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Netanyahu, Likud und die Wahlen zur Knesset in Israel

»Bibi« zwischen Wiederwahl und Anklage

Analyse
Netanyahu und die Wahlen zur Knesset in Israel
zeevveez, lizensiert gemäß Wikimedia Commons

Nach seiner Wiederwahl muss Israels Premier Benyamin Netanyahu vor allem die Justiz fürchten. Politisch liegen immer größere Teile der Bevölkerung auf seiner Linie.

Israel hat gewählt und viele Fragen sind nun geklärt.

 

Sicher scheint, dass Israels Präsident Reuven Rivlin Benyamin Netanyahu erneut mit der Regierungsbildung beauftragen wird, unklar ist aber noch die Stabilität der Mehrheit. Denn diese hängt am Schicksal von Netanyahus politischen Konkurrenten Naftali Bennett und Ayelet Shaked. Wird ihre Partei »Die neue Rechte« doch noch den Sprung über die 3,25-Prozent-Hürde schaffen? Angeblich fehlen ihr bloß 1.380 Stimmen. Bennett und Shaked haben eine Neuauszählung gefordert.

 

Wie dieser Krimi auch ausgehen mag, Netanyahus Erfolg ist beeindruckend. Er wird wohl schon bald eine neue noch rechtsnationalere und religiösere Regierungskoalition schmieden und im Sommer, in seiner fünften Amtszeit, Staatsgründer David Ben-Gurion als am längsten regierenden Ministerpräsidenten ablösen. Allen Negativschlagzeilen zum Trotz.

 

Für Netanyahu wird es nun darum gehen, sich in seinem Amt gegen die wahrscheinlich anstehenden Anklagen in mehreren Untreue- und Korruptionsverfahren zu verschanzen. Israels Gesetze zwingen einen angeklagten Minister zum Rücktritt. Was ein angeklagter Ministerpräsident tun muss, ist jedoch unklar, da gesetzlich nicht fixiert. So etwas gab es in der Geschichte des Staates auch noch nicht; Ehud Olmert trat 2008 vor Anklageergebung zurück.

 

Netanyahus Partei könnte nun ein Immunitätsgesetz zur Abstimmung bringen

 

Netanyahus Partei könnte nun ein Immunitätsgesetz zur Abstimmung bringen, das den Premier zumindest während seiner Amtszeit vor einer Anklage schützt. »Ich halte es aber nicht für wahrscheinlich, dass so ein Gesetz in der Knesset verabschiedet wird«, sagt Professor Amichai Cohen vom Ono Academic College bei Tel Aviv. Für wahrscheinlicher hält er den Rückgriff auf ein altes Gesetz, das Knesset-Abgeordneten bis 2005 Immunität gewährte, falls keine Parlamentsmehrheit für den Entzug votierte. Durch Entscheidungen des Obersten Gerichts wurde dieses Prinzip später ins Gegenteil verkehrt, gegenwärtig muss also eine Mehrheit im Fall einer Anklage für die Aufrechterhaltung der Immunität stimmen. Nun könnte sich dieses Prinzip wieder umkehren.

 

»Bestimmte rechte Kräfte könnten hierbei einen Konflikt mit dem Obersten Gericht anzetteln«, sagt Cohen. Gemeint ist damit auch Bezalel Smotrich, der kommende starke Rechtsaußen im Kabinett Netanyahu. Er hatte bereits mit dem Versprechen, die Macht des Gerichts zu beschränken, seinen Wahlkampf geführt und Netanyahu Unterstützung bei einem Immunitätsvorhaben zugesichert. Im Gegenzug könnte Siedlervertreter Smotrich die Annektierung von Teilen des Westjordanlands und den Posten des Justizministers verlangen.

 

Egal, welche Form der Immunität Netanyahu anstrebt – »Es schwächt eindeutig den Rechtsstaat«, sagt Professor Amichai Cohen. Einen Deal zwischen Netanyahu und den Behörden hält Cohen derweil für unwahrscheinlich, wenn tatsächlich Anklage wegen Korruption erhoben wird. »Das ist ein gravierendes Vergehen, für das man ins Gefängnis kommen kann.« Wenn Netanyahu nicht durch Immunität geschützt wird, wird er kaum Premier bleiben können, denn der juristische Prozess könnte Jahre dauern. Dass er währenddessen einfach weiter die Staatsgeschäfte führt, ist kaum vorstellbar. »Wir haben so etwas hier noch nie erlebt, keine Demokratie hat das je erlebt«, sagt Cohen.

 

Die Älteren in Israel wählen eher links und liberal, die Jüngeren dagegen rechts und national

 

Doch im Moment scheint Benyamin Netanyahu, der einen brutalen und rücksichtslosen Wahlkampf geführt hat, erst mal seinen Triumph auszukosten. In der Wahlnacht rief er seinen Anhängern zu: »Ihr habt einen gigantischen Sieg herbeigeführt. Unvorstellbar, zu unmöglichen Bedingungen, gegenüber voreingenommenen Medien.«

 

Geholfen haben dürfte Netanyahus Likud und seinen rechten Alliierten dabei die demographische Entwicklung des Landes. Anders als in vielen anderen westlichen Staaten wählen die Älteren in Israel eher links und liberal, die Jüngeren dagegen rechts und national. Eine Umfrage des unabhängigen Thinktanks »Israel Democracy Institute« ergab, dass 65 Prozent der Israelis im Alter zwischen 18 und 24, sowie 53 Prozent der 25-34-Jährigen Netanyahu favorisierten, nur 17 beziehungsweise 33 Prozent sprachen sich für den eher in der Mitte stehenden Widersacher Benny Gantz aus. In den Altersgruppen ab 45 dreht sich dieses Verhältnis um.

 

Die Gründe für die Präferenzen sind vielfältig. Dazu gehört, dass junge Israelis vor allem die Epoche der relativen Ruhe und Prosperität unter Netanyahu kennen. Gleichzeitig stehen sie unter dem – auch indirekten Eindruck – der Zweiten Intifada. Für eine Friedenslösung mit den Palästinensern sehen sie keine Notwendigkeit, einen Friedensprozess kennen sie faktisch nicht. Junge National-Religiöse haben dazu den für sie traumatischen Rückzug aus Gaza erlebt und sich dadurch radikalisiert.

 

Die Wahlbeteiligung der arabischen Bürger fiel bei dieser Wahl auf ein historisches Tief

 

Junge Menschen, so erklären Meinungsforscher, neigen außerdem allgemein dazu, radikaler zu denken. Auf der linken Seite des Parteienspektrums in Israel finden sich keine Anknüpfungspunkte für die Jung-Radikalen, rechts dagegenviele. Zuletzt sind unter den jungen Israelis vergleichsweise mehr Religiöse als früher, sie wählen die ultraorthodoxen Parteien oder andere rechte Gruppierungen.

 

In seiner Analyse am Tag nach der Wahl suchte Haaretz-Chefredakteur Aluf Benn die Schuld beim Netanyahu-Rivalen Benny Gantz und der Strategie seines Bündnisses Kahol Lavan. Der Ex-Generalstabchef und andere führende Ex-Militärs hätten zu sehr auf die militärische, auf die Sicherheitskarte gesetzt. Man müsse aber »eine konzeptionelle Grass-Roots-Alternative« schaffen. Dazu müsse man unbedingt mit dem arabischen Teil der Gesellschaft kooperieren. Die Wahlbeteiligung der arabischen Bürger fiel bei dieser Wahl auf ein historisches Tief.

 

Ob die Schaffung einer neuen politischen Kraft, die gleichzeitig Stimmen jüdischer Bürger aus der Mitte und Stimmen arabischer Bürger auf sich vereint, überhaupt realistisch ist, bleibt zweifelhaft. Und selbst wenn, wird auch das wohl nicht reichen. Dr. Dahlia Schneindlin vom Thinktank Mitvim sagt: »47 bis 50 Prozent der Bevölkerung identifizieren sich als rechts, 41 bis 42 Prozent als Mitte oder links. Und das sind Araber und Juden.« Für eine Ablösung der rechten Regierung würde es also noch nicht mal reichen, wenn alle Araber zur Wahl gingen. Die Strategie von Kahol Lavan, moderate Rechte herüberzuziehen vom Block um den Likud, war also grundsätzlich richtig, analysiert Schneindlin. Doch gereicht hat es nicht.

Von: 
Thore Schröder

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