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Türkei versus PKK im Nordirak

Kurden gegen Kurden

Reportage
Türkei versus PKK im Nordirak
Die Qandil-Berge: das wohl bekannteste, aber nun nicht mehr einzige Rückzugsgebiet der etwa 5.000 Kämpferinnen und Kämpfern der PKK. Neue Drohnentechnik und der aggressive Kurs des türkischen Militärs treiben die Guerilla in andere Gebiete. Foto: Sebastian Backhaus

Neue Drohnentechnik und der aggressive Kurs des türkischen Militärs treiben die Guerilla-Kämpfer der PKK in andere Gebiete im Nord-Irak.

Dawood George lebt im Nahla-Tal und hat einen kalten Winter hinter sich. Seine Heimat liegt in der Autonomen Region Kurdistan (KRG) im Nordirak. Der Zugang zu den Wäldern, wo er bislang Feuerholz schlug, werde ihm heute von der »Arbeiterpartei Kurdistans« (PKK) verwehrt. Diese Waldareale sind das neue Rückzugsgebiet der PKK, nachdem türkische Soldaten und Drohnenangriffe die kurdischen Guerillas aus den Qandil-Bergen verdrängt haben.

 

Nun errichten die Kurden Checkpoints und etablieren ein eigenes Verwaltungssystem, unabhängig von den Strukturen der kurdischen Autonomieverwaltung – und rufen so die Streitkräfte der regierenden Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) auf den Plan: Die Peschmerga stehen nun PKK-Einheiten unmittelbar gegenüber. Somit wird die KDP unfreiwillig zum Verbündeten der Türkei gegen die PKK. Diese wirft der KDP vor, mit der Türkei zu kooperieren. Die dementiert, ist wirtschaftlich aber abhängig von Ankara.

 

Die PKK ist permanent im Visier der türkischen Armee, egal in welche Regionen sie gedrängt wird. Dass nun auch Menschen wie Dawood George weichen müssen, liegt einerseits an den Kämpfen, andererseits aber auch daran, dass die PKK ganze Landstriche als militärische Sperrgebiete deklariert hat – etwa dort, wo George sein Holz schlägt, seine Nachbarn Felder bestellen und Hirten ihre Tiere weiden.

 

Hunderte Dörfer in den Grenzgebieten zur Türkei mussten deshalb bereits evakuiert werden. Die Zahl der Binnenflüchtlinge steigt mit jedem Angriff und jeder Militäroperation der türkischen Streitkräfte auf dem Territorium der kurdischen Autonomieverwaltung im Irak. Das türkische Militär hat seit 2020 vier groß angelegte Operationen durchgeführt und betreibt auch auf irakischem Boden mehrere Militärposten.

 

Während der Operation »Adlerkralle 2« im Februar 2021 überschritten türkische Spezialkommandos gar die Grenze, um PKK-Stellungen anzugreifen – aus Ankaras Sicht gefährdet die Präsenz kurdischer Guerillas im Nachbarland die nationale Sicherheit. »Keine Organisation, die von unserem Territorium aus die Sicherheit der Türkei gefährdet, kann toleriert werden«, pflichtete Iraks Premierminister Mustafa Kadhimi bei.

 

Der Konflikt fordert nicht nur aufseiten von Soldaten und Guerillas Opfer. Vor dem Laden von Payman Talib in Kunamasi bei Sulaimaniya schlug im Juni 2020 eine Rakete ein. Ein Kunde, der gerade ihren Laden betreten hatte, verlor sein Leben und sie ein Bein. Was Talib nicht wusste, aber vermutlich ein Soldat mit Joystick in einem Kontrollraum irgendwo in der Türkei: Ihr Kunde war ein PKK-Funktionär.

 

Gut 100 Kilometer nördlich sitzt Scheich Omar in einer PKK-Basis, umgeben von den Qandil-Bergen und einer Aura der Gelassenheit. »Die türkischen Drohnen können gegen das Selbstvertrauen der Menschen nichts ausrichten«, glaubt der ehemalige Dorfbürgermeister. Die Fronten verhärten sich in der neuesten Auflage des türkisch-kurdischen und innerkurdischen Konflikts – und immer mehr Menschen im Nordirak geraten erneut zwischen die Fronten.

 

Türkei versus PKK im Nordirak
Foto: Sebastian Backhaus

Die Gebiete, in die die PKK nun ausweicht, gehören zur Autonomen Region Kurdistan. Der Verwaltungschef der Region Dinarta, Shaban Khalil Abdullah (l.), und ein Vertreter des Innenministeriums sorgen sich beim Blick auf eine Karte, die das Gebiet skizziert, das die PKK zunehmend beansprucht. Das von der Guerilla aufgebaute Räte-System ignoriert die Verwaltungsstrukturen der dort gewählten KDP.

 

Türkei versus PKK im Nordirak
Foto: Sebastian Backhaus

Am Fuße der Qandil-Berge, außerhalb des Einflussgebiets der PKK, in einem »Safe House« im Industriegebiet am Rande Stadt Chwarqurna trifft der Autor unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen den Sprecher der PKK: Zagros Hiwa. Er spricht sicher, geschult und souverän. Doch seine Anspannung ist zu spüren. Er berichtet von der Strategie der Guerilla-Organisation, die durch ihre langfristige und flexible Struktur der Türkei immer einen Schritt voraus sei. Plötzlich fällt der Strom aus, ein Übersetzer zückt unbedacht sein Handy, um Licht zu machen. Mobiltelefone bei diesem Treffen mitzuführen, war strengstens verboten. Hiwa bricht das Treffen sofort ab und verlässt den Ort. Der türkische Geheimdienst könnte das Handysignal orten und eine tödliche Drohne schicken.

 

Türkei versus PKK im Nordirak
Foto: Sebastian Backhaus

Barzani und seine Streitkräfte haben für diesen sich anbahnenden Konflikt bereits aufgerüstet. Auf einer Militärbasis in der Stadt Akre halten die hier stationierten Peschmerga Wachhunde, die sie im Falle eines nächtlichen PKK-Angriffes warnen können. In den Bergen nördlich von Akre setzt sich die PKK zunehmend fest.

 

Türkei versus PKK im Nordirak
Foto: Sebastian Backhaus

Von den neuen Möglichkeiten der türkischen Luftwaffe, ihre Feinde überall zu treffen, zeugen die Narben auf den Armen und Händen von Payman Talib. Eine türkische Drohne feuerte am 25. Juni 2020 über Kuna Masi bei Sulaimaniya eine Rakete ab, die vor dem Lebensmittelladen von Frau Talib einschlug. Was sie nicht wusste: Das Ziel war der Kunde, der grade ihr Geschäft betrat. Er war Mitglied der »Partei für ein freies Leben in Kurdistan«, einer Schwesterpartei der PKK, und wurde bei diesem Angriff getötet.

 

Türkei versus PKK im Nordirak
Foto: Sebastian Backhaus

Scheich Omar ist ein glühender Anhänger der PKK, ehemaliger Vorsteher der Qandil-Region und ist überzeugt, dass die Guerilla auf dem richtigen Weg sei. Jeder Zweifel oder jegliche Anpassung wäre für ihn Verrat an der Sache, Verrat an der Ideologie des PKK-Gründers Abdullah Öcalan.

 

Türkei versus PKK im Nordirak
Foto: Sebastian Backhaus

Im Dorf Endza in den Qandil-Bergen ist wenig Anspannung zu spüren. Die hier am Gemeindezentrum des Dorfes versammelten PKK-Mitglieder servieren für ihre Gäste Hühnchen mit Reis, sowie zu viel Tee mit zu viel Zucker. Katzen streifen durch den gut gehegten Gemüsegarten. Die Atmosphäre scheint friedlicher als sie ist. Türkische Drohnen laden in der Region ihre tödliche Fracht in immer engeren Zeiträumen und immer gezielter ab.

Von: 
Sebastian Backhaus

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