Lesezeit: 9 Minuten
Presseschau zu den Protesten im Sudan

»Sie können niemandem mehr etwas vormachen«

Analyse
Presseschau

Die heftigen Proteste im Sudan halten weiter an. Schon seit dem 19. Dezember 2018 treiben steigende Brot- und Benzinpreise sowie die wachsende Inflation die Menschen auf die Straßen. Doch inzwischen geht es um viel mehr. Eine Presseschau.

Den steigenden Brotpreis als Auslöser ihrer Proteste haben sie längst hinter sich gelassen. Inzwischen fordern immer mehr Demonstranten den Rücktritt des Präsidenten Omar Al-Baschir und einen demokratischen Wandel an der Regierung. Unterstützt werden sie dabei von 23 Oppositionsparteien und einem Dachverband unabhängiger Gewerkschaften. Bislang zeigt die Regierung keinerlei Interesse, auf die Demonstranten zuzugehen und lässt die Proteste gewaltsam niederschlagen. Mindestens 40 Menschen sind bislang ums Leben gekommen, dutzende verletzt und weitere Tausende wurden verhaftet.

 

In den vergangenen Jahren erschütterten Protestwellen immer wieder das Land. 2013 gingen die Sudanesen auf die Straßen, als Baschir das Ende der Subventionen für Benzin ankündigte. Schon damals waren wirtschaftliche Missstände die Auslöser der Proteste, die wie heute mit Gewalt niedergeschlagen wurden. Sudans Regierung bekommt die wachsende Inflation nicht in den Griff. Lebensmittel werden beständig teurer, während es für viele Menschen immer schwerer wird, auf ihr Erspartes zuzugreifen.

 

Die Kritik an der Planlosigkeit der Regierung angesichts der Verschlechterung der Lebensverhältnisse wird immer lauter. Doch deren Reaktion besteht vorrangig darin, den Raum für Kritik immer weiter einzuschränken. 2018 landete der Sudan auf dem Pressefreiheitsindex von »Reporter ohne Grenzen« auf Platz 174 von 180 – zum vierten Mal in Folge. Um den Protesten den Wind aus den Segeln zu nehmen, versuchen die Sicherheitskräfte, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.

 

Mindestens fünf Journalisten sind als vermisst gemeldet – wahrscheinlich verschleppt vom Geheimdienst, dutzende weitere wurden verhaftet oder entlassen. Auch Korrespondenten und sudanesische Journalisten im Ausland bleiben von den Repressionen nicht verschont. Gegen 28 von ihnen wurde Haftbefehl erlassen oder die Zulassung entzogen. Daneben sperrt die Regierung Social-Media-Kanäle und hindert regimekritische Zeitungen daran, ihre Ausgaben zu verkaufen oder überhaupt zu drucken. Bereits seit Jahren versucht die Regierung zudem, über regimenahe Holdings die Mehrheit in Medienhäusern zu übernehmen.

 

Al-Taghyeer

Vor diesem Hintergrund gewinnen Online-Plattformen stetig an Bedeutung. Websites wie Al-Taghyeer sind trotz Zensurmaßnahmen auch gegen Web-Artikel immer häufiger die einzige Alternative für kritische Berichterstattung – sowohl für Journalisten als auch die Öffentlichkeit.

 

Besonders prominenten Dissidenten bietet sich hier eine Plattform. Etwa Al-Shafi Khodr, der als Linker bereits unter Diktator Dschafar Al-Numeiri im Gefängnis gesessen hatte und in seinem Meinungsbeitrag eine altbekannte Diffamierungsstrategie auseinandernimmt: »Die Führer der Regierungspartei im Sudan [...] wissen genau, dass die Jugendbewegung im Land keine Verbindung zu ausländischen Kräften unterhalten.« Khodr nimmt die Regierung in die »Verantwortung für alle Misserfolge der letzten 30 Jahre«, denn sie könne niemandem mehr vormachen, dass die Ursachen für die Misere »künstlicher Natur sind und nicht das Ergebnis der Politik und der Regierungspraxis«.

 

Statt aus unlauteren Beweggründen zu handeln, wie von der Regierung oft behauptet, würden sich die überwiegend jugendlichen Demonstranten vor allem dadurch auszeichnen, dass sie kaum einer bestimmten politischen Agenda folgen, als vielmehr ihr Recht auf eine lebenswerte Zukunft einzufordern.

Hier geht’s zum Artikel

 

Al-Sudan Al-Youm
Dennoch sehen vor allem linke Sudanesen die Gelegenheit, die lange unterdrückte Bewegung zu revitalisieren. So etwa Tijani Abdul Qadir Hamid. In seinem Gastbeitrag für die linke Zeitung Al-Sudan Al-Youm greift der Sozialwissenschaftler auf eine explizit marxistische Rhetorik zurück, die in weiten Teilen der Bevölkerung trotz der politischen Marginalisierung der Linken weiterhin populär ist. Hamid knüpft sich – allerdings ohne Namen zu nennen – regimenahe Geschäftsleute vor. Diese »kapitalistischen Elemente« – und nicht etwa die Demonstranten – seien die wahren »Saboteure«, die sich im System eingenistet, sich die Institutionen des Staates untertan gemacht hätten und so viel Macht akkumuliert hätten, dass sie nicht zur Rechenschaft gezogen werden können.

 

Ob dieser tief verwurzelten Verschränkung der sudanesischen Führung mahnt Hamid die Demonstranten zur Geduld: »Die Absetzung dieses Regimes und die Zersplitterung seiner Machtstrukturen sind nicht über Nacht möglich.« Stattdessen plädiert er dafür, dass sich die Opposition breit aufstellt und die politische Mitte ebenso wie die rechten und linken Ränder erreicht.

Hier geht’s zum Artikel

 

Al-Intibaha
Die sudanesische Zeitung Al-Intibaha wurde einst von Baschirs Onkel Al-Tayeb Mustafa gegründet. Autor Fadlallah Rabih bedauert in seinem Kommentar der zwar den Tod vieler junger Demonstranten, darüber hinaus hat er aber wenig Verständnis für die Proteste und macht linksgerichtete Kräfte als Schuldige für die Toten aus. Am Ende seines Artikels spricht sich Rabih dafür aus, dass die Sicherheitskräften Gewalt anwenden sollten, um die demonstrierenden Gruppen zu zerschlagen. Denn »diese politischen Gruppen sind schwach und verfolgen unterschiedliche Interessen«.

Hier geht’s zum Artikel

 

Al-Ahram
In der halbstaatlichen ägyptischen Zeitung Al-Ahram finden sich nur sehr vereinzelt Analysen zu den Protesten im Nachbarland. In einem Artikel werden – ohne die aktuellen Demonstrationen zu erwähnen – lediglich die historischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern unterstrichen und eine Reihe bilateraler Wirtschaftsprojekte als Beweis für die Stabilität beider Systeme als auch der ökonomischen Lage ins Feld geführt.

 

Eine für die ägyptische Sicht bezeichnende Argumentation, denn »die Stabilität des brüderlichen Sudans ist in jeder Hinsicht eine ägyptische Angelegenheit«. Dabei schwingt durchaus die Sorge mit – ob berechtigt oder nicht –, dass die Protestbewegung im Sudan auch die darniederliegende Aktivistenszene in Ägypten wiederbeleben könnte. Die Autorenangabe fehlt im Übrigen, der Artikel ist lediglich mit dem Label »Meinung Al-Ahram« versehen.

Hier geht’s zum Artikel

 

Al-Araby Al-Jadeed
Beim in London ansässigen Blatt Al-Araby Al-Jadeed widmet sich ein Gastbeitrag des »Arab Center for Research and Policy« (mit Sitz in Doha) den Protesten im Sudan. Da die Zeitung im Besitz einer katarischen Investorengruppe ist, gibt der Beitrag indirekt Aufschluss über die Position des Emirats. Der Artikel widmet sich der weiterhin breiten Unterstützung für das Baschir-Regime durch die internationale Staatengemeinschaft. »Kein Land hat ein Interesse, die aufständische Bevölkerung zu unterstützen«. Dabei zeige sich jedoch deutlich, dass die einzelnen Staaten mit ihrer Unterstützung längst nicht dieselben Ziele verfolgen und aus denselben Beweggründen handeln würden.

 

Der Artikel versucht hier analytisch die verschiedenen Interessen einzuordnen – ein Seitenhieb gegen die Position der katarischen Golf-Rivalen lässt sich aber durchaus nicht verhehlen. Während Länder wie Ägypten und Jemen eine neue Protestwelle im eigenen Land fürchteten, besitze der Sudan für Saudi-Arabien und die VAE aus anderen Gründen strategische Bedeutung: »Sudan ist einer der wenigen Staaten, die auf saudische Bitte hin Bodentruppen nach Jemen zum Kampf gegen die Huthi-Rebellen entsandten«.

 

Trotz solcher Spitzen hält der Beitrag auch analytisch saubere Feststellungen bereit. Etwa, dass Sudans Führung weiterhin gute Beziehungen nach Moskau und Teheran unterhält und dass es Omar Al-Baschir geschafft habe, auf diplomatischem Parkett nach allen Seiten gute Beziehungen aufzubauen.

Hier geht’s zum Artikel

 

Asharq Al-Awsat

Ähnlichen Einblick – diesmal in die Sicht aus Riad – bietet ein Blick auf die Kommentarspalten in der ebenfalls in London ansässigen panarabischen Tageszeitung Asharq Al-Awsat. Autor Abdullah bin Bajad Al-Otaibi sieht den einzigen Ausweg aus der Krise im Sudan in der »Aufkündigung fundamentalistischer Projekte« und macht keinen Hehl daraus, wen er damit meint.

 

So wäre die Entscheidung zur Schließung der iranischen »Kulturzentren« im Sudan 2014 »eine wichtige Parteinahme gegen das iranische Projekt in der Region« gewesen. Otaibi kommt dann auch relativ schnell zu seinem eigentlichen Argument, nämlich Saudi-Arabien als positives Gegenmodell für die Region im Allgemein und den Sudan im Speziellen anzupreisen. »Der Verzicht auf konfessionelle Projekte und der Aufbau eines modernen Bürgerstaates ist der Ausweg aus allen Krisen.« Außerdem, so Otaibi, sei das Königreich der Staat, der sich am effektivsten für die Abmilderung und Aufhebung der US-amerikanischen Sanktionen gegen die sudanesische Staatsführung einsetze.

Hier geht’s zum Artikel

Von: 
zenith-Redaktion

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.