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Der Fall Khashoggi und die saudische Justiz in den arabischen Medien

Fairer Prozess oder Freispruch für MBS?

Analyse
Presseschau

Medienhäuser in saudischer Hand präsentieren die Todesurteile im Fall Khashoggi als Beweis für die vorbildhafte Arbeit der saudischen Justiz. Andere arabische Medien sehen genau das Gegenteil – und bezweifeln, dass das Kalkül der Behörden aufgeht.

Der saudische Generalstaatsanwalt fordert im Fall Khashoggi die Todesstrafe für fünf Angeklagte. Die arabische Medienlandschaft ist in ihrer Berichterstattung über den Prozess gespalten. Die einen sehen in der Anklage einen Beweis für den transparenten und rechtsstaatlichen Charakter der Strafverfolgung, die anderen zweifeln die Unabhängigkeit der saudischen Justiz an und sehen das Urteil lediglich als Feigenblatt, um den saudischen Kronprinzen Muhammad bin Salman aus der Schusslinie zu nehmen.

 

Al-Arabiya

Der saudische Autor Mohammed Al-Sheikh beschreibt in seinem Kommentar auf dem Webportal des TV-Senders in saudischem Besitz die Entscheidung als »Wahrheit, die beweist, dass die Anklage für Gerechtigkeit und unabhängige Untersuchungen einsteht«. Seiner Meinung nach würden einige Medien versuchen, den offiziellen Untersuchungen zuvorzukommen und den Kronprinzen für den Tod Khashoggis verantwortlich zu machen, ohne dafür belastbare Beweise vorlegen zu können.
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Asharq Al-Awsat

Die panarabische Zeitung Asharq Al-Awsat, ebenfalls in saudischen Besitz, schlägt in dieselbe Kerbe. Für Kommentator Abdullah bin Bajad Al-Otaibi ist das Urteil »ein Erfolg für die Staatsanwaltschaft«, die es geschafft habe, die »enormen Ausmaße der Tat aufzudecken« und die Täter zur Verantwortlichkeit zu ziehen. Er spricht von einer »größtmöglichen Transparenz in einem Fall, der jahrelange Untersuchungen nach sich ziehen werde«.
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Der frühere Asharq Al-Awsat-Redakteur Salman Al-Dosari folgt dieser Auffassung ebenfalls und macht das an der Länge der Untersuchungen fest. Der Fall Khashoggi sei innerhalb von 47 Tagen aufgeklärt worden. Die Untersuchungen zur Ermordung des russischen Botschafters in der Türkei im Dezember 2016 hätten dagegen 698 Tage gedauert. Dies zeige, dass Riad den Fall Khashoggi sehr ernst nehme und sich glaubwürdig um Aufklärung bemühe.
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Middle East Eye

Die saudische Regimekritikerin Madawi Al-Rasheed, Gastprofessorin am Middle East Center der London School of Economics, sieht in ihrem Kommentar auf dem Katar-nahen Webportal Middle East Eye das Urteil als Mittel, um MBS sämtlicher Verantwortung im Zusammenhang mit der Ermordung Khashoggis zu entziehen. Die »Opferung der Sündenböcke« sei »überlebenswichtig für das saudische Regime«. Al-Rasheed deutet den Prozess als »beunruhigendes Zeichen für einen der aufrichtigsten Vertrauten des Kronprinzen«: den saudischen Geheimdienst. Die Todesstrafe käme für die Handlanger von MBS überraschend. Ursprünglich seien die Agenten davon ausgegangen, eine Belohnung dafür zu erhalten, dass sie »dem saudischen Kronprinzen lästige Journalisten vom Hals geschafft« hätten.

 

Es sei davon auszugehen, dass, sollte das Urteil umgesetzt werden, saudische Agenten sich zukünftig zweimal überlegen würden, wie glaubwürdig das System sei, für das sie arbeiten. Sie wüssten nun, dass die Befolgung von Befehlen jemanden zu töten, sie auch ihr eigenes Leben kosten könnte. Sollte das Urteil nicht umgesetzt werden, würde sich der Fokus schnell wieder auf den Kronprinzen und die Frage richten, wer das Tötungskommando angewiesen hat. In diesem Fall würde er seinen Handlangern jedoch signalisieren, dass er hinter ihnen stehe, auch wenn sie für ihn zu Mördern werden.
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DW Arabia
Der saudische Anwalt und Menschenrechtsaktivist Taha Al-Hajji, der im Exil in Deutschland lebt, hält die Todesurteile für wenig glaubwürdig und fragt sich, ob sich die überschnellen Anklagen nicht rächen könnten. »Werden sich die saudischen Offiziellen mit diesem Urteil nicht selber verurteilen?« Er legt zudem den Finger in die Wunde, schließlich handelt es sich bei den Angeklagten nicht um Dissidenten, sondern treue Staatsdiener aus den Reihen des Geheimdienstes. Aus diesem Grund fragt er, ob die Verurteilten zurzeit inhaftiert oder unter Hausarrest in einem Fünf-Sterne-Hotel stünden – nur eine von vielen Informationen, die nach der Urteilsverkündung unklar sind und dem Transparenz-Narrativ der saudischen Führung widersprechen.

 

Taha Al-Hajji hinterfragt in seinem Interview mit dem arabischen Dienst der Deutschen Welle außerdem die Integrität der saudischen Justiz. Gerichte seien politisiert und weit davon entfernt, unabhängig zu urteilen. »Wir haben kein Vertrauen in die saudische Justiz und den Generealstaatsanwalt«, fasst er die Haltung der exilierten saudischen Regimekritiker zusammen, die sich nun nicht nur mehr denn je in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sehen, sondern zunehmend auch um ihr Leben fürchten müssen.
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Von: 
zenith-Redaktion

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