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Pakistan wählt ein neues Parlament

Schrödingers Spitzenkandidaten

Analyse
von Leo Wigger
Wahlen in Pakistan
Die Wahlen in Pakistan befördern einen gewissen Größenwahn: Ex-Cricket-Star und PTI-Spitzenkandidat Imran Khan steht wie einige seiner Mitbewerber gleich in mehreren Wahlbezirken gleichzeitig auf dem Wahlzettel für ein Direktmandat. Illustration: Moshtari Hilal

Pakistan, das zweitgrößte islamische Land der Welt, wählt ein neues Parlament. Leo Wigger stellt fünf Schauplätze vor, die es im Blick zu halten gilt.

1) Hier fällt die Entscheidung

Keine Frage: Die Wahl wird in Punjab entschieden, wo über die Hälfte der 271 Direktmandate zu holen sind. 70 weitere Sitze werden dann nach repräsentativem Wahlrecht an Frauen und Minderheiten vergeben. Die Pakistan Peoples Party (PPP) wird erwartungsgemäß die Wahlkreise im ländlichen Sindh für sich gewinnen, die Pakistan Muslim League (Nawaz) (PLM(N)) aber stark in Punjab abschneiden. Die Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) kann sich nur der Mandate im Osten der Provinz Khyber-Pakhtunkhwa sicher sein.

 

Das heißt: Nur wenn es der PTI gelingt, der PLM(N) einen beträchtlichen Teil ihrer Mandate in ihrem Kernland abzuluchsen, hat sie Chancen auf den Wahlsieg. Besonders gekämpft wird um die Wahlkreise in Lahore und Islamabad. Ein Grund: Hier leben viele Großgrundbesitzer, die Dorfbewohnern im Hinterland oftmals die Wahlentscheidung vorgeben.

 

2) Peking hat Pakistans ärmste Provinz im Blick

Belutschistan ist die unruhigste, rückständigste und bevölkerungsärmste Provinz Pakistans. Und zugleich steht die rohstoffreiche Gegend im Zentrum geopolitischer Interessen. Denn China betreibt hier seit 2016 den Hafen Gwadar und möchte Konflikte möglichst vermeiden. Die endscheidende Frage: Wird die von Mitgliedern der alten Provinzregierung gerade ins Leben gerufene Balochistan Awami Party (BAP) hier gewinnen? Sie gilt als Systempartei, die reibungslos mit dem Establishment in Islamabad und Peking kooperiert.

 

Doch Vorhersagen in Belutschistan sind schwierig, Umfragen gelten als besonders unzuverlässig. Am 13. Juli verübten Islamisten einen verheerenden Anschlag auf eine Wahlkampfveranstaltung der BAP, 149 Menschen starben, darunter auch der aus einer einflussreichen Familie stammende BAP-Politiker Siraj Raisani.

 

3) Dieses Bündnis wäre im Nahen Osten undenkbar

Bislang konnten islamistische Parteien in Pakistan bei Wahlen selten gut abschneiden. Doch nun wittern islamistische Politiker Morgenluft, mehr als 1.500 Kandidaten haben sich für die Wahlen aufstellen lassen. Unter anderem auch Kandidaten, die der salafistischen Gruppierung Lashkar-e-Taiba und der militanten anti-schiitischen Organisation Lashkar-e-Jhangvi nahestehen. Beide Gruppen sind für zahllose Terroranschläge verantwortlich.

 

Zum ersten Mal seit 2002 tritt zudem ein Sammelbündnis mehrerer größerer islamistischer Parteien, Muttahida Majlis-e-Amal (MMA), an. Das Bündnis vereint ultrareligiöse Parteien aus dem Spektrum der einflussreichen rivalisierenden sunnitischen Deobandi- und Barelvi-Bewegungen, sowie eine extremistische schiitische Partei. Im Nahen Osten wäre eine solche Allianz wohl undenkbar. Besonders in Belutschistan und Khyber-Pakhtunkhwa, sowie in Teilen Sindhs werden der MMA durchaus Chancen eingeräumt.

 

4) Die Wundertüte an der Küste

In der multikulturellen Metropole des Sindh triumphierte lange Zeit eine Partei, die auf nationaler Ebene kaum eine Rolle spielt. Die skandalumwitterte aber liberale Muttahida Qaumi Movement (MQM) vertritt die Interessen der Muhajir, Urdu-sprachigen Nachkommen muslimischer Flüchtlinge aus dem heutigen Indien, die in der Stadt mit ihren 15 Millionen Einwohnern lange die Mehrheit stellten. Doch starke Zuwanderung aus anderen Landesteilen und dem umliegenden Ausland – vor allem von Paschtunen aus Afghanistan und Nordpakistan – hat die demografische Zusammensetzung der größten Stadt Pakistans verändert.

 

Zudem haben interne Streitigkeiten die MQM geschwächt, Splitterparteien wie die Pak Sarzameen werden Teile der Stimmen der Muhajir wohl auf sich vereinen. Gut möglich, dass die Wahlkarte Karachis dieses Mal also ganz anders aussehen wird und die landesweit größten Parteien auch hier abräumen. Aber auch die islamistische MMA könnte in der Stadt Mandate gewinnen, besonders unter den Paschtunen werden ihr gute Chancen eingeräumt.

 

5) Topspiel zur besten Sendezeit

Eigentlich treten Politiker nur in einem Wahlkreis an. In Pakistan, einem Land, dessen politische Kultur einen gewissen Größenwahn fördert, reicht das aber nicht allen. Die drei aussichtsreichen Spitzenkandidaten – Shehbaz Sharif, Imran Khan und Bilawal Bhutto – kandidieren dieses Mal in je drei bis fünf Wahlkreisen, die einer ausgefeilten Wahlarithmetik zu folgen scheinen.

 

Bilawal Bhutto tritt zum Beispiel nicht nur in der Bhutto-Heimat Larkana, sondern auch im Bezirk Karachi-Süd I an, dem einzigen Wahlkreis der Stadt, den die PPP bei der letzten Wahl 2013 für sich reklamieren konnte. Besonders spannend wird es in Islamabad II, dort trifft Oppositionsführer Imran Khan auf Ex-Premierminister Shahid Khaqab Abbasi, ein PLM(N)-Schwergewicht. In dem Wahlkreis liegt auch das Regierungsviertel der pakistanischen Hauptstadt. Jede Wette, dass das pakistanische Fernsehen diese Wahlschlacht genüsslich auskosten wird.

Von: 
Leo Wigger

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