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Profil: Muqtada al-Sadr

Opposition ist immer noch Mist

Portrait
Profil: Muqtada Al-Sadr
Muqtada Al-Sadr ging als Gewinner aus den irakischen Wahlen 2018 hervor. Foto: Daniel Gerlach

Er ist der Erfinder des irakischen Populismus. Er hat die Wahl gewonnen, wollte aber selbst nicht regieren. Dennoch wird der Kleriker nun zum ersten Mal an seinen Taten gemessen. 

Muqtada Al-Sadr hatte gut lachen am 12. Mai 2018. Mit 54 gewonnenen Sitzen war die Sa’irun-Bewegung des schiitischen Geistlichen als stärkste Kraft aus den Wahlen zum irakischen Parlament hervorgegangen. Sadr, der mit seiner nationalistischen und populistischen Rhetorik vor allem die Herzen der einfachen Iraker erreicht, ist damit zu einem zentralen Einflussfaktor in der zersplitterten politischen Landschaft des Irak aufgestiegen. 15 Jahre nach dem Sturz des Saddam-Regimes ist der selbst ernannte Reformer am Höhepunkt seiner Macht angelangt.

 

Sadrs Weg in die Politik war keinesfalls vorgezeichnet. Zwar entstammt der Geistliche einer einflussreichen schiitischen Dynastie, die vom Libanon bis nach Iran reicht und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als bedeutende Kraft im schiitischen Milieu des Irak aufstieg. Als viertem Sohn des Großayatollahs Sadiq Al-Sadr war Muqtada jedoch keine große Zukunft vorherbestimmt.

 

Die Ermordung Sadiqs und seiner zwei ältesten Söhne durch das Saddam-Regime im Jahr 1999 änderte dies schlagartig. Muqtada stieg an die Spitze der Sadr-Bewegung auf, deren Rückhalt unter den schiitischen Irakern durch den Märtyrertod Sadiqs noch weiter gestiegen war.

 

In den 2000er Jahren stieß Muqtada Al-Sadr in das Machtvakuum, das im Irak nach dem Sturz Saddam Husseins entstanden war. Angetrieben von demselben nationalistischen Eifer, der bereits seinen Vater ausgezeichnet hatte, nahm der junge Geistliche infolge der amerikanischen Invasion von 2003 einen unerbittlichen Kampf gegen die von Washington geführte »Koalition der Willigen« auf.

 

Mithilfe Irans etablierte Sadr die sogenannte Mahdi-Armee, die den Irak durch den Kampf gegen die internationalen Truppen und schiitische Widersacher sowie durch Pogrome gegen Sunniten in einen blutigen Bürgerkrieg stürzte.

 

Von den Amerikanern und vielen Irakern gleichermaßen als eine der größten Bedrohungen für die Stabilität des Landes ausgemacht, geriet Sadr jedoch zunehmend unter Druck. Im Jahr 2008 floh der Geistliche schließlich nach Iran – offiziell zur Weiterbildung – und kündigte das Ende der Mahdi-Armee als bewaffnete Miliz an, wobei die Sadr-Bewegung als politische und soziale Organisation fortbestand.

 

Die Expansion des »Islamischen Staates« (IS) im Jahr 2014 eröffnete Sadr eine unerwartete Chance zur Rückkehr in die irakische Politik. Nachdem es um den einstigen Aufständischen ruhig geworden war, nutzte er die Gunst der Stunde und folgte dem Ruf des schiitischen Großayatollahs Ali Al-Sistani zum Widerstand gegen die sunnitischen Dschihadisten. Der Geistliche trat erneut in die Öffentlichkeit und belebte den bewaffneten Flügel der Sadr-Bewegung wieder, der nun zum Kampf gegen den IS auszog.

 

Sadrs politische Zukunft hängt davon ab, ob ihm die vollständige Verwandlung zum Staatsmann gelingt oder er in alte Verhaltensmuster zurückfällt, um seine politischen Ziele durchzusetzen

 

Sadrs strikte Ablehnung jeglicher ausländischer Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Irak steigerte dabei sein Ansehen unter vielen Irakern, die der amerikanischen und iranischen Einflussnahme auf ihr Land überdrüssig geworden waren. Neben dem bewährten nationalistischen Tenor schlug Sadr zudem populistische Töne an und präsentierte sich als Anwalt der Benachteiligten und Armen, die sich zunehmend von den als korrupt geltenden regierenden Eliten entfremdeten.

 

Der selbst ernannte Reformer durchlief dabei eine beeindruckende Metamorphose, war die Sadr-Bewegung in der Vergangenheit doch nicht nur als Iran-nahe, brutale Miliz aufgetreten, sondern zwischen 2006 und 2014 als Teil der Regierungen von Nuri Al-Maliki auch selbst in Korruptionsskandale verwickelt gewesen.

 

Das irakische Volk schienen die Lasten der Vergangenheit jedoch wenig zu kümmern. Im Mai 2016 besetzte Muqtada Al-Sadr zusammen mit Tausenden Anhängern und unter großem öffentlichem Zuspruch Bagdads Grüne Zone, um die Formierung einer Technokraten-Regierung zu erzwingen, die der Korruption im Land ein Ende setzen und die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen sicherstellen sollte.

 

Obwohl Premierminister Haider Al-Abadi auf Sadrs Forderungen mit einer Kabinettsumbildung reagierte, verpuffte die Wirkung der Proteste. Der schiitische Geistliche ließ sich jedoch nicht beirren. Nun, zwei Jahre später, schaffte Muqtada Al-Sadr mit seinem Ruf nach Reformen den Aufstieg zur stärksten Kraft im Parlament und ist zum Zünglein an der Waage im Wettstreit zwischen dem pro-westlichen und dem pro-iranischen Lager im Land geworden. Der augenscheinlich geläuterte Aufständische ist damit zum ersten Mal wirklich in der Position, die irakische Politik richtungsweisend zu beeinflussen.

 

Doch es scheint fraglich, ob er den Reformeifer nachhaltig im politischen Prozess einzubringen vermag. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass Sadrs Programmatik in der von ausländischer Einflussnahme, konfessionellem Proporz und Partikularinteressen geprägten irakischen Politik einmal mehr untergeht. Sadrs politische Zukunft hängt davon ab, ob ihm die vollständige Verwandlung zum Staatsmann gelingt oder er in alte Verhaltensmuster zurückfällt, um seine politischen Ziele durchzusetzen.

Von: 
Sebastian Gerlach und Hannes Pichler

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