Lesezeit: 4 Minuten
Profil: Masud Barzani

Licht und Schatten

Portrait
Barzani_by_Moshtari_Hilal
Foto: Moshtari Hilal

Masud Barzani hat so viel für die Belange der irakischen Kurden ­geleistet wie kaum ein anderer. Wie konnte er sich so verkalkulieren?

Als Masud Barzani am 29. Oktober vor die Fernsehkameras trat, hatte er zwei Funktionen eingebüßt: sein Amt als Präsident der Autonomen Region Kurdistan (KRG) und die Rolle des unangefochtenen »Kurdenführers«, wie ihn Medien gern nannten, in der er sich aber auch selbst gut gefiel. Beide Titel implizieren ein sehr unterschiedliches Politikverständnis – im Weber’schen Sinne ist es der Unterschied zwischen legaler und charismatischer Herrschaft. Dieser Widerspruch ist dafür verantwortlich, dass Barzanis Projekt der kurdischen Staatsgründung so spektakulär scheiterte.

Zunächst meinte es der Lauf der Geschichte gut mit Masud Barzani. Während sein langjähriger und im Oktober verstorbener Rivale Dschalal Talabani als Präsident des Gesamt-Irak gezwungen war, sein politisches Kapital in Bagdad dafür aufzubrauchen, die dortige Regierung zusammenzuhalten, hob die US-Nachkriegsordnung Barzani in die Position des Provinzverwalters. Beim Aufbau neuer politischer Strukturen wie auch der Regionalhauptstadt Erbil selbst hatte er über mehr als ein Jahrzehnt hinweg weitgehend freie Hand.

Es hat tragische Züge, dass die eindrück­lichs­ten Momente Barzanis in der Rolle des charismatischen Führers und sein ­Rücktritt nur Mo­nate auseinanderlagen

Einerseits wurde der Nordirak unter seiner Führung zu einer Insel der Stabilität – vor allem in den Augen ausländischer Investoren. Zahlreiche Kurden kehrten nach 2003 wieder zurück, um sich am Wiederaufbau zu beteiligen. Barzani verstand es, seine Bemühungen in eine historische Tradition zu stellen, schließlich erbte er die Führung der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) von seinem Vater Mustafa Barzani, der 1946 maßgeblich an der Ausrufung der kurzlebigen kurdischen Republik Mahabad beteiligt war. Masud Barzanis Geburt fiel im Übrigen in ebenjenen historischen Zeitraum. Familiengeschichte und seine Vergangenheit als Kämpfer bei den Peschmerga gegen das Regime von Saddam Hussein verliehen Barzani Legitimität, die er etwa dazu nutzte, Familienmitglieder in einflussreichen Positionen unterzubringen.

Ein Nachteil dieser neuen Strukturen: Sie glichen jenen ineffizienten Verwaltungen der restlichen Öl-Ökonomien der Region. Mal mehr, mal weniger demokratisch, dienten sie primär der Versorgung der eigenen Klientel: tausender ehemaliger Peschmerga-Kämpfer und ihrer Angehörigen sowie Parteigängern der KDP und der von Talabani kontrollierten PUK. Das politische Tagesgeschäft verlangte von Barzani häufig Entscheidungen, die seiner Rolle als populistischer Führer aller Kurden zuwiderliefen.

Um für den Nordirak lebensnotwendigen Handel anzukurbeln, war er bereit, die wirtschaftlichen Beziehungen mit der Türkei zu vertiefen oder in Ankaras Auftrag gegen PKK-Strukturen im Nordirak vorzugehen. In der eigenen Bevölkerung rief das zwar keine großen Proteste hervor, im benachbarten Syrien, wo die kurdischen Gebiete in weiten Teilen von der PKK-nahen PYD dominiert werden, drängte dieser Kurs die restlichen kurdischen Oppositionsparteien, wie das vom Nordirak unterstützte Parteienbündnis »Kurdischer Nationalrat«, an den Rand der Bedeutungslosigkeit. Über kurdischen Nationalismus hinaus bot Barzani kaum weitere ideologische Bezugspunkte, wie es etwa die sozialistisch geprägte PKK tat.

Barzani überschätzte seine eigene Position, als er jene nationale Euphorie schürte, die zuletzt jegliche Alternative zur Durchführung des Unabhängigkeitsreferendums unmöglich machte. Dabei blieben wichtige politische Fragen ungeklärt. Seit Jahren verfügen die nordirakischen Streitkräfte über keine einheitliche Kommandostruktur. Bei Antikorruptionsprotesten kamen 2011 und 2012 mehrfach Zivilisten ums Leben. Mit der Gorran-Bewegung hat sich 2009 eine wichtige dritte politische Kraft etabliert, die die jungen Institutionen gegenüber den Clan-Strukturen stärken möchte.

Die meisten Unterstützer in den KRG-Randgebieten, etwa unter Jesiden oder Christen, fand er mit der wahren, aber auch ernüchternden Botschaft, dass die anderen Fraktionen des Irak schlicht noch brutaler, ineffizienter oder korrupter seien. Als das Kartenhaus der kurdischen Unabhängigkeit im Oktober von der irakischen Armee und tausenden schiitischen Milizionären in Kirkuk zum schnellen Einsturz gebracht wurde, blieb der laute Aufschrei unter den vielfältigen Koalitionspartnern der KRG-Regierung daher aus. Barzani war dem Gedanken erlegen, auch ihr Führer zu sein.

Es hat tragische Züge, dass die eindrücklichsten Momente Barzanis in der Rolle des charismatischen Führers und sein Rücktritt nur Monate auseinanderlagen. Im Sommer noch feierten seine wegen einer seit Jahren anhaltenden – und in Teilen von Bagdad ausgelösten – Finanzkrise unterbezahlten Soldaten Erfolge gegen den »Islamischen Staat« (IS). Die nun vermutlich deutlich eingeschränkten Autonomierechte gegenüber Bagdad machen interne Reformen notwendiger denn je. Masud Barzani hat bereits angekündigt, auch weiterhin politisch aktiv bleiben zu wollen. Sein politisches Erbe kann er dadurch retten, dass er nicht zum Bremser wird, sondern mitwirkt an einer Aufarbeitung und Diversifizierung des politischen Systems. Noch ist Erbil nicht verloren.

Von: 
Nils Metzger
Fotografien von: 
Moshtari Hilal

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.