristen kamen – allerdings nicht aus Europa. Dennoch hält sich diese Überzeugung auch in Iran und spiegelt sich etwa in Form der mittlerweile systematisch eingeführten »Ausländerpreise« für zahlreiche Sehenswürdigkeiten wider, die von der »Organisation für Kulturelles Erbe« verwaltet werden. Solche Aufschläge waren auch früher in Iran verbreitet, wenn auch inoffiziell. Manchmal entschied der Kassierer bei einer Sehenswürdigkeit, dass der Besucher »einfach mal mehr« zahlen könne. Gegen diese Willkür wurde dann vorgegangen, um nun flächendeckend Aufschläge einzuführen. Begründet wird dies mit der stärkeren Zahlkraft von Ausländern – und hat dabei in erster Linie US-Amerikaner und Europäer im Sinn. Die »Ausländerpreise« sind hierbei in der Regel um das 17-Fache höher als die jene für Iraner.

Auch die Preise für Hotels, Hostels und Reiseleiter schnellen in die Höhe. Besonders 2016 profitierten die Anbieter vom Ansturm der zahlungskräftigen Europäer auf die noch schwache touristische Infrastruktur und testen bis heute die finanziellen Schmerzgrenzen der Neu-Touristen. Zwar gilt Iran immer noch als günstiges Reiseland, doch das ist der starken Inflation der iranischen Währung in den vergangenen Jahren sowie der besonderen Trägheit und Ungenauigkeit von Statistiken in Iran zu »verdanken«. Zweifellos ist davon auszugehen, dass sich dieser gern von iranischen Agenturen hervorgehobene »Pluspunkt« auch statistisch in naher Zukunft revidieren wird.

Dass die Einnahmen aus dem Tourismus für Iran ein Geldsegen sein können, ist spätestens seit 2001 eine verbreitete politische Position, die vor allem von den Reformern in Iran vertreten wird. Damals bettete Präsident Khatami seine Vision, Iran als Tourismusziel zu etablieren, in seinen »Dialog unter Zivilisationen« ein und verstand damit Tourismus als Völkerverständigung. Die Befürchtung von Konservativen, dass damit langfristig »westliche« die »iranisch-islamische« Kultur beeinflussen, wenn nicht sogar verdrängen könne,
versuchte er mit dem Argument zu entkräften, dass man sich auf Augenhöhe begegne und Tourismus viel Geld in die Taschen der Iraner spült – und zwar direkt und spürbar, während beim Öl- und Gashandel das Geld lediglich von oben durchsickere.

Die Zwangsverhüllung ist eines der schwierigsten Themen für ausländische Touristen und steht der Vision vom Massentourismus im Weg

Auf diesen unmittelbaren Einnahmeneffekt setzte nun auch Präsident Ruhani, der sich im Klaren war, dass die Menschen den Nutzen des Atomabkommens in ihren Geldbörsen spüren müssen. Insofern war der Tourismus, neben großen Versprechungen über zukünftige Wirtschaftsentwicklungen, das wichtigste politische Instrument, um den Menschen in Iran so schnell wie möglich das Gefühl zu vermitteln, dass ihr Land wieder ein wichtiger und wohlhabender Teil der Welt wird. Darum startete die Regierung eine Willkommenspolitik, die vor allem Politikern und Journalisten die Möglichkeit geben sollte, ein »neues Iran« kennenzulernen. Dazu wurde auch in zügigen Schritten die Visaverwaltung modernisiert, um Besuchern aus aktuell 190 Ländern Visa direkt nach der Ankunft bieten zu können.

Für viele Iraner bot der Boom in der Tourismusbranche neue Perspektiven, etwa als Touristenführer. Vielen Iranern geht es dabei nicht nur um die gute Bezahlung, sondern auch darum, den schlechten Ruf ihres Landes zu verbessern, den insbesondere die Ahmadinedschad- Ära prägte. Eine Gesellschaft, die sich als eine Wiege der Zivilisation, kulturell reich und gebildet, versteht, kann die schematische Darstellung jener Jahre nur als Demütigung empfinden. Die Chance, als Touristenführer Ausländern die schönen Seiten Irans zu zeigen, gibt vor allem für die junge Generation den Ausschlag, einen Job im Tourismus zu suchen.

An die frische Luft: Immer mehr Iraner suchen auf dem Land Erholung vom staedtischen Laerm. Bei den Hauptstaedtern sind Ausfluege in das nahe gelegene Elburs-Gebirge beliebt, um der Teheraner Smogglocke zu entfliehen.
An die frische Luft: Immer mehr Iraner suchen auf dem Land Erholung vom städtischen Lärm. Bei den Hauptstädtern sind Ausflüge in das nahe gelegene Elburs-Gebirge beliebt, um der Teheraner Smogglocke zu entfliehen. Foto: Sören Faika

Insbesondere junge Frauen sehen Vorzüge in diesem Sektor. Zwar sind Frauen in der Islamischen Republik Iran in allen Bereichen präsent, doch führen sie einen harten Kampf um ihre Gleichstellung, was im Alltag meist den Augen der Männer entgeht. Und viele Reiseleiterinnen haben das Gefühl, als Führerin europäischer Gruppen in der Regel weniger kämpfen zu müssen. Bei ihrer Emanzipation sind sie dabei nicht allein – manchmal ungewollt. Selbstredend ist die Zwangsverhüllung eines der schwierigsten Themen für ausländische Touristen in Iran und steht zweifelsfrei der Vision vom Massentourismus im Weg. Geht es um Iran, tendiert die Gleichstellungsdebatte auf die Reduktion auf das sichtbarste Symbol: den Schleier. Kein Wunder also, dass der Umgang mit dem Kopftuch bei Touristinnen so ein heisses Thema ist. Zudem kommt es auch hin und wieder vor, dass weibliche Besucher aus westlichen Ländern meinen, dass man die »unterdrückten Iranerinnen befreien« müsse, indem man selbst das Kopftuch so freizügig wie möglich trage.

Während es zwar in Iran Verständnis dafür gibt, dass Touristinnen sich an der Zwangsverhüllung stören, empfinden iranische Feministinnen diese Solidarität westlicher Besucherinnen oft als kontraproduktiv für ihren Kampf. Tatsächlich gibt es seit der Einführung der Verhüllungsgesetze 1983 einen Trend zu einer zunehmend lockeren Interpretation dieser Gesetze. Insofern kann es nicht im Sinne der Touristinnen sein, dass ihre lockere Verschleierung die sozialkonservativen Kräfte in der iranischen Politik dazu bewegt, härtere Massnahmen gegen »schlechte Verhüllung« zu fordern. Und so wird aus lockeren Kopftüchern schnell ein Politikum, das verschiedenste politische Kräfte mobilisiert, die an der Ausweitung oder der Eindämmung des Tourismus arbeiten.

Die Vermarktung Irans als touristischer Hotspot fokussiert sich allerdings weniger auf die gesellschaftlichen Konflikte der Moderne, sondern den vermeintlichen Charme der orientalischen Vergangenheit. Das treibt mitunter seltsame Blüten: Plötzlich tauchten an vielen Orten asiatische Trampeltiere auf, die man gern für »orientalische Kamele« hält und reiten kann. Dass dies für die iranischen Touristen ein ebenso aufregendes Erlebnis wie für viele Europäer ist, zeigt schon, wie selten »Kamele« im Alltag beider Touristengruppen vorkommen.

Ebenso dekorieren immer mehr Hostels und Restaurants um, um einen »orientalischen« Flair wiederbeleben. Tatsächlich handelt es sich dabei in der Regel um nomadische Handwerkskunst, die früher das Innere von festen Gebäuden schmückte, wenn die Dame des Hauses etwas »Besonderes« von den Nomaden kaufen wollte. Solche »traditionellen« Restaurants oder Hotels sind daher eher nostalgische Neuschaffungen, die bei Iranern vor allem das Gefühl einer gewissen Nähe zur Natur berühren und somit in Iran für eine bessere Zukunft stehen. Der Wunsch, ein ausgeglichenes oder engeres Verhältnis zur Natur wiederzufinden, gründet sich dabei im iranischen Lebensalltag der Millionenstädte, in denen keine Kamele leben, sondern man sich im Stau oder in überfüllten U-Bahnen durch die Massen bewegt. Aus diesem Grund wird die Landpartie bei gestressten Städtern in Iran immer beliebter. Der Öko-Tourismus zieht aber mittlerweile auch ausländische Besucher an. Insbesondere Wanderreisen stehen seit Neüstem auf dem Programm einiger Agenturen. Doch insgesamt leidet der Tourismus an der zentralstaatlichen Konzentration von Geldern auf die wichtigsten Sehenswürdigkeiten und wenigen Städte Irans, während das Land touristisch brachliegt.

Die Folgen dieser Politik von oben spürt man in Iran sofort, sobald man sich etwas abseits der üblichen Touristen- pfade bewegt. Zwar verfügt Iran im ganzen Land über Verkehrsschilder auf Englisch, doch ist es unmöglich, ein Busticket zu kaufen, auf dem der Abfahrtsort eines Busses für ausländische Besucher zu erkennen ist, und das Reiseziel steht auch nur auf Persisch auf den Bussen. Dass Touristen dennoch immer wieder »die besondere Iran-Erfahrung« machen, dass in der Regel alles reibungslos funktioniert, liegt allein daran, dass sich viele Menschen in Iran um jeden Ausländer so kümmern, als ob er ihr eigener Gast wäre. Ohne Ausbau der touristischen Infrastruktur wird die iranische Gastfreundschaft alleine aber nicht ausreichen, um den erhofften Touristenstrom auch in grösseren Dimensionen zu stemmen.

Von: 
Sören Faika
Fotografien von: 
Sören Faika

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