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Streit zwischen Saudi-Arabien und Kanada

Blame Canada!

Analyse
Presseschau

Saudi-Arabiens PR-Maschinerie bläst zum Sturm auf Kritiker im Ausland – und schießt dabei einmal weit übers Ziel hinaus. Ein Blick in die arabischen Medien nach dem Zwist mit Kanada über die Menschenrechtslage im Königreich.

Anfang August hatten die saudischen Behörden ihre Kampagne gegen unabhängige Menschenrechtsaktivisten fortgesetzt und unter anderem Samar Badawi verhaftet – die Schwester des seit 2012 inhaftierten Autoren Raif Badawi. Dessen Frau Ensaf Haidar lebt inzwischen, wie eine Reihe bekannter saudischer Dissidenten, in Kanada und ist kanadische Staatsbürgerin. Am 3. August brachte das kanadische Außenministerium in einem Tweet seine Sorge über die neue Verhaftungswelle zum Ausdruck und rief die saudischen Behörden zur Freilassung der Aktivisten auf.

 

 

Riad reagierte umgehend, zog seinen Botschafter aus Ottawa ab und erklärte Kanadas höchsten diplomatischen Vertreter im Königreich zur persona non grata. Zudem kündigte Saudi-Arabien sämtliche Kooperationen im Bildungsbereich auf – etwa 16.000 saudische Studenten werden so zum kommenden Semester nicht an die kanadischen Universitäten zurückkehren können, an denen sie eingeschrieben sind. Ebenso wurden alle Flugverbindungen saudischer Airlines nach Kanadas gekappt.

 

Während sich die VAE, Bahrain und die Palästinensische Autonomiebehörde bedingungslos hinter Saudi-Arabien stellen, rufen Kuwait und Oman zur Deeskalation der diplomatischen Krise auf. Weder die Europäische Union noch das Auswärtige Amt haben bislang zu den saudischen Vergeltungsmaßnahmen öffentlich Stellung bezogen.

 

 

Ähnlich gereizt fallen auch die publizistischen Reaktionen aus dem Königreich und den verbündeten Staaten aus – insbesondere in den sozialen Medien. Doch es gibt auch arabische Medien, die Kritik an Riads Konfrontationskurs üben.

 

Okaz
Wenig überraschend weisen saudische Medien die Kritik aus Kanada unisono zurück und sehen Saudi-Arabien in seiner Souveränität angegriffen – eine »rote Linie«, auch für Khaled Soliman, der den diplomatischen Streit für die größte saudische Zeitung Okaz kommentiert und den Tweet des kanadischen Außenministeriums als »Anmaßung« empfindet. Für Soliman besteht kein Zweifel: Ebenso wie in vorangegangenen Fällen von Kritik aus dem Ausland, etwa aus Deutschland, habe das Königreich Stärke bewiesen und eine klare Botschaft an jene ausgesandt, die sich in die saudische Innenpolitik einmischten.

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Al-Arabiya
Der staatlichen Linie folgen auch die meisten Medien in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) – insbesondere das Flaggschiff Al-Arabiya, das in Dubai beheimatet, aber in saudischem Besitz ist. Während in saudischen Medien nationalistische Töne dominieren, versucht Abdul-Rahman Al-Jadi’, Saudi-Arabiens Botschafter in Marokko, in seinem Kommentar auf der Webseite von Al-Arabiya mit völkerrechtlichen und diplomatischen Normen zu argumentieren, die Kanada angeblich übertreten habe. Al-Jadi’ leitet daraus auch die Rechtfertigung für die saudische Reaktion ab. Demnach habe Saudi-Arabien nicht nur aus nationalem Eigeninteresse, sondern in Übereinstimmung mit »international üblichen Maßnahmen« gehandelt. Kanada hingegen müsse nun die »Konsequenzen für dieses Verhalten« tragen.

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Al-Quds al-Arabi
Die in London ansässige panarabische Tageszeitung Al-Quds al-Arabi setzt die verbale Eskalation in Zusammenhang mit ähnlichen Vorfällen in der Vergangenheit und kommt zum Schluss: Saudi-Arabien hat »überreagiert«. Schließlich war Kanada nicht das erste westliche Land, das die Menschenrechtslage im Königreich kritisiert hat. Der Unterschied liege weniger im Inhalt des Twitter-Statements als vielmehr im Status des Absenders. Denn obwohl aus den USA und Großbritannien schon weit deutlichere Worte in Richtung Saudi-Arabien kamen, fiel die Reaktion aus Riad nie so heftig aus wie nun. Der Grund: Saudi-Arabien habe »keine Angst« vor den Folgen, falls man Kanada verprelle.

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Al-Jazeera
Der katarische Nachrichtensender Al-Jazeera verzichtete auf seiner arabischen Webseite zunächst auf einen kritischen Aufmacherartikel – fand aber durch die Hintertür einen Weg, die saudische Überreaktion bloßzustellen. Im Gegensatz zu den meisten arabischen Medien berichtete Al-Jazeera über einen besonders fehlgeleiteten Auswuchs der saudischen Online-Kampagne.

 

 

Der Account @Infographic_KSA, wie so viele Twitter-Handles nicht offiziell in staatlicher Hand, aber eben deswegen als Werkzeuge für pseudo-virale Online-Kampagnen geschätzt, veröffentlichte ein Meme mit dem arabischen Sprichwort: »Wer sich darin einmischt, was ihn nichts angeht, wird auf etwas stoßen, das ihm nicht behagen wird.« Bebildert wird der Spruch mit einem Flugzeug der Linie Air Canada, das geradewegs auf den CN Tower in Toronto zurast.

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Nachdem die Betreiber des Accounts sich zunächst für die offensichtliche 9/11-Referenz entschuldigten, ließ das saudische Medienministerium den Account am 6. August sperren.

Von: 
zenith-Redaktion

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