Schimon Peres war ein Homo politicus. Die Saga des Staates Israel trägt seine Handschrift. Am 28. September 2016 ist der Friedensnobelpreisträger im Alter von 93 Jahren gestorben.
Schimon Peres war ein Vollblutpolitiker, der Maschinenraum der Macht sein Zuhause. Die Saga des Staates Israel trägt seine Handschrift. Er kam als kleiner Junge nach Alt-Neu-Land, als dort von einem Paradies der Werktätigen unter der Sonne Palästinas geträumt wurde. Er starb als säkularer Spiritus rector im Israel des 21. Jahrhunderts, einer Startup-Nation auf Sinnsuche. 93 Jahre Leben, voll mit Geschichte(n).
Schimon Peres ist vieles gewesen: Ministerpräsident, Verteidigungs- und Außenminister, er hat drei Parteien und 16 Regierungen angehört und sich im Jahr 2007 schließlich seinen letzten Traum erfüllt: Er wurde Präsident des Staates Israel. Hochbetagt. Mit über 80 Jahren. Für diesen Posten hatte Peres sogar die eigene Ehe geopfert. Sonja Peres, seine bereits 2011 verstorbene Frau, wollte den Lebensabend gemeinsam mit ihm in Tel Aviv verbringen, er nach Jerusalem ziehen, um Vater der Nation zu werden. Die beiden ließen sich nie scheiden, gingen aber »ihren eigenen Weg«, wie er es in einem Interview vor drei Jahren formuliert hat. Der Homo politicus eignete sich nicht für die Rente.
Eines indes, wenngleich man es heute überall lesen kann, ist Schimon Peres nie gewesen: Gründervater. Dafür war er, Jahrgang 1923, schlicht zu jung. Als der Staat Israel ausgerufen wurde, war er nicht einmal 30 Jahre alt. Die wirklichen Gründerväter und -mütter des Staates, waren noch vor der Balfour-Deklaration geboren worden, viele im russischen Zarenreich. Dort, in Osteuropa, kam auch Schimon Peres als Szymon Persky zur Welt, als Sohn eines Holzhändlers im damals polnischen Wiszniew. Nach seiner Alija im Alter von zehn Jahren besuchte er in Palästina eine Landwirtschaftsschule und engagierte sich in der sozialistischen Jugendbewegung, deren Generalsekretär er schließlich wurde. Gleichzeitig baute er einen Kibbuz am See Genezareth mit auf. Als dessen Kassenwart lernte Peres mit knappen Mitteln das Ziel zu erreichen.
Er versuchte sich an der Quadratur des Kreises.
So, wie in seiner Zeit als Waffenbeschaffer der Hagana, der Untergrundarmee vor der Staatsgründung Israels, und später 13 Jahre lang als blutjunger Direktor des Verteidigungsministeriums. Mit viel Geschick rüstete er im Stillen auf: Kaufte in der Tschechoslowakei Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg, verhandelte mit Frankreich über Panzer und Flugzeuge ebenso wie über die Entwicklung eines Atomprogramms – das bis heute offiziell nicht existiert. Seine Reisen führen ihn in den 1950er Jahren auch nach Deutschland, genauer: nach Rott am Inn, zu Franz Josef Strauß, dem Verteidigungsminister der jungen Bundesrepublik. Dort erhielt der Realpolitiker, was er sich wünschte: »Mir sind die Zylinder von Panzermotoren lieber als die von Diplomaten.«
Schimon Peres war in der Belle Époque des aschkenasischen Arbeiterzionismus sozialisiert worden. Der politische Ziehsohn David Ben Gurions war der umstrittene Kronprinz im Imperium in Imperio jenes »Landadels« (Amos Elon) gewesen, der in den Kibbutzim und Moschavim den Geist des Jishuvs prolongierte. Bis 1977. Bis Menachem Begin, dessen Politik nicht auf den Kopf, sondern auf den Bauch abzielte, mit den Stimmen der Mizrachim an die Macht kam, der andauernden Gegenwart ein Ende setzte.
Peres hatte Begin stets als geistigen Brandstifter gebrandmarkt, als Paria im Parlament gemieden. Der erzkonservative Politiker war es dann jedoch gewesen, der für Israel den ersten Friedensvertrag in der Geschichte des Landes aushandelte – mit Ägypten, mit Anwar As-Sadat. Beim dem von US-Präsident Jimmy Carter angeleiteten diplomatischen Pas de Deux war Schimon Peres nur Zuschauer gewesen. In den Knesset-Debatten über die Annahme des Vertrages von Camp David sprach sich Peres als Oppositionsführer nicht gegen den Rückzug von der Sinai-Halbinsel, aber gegen die Aufgabe der dortigen Siedlungen aus, die mehrheitlich von der politischen Linken errichtet worden waren. Er versuchte sich an der Quadratur des Kreises, wollte den Pionier(t)raum nicht aufgeben – und Begin den Eintrag in den Geschichtsbüchern nicht gönnen.
Jahrzehnte später, Anfang der 1990er Jahre, hatte Schimon Peres die Transformation vom Falken hin zur Taube vollzogen. Gemeinsam mit Jizchak Rabin, seinem einstigen Erzrivalen, trieb er den Friedensprozess mit den Palästinensern maßgeblich voran und wurde dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Peres brillierte als israelischer Politiker auf der internationalen Bühne, wie vor ihm nur Abba Eban – und nach ihm, niemand. In Israel ist die Trauer über den Tod von Schimon Peres groß. Er stand für eine verlorene Zeit, die heute zwischen Mittelmeer und Jordan viele suchen.