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Proteste gegen das Militär im Sudan

Khartum ist zurück im Revolutionsmodus

Analyse
Proteste gegen das Militär im Sudan
2019 mündeten die Proteste im Sudan im Sturz von Omar Al-Baschir. Ola A .Alsheikh / Wikimedia Commons

Sudans Militär geht hart gegen Proteste vor. Auf Seiten der Jugend schwindet deshalb die Kompromissbereitschaft – und auch die Unzufriedenheit mit der internationalen Gemeinschaft wächst.

Mehrmals die Woche gehen in der sudanesischen Hauptstadt Khartum und anderen Orten Menschen auf die Straßen, um gegen die bewaffneten Kräfte zu protestieren. Ihre Forderung: Das Militär soll sich aus der Regierung zurückziehen. Khartum gleicht an diesen Demonstrationstagen einer Geisterstadt. Brücken über den Nil und zentrale Verkehrsadern sind oft gesperrt, regelmäßig auch mobile Telefonverbindungen und das Internet. Auf den wenigen Straßen im Stadtzentrum die nicht blockiert sind, sieht man weder Autos noch Menschen. Aber ein Blick gen Präsidentenpalast und der Horizont verschwindet in grauen Wolken: Tränengas schwebt über dem Sitz des Staatsoberhaupts und wabert in den Straßen ringsum. Es wird in großen Mengen gegen die Demonstranten eingesetzt. Außerdem feuern Sicherheitskräfte mit Gummigeschossen auf sie, teils auch mit scharfer Munition.

 

Khartum ist zurück im Revolutionsmodus. Vor drei Monaten noch galt der Sudan als Hoffnungsträger am unsicheren Horn von Afrika. Die Bevölkerung war mit ihrem Volksaufstand von 2018/2019 den autoritären Herrscher Omar Al-Baschir losgeworden, und eine zivil-militärische Übergangsregierung hatte seitdem durchaus Erfolge erzielt.

 

Harte Wirtschaftsreformen: Neue Bürden, zarte Erfolge

 

Der Sudan hatte es von der Liste jener Länder heruntergeschafft, denen die USA die Unterstützung von Terrorismus vorwerfen. Er hatte sich qualifiziert für einen Prozess, an dessen Ende ein massiver Schuldenerlass durch die internationale Gemeinschaft winkt. Harte Wirtschaftsreformen zeitigen neue Bürden für die Menschen in einem der ärmsten Länder der Welt, aber eben auch erste Erfolge, etwa das Schrumpfen der Inflationsrate. Internationale Organisationen strömten in das lange politisch isolierte Land, um zu helfen. Aber am 25. Oktober 2021 übernahm das Militär erneut die Macht.

 

Ausschlaggebend war wohl eine ganze Reihe von Gründen. Spannungen innerhalb der mit Zivilisten und Militärvertretern besetzten Regierung waren in den Monaten zuvor gewachsen. Der Umgangston wurde rauer, Vertrauen schwand. Das Militär dürfte die lauter werdenden Rufe nach einer umfassenden Reform der Sicherheitskräfte mit Unwillen betrachtet haben.
Gleichermaßen die Debatten über Übergangsjustiz (transitional justice) und damit die Möglichkeit gerichtlicher Verfolgung für vergangene Gräueltaten sowie die Versuche, die mächtigen militärgeführten Wirtschaftsunternehmen zu mehr Transparenz zu zwingen. Im ebenfalls geteilt besetzten Staatsrat, in dem auch das Präsidentenamt verankert ist, hätte die Übergabe des Vorsitzes angestanden: von der militärischen an die zivile Seite. Aus Sicht der Generäle wäre das einem weiteren Macht- und Kontrollverlust gleichgekommen.

 

In den Wirren der Nach-Putsch-Zeit ist nun unklar, ob der Schaden reparabel ist und das Land zur sogenannten Übergangsphase in Richtung Demokratie zurückkehren kann. Die internationale Gemeinschaft hat auf die erneute Übernahme des Militärs hin Finanz- und andere Hilfen entzogen oder eingefroren; damit sind wichtige Reformvorhaben gestoppt. Zurzeit gibt es weder einen Premierminister noch ein ziviles Kabinett oder das lange geplante Übergangs-Parlament.

 

Keine Verhandlungen mit dem Militär, kein Kompromiss, kein Weg zurück

 

Militärchef Abdelfattah Burhan hatte es nach der Machtübernahme nicht geschafft, wie angekündigt schnell eine zivile Regierung aus Technokraten von eigenen Gnaden einzusetzen. Auf Angebote an Kandidaten auf der zivilen Seite hin bekam er nur Absagen. Unter zunehmendem Druck, auch durch die internationale Staatengemeinschaft, gab es am 21. November deshalb zwischenzeitlich eine Einigung mit dem vorherigen, weithin respektierten Premier Abdallah Hamdok. Der sollte sein Amt wiederbekommen und angeblich ohne Beeinflussung ein Technokraten-Kabinett zusammenstellen dürfen.

 

International war dieser Schritt unterstützt und hoffnungsvoll beobachtet worden als Versuch, zivile Kräfte wieder an der Macht zu beteiligen. Im Sudan selbst ging der Plan jedoch nach hinten los. Trotz pragmatischer Stimmen setzte sich die Lesart durch, dass Hamdok durch seine Rückkehr den Militärputsch legitimiere. Schon nach einem Monat, am 2. Januar, trat er wieder zurück. An der Macht ist weiter der vom Militär dominierte Staatsrat.

 

Mehr als 70 Menschen sind seit dem ersten Massenprotest am 30. Oktober vergangenen Jahres nach Angaben von Ärzteorganisationen getötet worden, Hunderte wurden verletzt. Die Demonstrationen werden vornehmlich von jungen Sudanesinnen und Sudanesen aus den sogenannten Nachbarschafts- oder Widerstandskomitees organisiert. Das sind flach strukturierte, spontan agierende Gruppen, die jenseits des reinen Widerstands politisch bisher wenig aktiv waren, sich aber zunehmend professionalisieren.

 

Sie sind zu einer einflussreichen Stimme geworden. Mit jedem neuen Opfer haben sich ihre Forderungen verhärtet: keine Verhandlungen mit dem Militär, kein Kompromiss, kein Weg zurück. Nach so viel vergossenem Blut wollen viele junge Menschen sich nicht mehr auf eine erneute Machtteilung einlassen, sie fordern eine rein zivile Regierung.

 

Der Geheimdienst kehrt zu alter Macht zurück

 

Die Protest-Reflexe und der Glaube an die eigene Macht, an die Macht der Straße, entstammen der Revolution. Die war vornehmlich von der Jugend getragen worden. Für die Jugend war es eine identitätsstiftende Erfahrung. Durch gewaltlosen Widerstand politische Giganten zu stürzen - viele von ihnen hoffen, dass das abermals funktioniert. Für sie sind ihre Demonstrationen so etwas wie Neuauflage der Revolution.

 

Aber während der Revolution hatte das Militär letztlich mitgezogen und beim Sturz von Langzeitpräsident Omar Al-Baschir geholfen. Jetzt steht es nicht mehr auf der Seite der Jugend. Vor und nach Protesten nehmen Sicherheitskräfte Aktivisten fest. Es gab Angriffe auf TV-Sender, die kritisch berichten. Ein Ableger des katarischen Nachrichtensenders Al Jazeera wurde geschlossen. Ärzte berichten von Tränengaseinsatz gegen Notaufnahmen. Internationale Forderungen, dass das Militär gegen friedliche Demonstranten keine Gewalt anwenden dürfe, werden offenbar ignoriert.

 

Vieles hängt nun davon ab, ob es den zivilen, pro-demokratischen Akteuren gelingt, ein Gegengewicht zum Militär aufzubauen – und davon, wie schnell sie das schaffen. Denn das politische Vakuum lässt dem Militär freie Hand beim weiteren Um- und Rückbau des Staates. Der Geheimdienst hat Medienberichten zufolge bereits Befugnisse zurückerlangt, die ihm unter der Übergangsregierung entzogen worden waren. In vielen Ministerien und anderen Institutionen waren gleich nach dem Putsch personelle Änderungen vorgenommen worden.
Es braucht nun eine gemeinsame zivile Vision für den Umgang mit dem Militär und einen Nachfolge-Kandidaten für das Amt des Premiers.

 

Gefährlicher Vertrauensverlust in die internationale Gemeinschaft

 

Doch politische Parteien, Gewerkschaften und die »Kräfte des Wandels und Fortschritts« – eine Koalition ziviler Kräfte aus der Revolutionszeit – waren zuvor schon fragmentiert und zerstritten und bleiben es auch weiterhin. Das Ergebnis ist Blockade. Es ist unwahrscheinlich, dass das Militär einfach abtreten wird. Die Jugend wird ihre Proteste zunächst nicht aufgeben und möglicherweise auch nicht ihre kompromisslose Haltung. Jedwede Einigung muss aber ihre Stimme berücksichtigen, weil sonst neue Sollbruchstellen programmiert sind.

 

Die politische UN-Mission hat einen Konsultationsprozess begonnen, um zunächst in Einzelgesprächen Interessen und Ideen für die Zukunft zu identifizieren und später auf Wunsch in größeren Gruppen oder mit dem Militär Verhandlungen zu organisieren. Das ist ein wichtiger Schritt – mit unklaren Erfolgsaussichten.

 

Denn Teile der sudanesischen Jugend und andere Vertreter der Zivilgesellschaft hatten den Vereinten Nationen und auch Teilen der internationalen Gemeinschaft übelgenommen, dass sie das November-Abkommen von Premier Hamdok mit dem Militär zunächst befürwortet und generell eine Fortsetzung der Machtteilung mit dem Militär als pragmatischen Schritt angesehen hatten. Die Sicht auf einige internationale Akteure hat sich spürbar verändert: In der emotional aufgeladenen Atmosphäre stehen sie bei nicht wenigen Sudanesinnen und Sudanesen nun als Schutzherren des Militärs und des Putsches da.

 

Der damit einhergehende Vertrauensverlust ist gefährlich, weil er internationalen Handlungsspielraum einschränkt. Klare Stellungnahmen müssen diesem Eindruck entgegenwirken. Aber viele Mitglieder der Zivilgesellschaft wünschen sich nun weniger »Verurteilungen aufs Schärfste« und stattdessen mehr Taten.


Christine-Felice Röhrs leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in der sudanesischen Hauptstadt Khartum.

Von: 
Christine-Felice Röhrs

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