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Machtverschiebungen im Jemen-Krieg

Das Saleh-Comeback

Analyse
Machtverschiebungen im Jemen-Krieg
General Tareq Mohamed Saleh ist der Neffe des langjährigen Präsidenten Ali Abdullah Saleh und war unter dem alten Regime Chef der Präsidialgarde. Screenshot Youtube

Der Vormarsch der Huthis in Marib zwingt die Regierungskoalition zu einer Neuausrichtung – und verhilft einem prominenten Mitglied des alten Regimes im Jemen zum Platz am Verhandlungstisch.

Der Konflikt im Jemen tritt in eine neue Phase ein. Nach den demütigenden Niederlagen der Truppen der international anerkannten Regierung von Abd Rabbo Mansour Hadi gegen die Huthis in al-Baydha, Marib und Shebwa in diesem Sommer positionieren sich rivalisierende Kräfte, um das durch den Rückzug entstandene Macht- und Sicherheitsvakuum zu füllen. Eine Vereinbarung zwischen dem Südübergangsrat (STC) und dem Oberkommando der von Saudi-Arabien unterstützten Koalition zielt darauf ab, die Differenzen beizulegen und eine neue geschlossene Front zu bilden, um die südlichen Provinzen vor einem Vormarsch der Huthis zu schützen.

 

Seit der Vermittlung des Stockholmer Abkommens im Dezember 2018 sind die Huthis in drei nördliche Provinzen und ins westliche Shebwa vorgedrungen und drohen nun, ihren Machtbereich auf die Provinz Abyan vorzudringen sowie in die ölreiche Provinz Shebwa. Die Schuld für Tempo des Vormarschs der Huthis in Marib und West-Shebwa wird intern der Führungsschwäche der Militärkommandeure zugeschrieben, die mit der der Muslimbruderschaft nahestehenden Islah-Partei und dem Gouverneur Mohamed Saleh bin Adio verbunden sind. Die neue Vereinbarung zwischen dem Oberkommando der Koalitionsstreikräfte und dem STC zielt auch darauf ab, der politischen Agenda der Islah in Shebwa entgegenzuwirken.

 

Auf Seiten der Koalition präsentiert sich ein alter Bekannter als treibende Kraft der Neuausrichtung. General Tareq Mohamed Saleh ist der Neffe des langjährigen Präsidenten Ali Abdullah Saleh und war unter dem alten Regime Chef der Präsidialgarde. Im Jahr 2017 gründete er den »Jemenitischen Nationalen Widerstand«, der sich hauptsächlich aus ehemaligen Mitgliedern der Republikanischen Garde und der Zentralen Sicherheitsorganisation zusammensetzt.

 

Mitte November ließ Tareq Saleh Truppen der Koalitionsstreitkräfte aus Gebieten südlich der Stadt Hodeida entlang der Küste des Roten Meeres abziehen, um das Vakuum durch den Rückzug von Islah zu füllen und eine kohärente Alternative zu den zersplitterten Kräften innerhalb der Hadi-Regierung zu präsentieren. Zugleich aber versucht der STC, weitere Gebietsverluste an die Huthis im Süden zu verhindern. Unterdes drängt der neue UN-Beauftragte Hans Grundberg auf eine neue Runde von Friedensgesprächen.

 

Im Süden befürchtet man, dass die Huthis versuchen, ihren Zugang zum Golf von Aden zu erweitern

 

Die Verluste der Regierungstruppen in al-Baydha und Marib in den letzten Monaten haben die Huthis gestärkt, indem sie ihnen die Kontrolle über neue Gebiete und den Zugang zu Stammeskräften ermöglichten. Der Rückzug der mit der al-Islah-Partei verbündeten Regierungstruppen hat nicht nur dazu beigetragen, dass sich das von den Huthis kontrollierte Gebiet vergrößert hat, sondern auch das Vertrauen der Bevölkerung in den nun von den Huthis bedrohten Gebieten geschwächt.

 

Proteste gegen den Gouverneur Mohamed Saleh Bin Adio in Shebwa haben sich von Demonstrationen gegen die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage zu Schuldzuweisungen für den Verlust von Bayhan und anderen Gebieten entlang der Grenze zwischen Shebwa und al-Baydha ausgeweitet. Dieses Gebiet entlang der Gebirgskette, die die Küste von Shebwa mit dem südlichen Marib verbindet, liegt an einer wichtigen Schmuggelroute, auf die Huthis in den letzten sieben Jahren beim Schmuggel von Handelswaren und Waffen zurückgriffen.

 

Die Sicherheitslage entlang der Berge westlich von Shebwa ist für die Streitkräfte des STC ebenfalls von entscheidender Bedeutung, da diese Schmuggelroute an der Grenze zwischen Abyan und Shebwa an der Küste des Golfs von Aden beginnt. Die Huthis haben auch den Hafen Mokka ins Visier genommen, einen der Stützpunkte von Salehs Truppen. Im Süden befürchtet man, dass die Huthis von den Bergen in Shebwa oder südlich von al-Baydha in das östliche Abyan einmarschieren könnten, um ihren Zugang zum Golf von Aden zu erweitern.

 

Der neue UN-Sondergesandte Hans Grundberg steht drei Monate nach Amtsantritt vor enormen Hindernissen

 

Da sich die Ereignisse vor Ort schneller entwickeln als die diplomatischen Bemühungen, den Vormarsch der Huthis oder den politischen Konflikt in Shebwa zu stoppen, zielt die Vereinbarung zwischen Tareq Saleh und dem STC darauf ab, eine neue Phase des Konflikts einzuleiten. Das Bündnis hofft, eine Alternative zu dem kollabierenden politischen Status Quo und den Vereinbarungen zu schaffen, die die Koalitionsregierung von Präsident Hadi noch im Amt halten.

 

Seit dem Abkommen in Stockholm sind drei Jahre vergangen, ohne dass Fortschritte bei der Übergabe des Hafens von Hodeida durch die Huthis, der Öffnung der Zugangswege nach Taiz oder einem umfassenden Gefangenenaustausch zu verzeichnen sind. Zwei Jahre nach dem Abkommen von Riad zwischen Präsident Hadi und der STC nehmen die Spannungen im Südjemen zu. Die Prämisse des von Saudi-Arabien ausgehandelten Abkommens bestand darin, die Kräfte im Kampf gegen die Huthis zu bündeln. Allerdings wirft der STC den mit der Islah-Partei verbundenen Kräfte vor, ihren Teil der Abmachung nicht erfüllt zu haben.

 

Zudem schuf der Abtritt von Martin Griffiths, des dritten UN-Sondergesandten für den Jemen, ein Vakuum auf diplomatischer Ebene und verzögerte die Vehandlungen zwischen den jemenitischen Akteuren und den regionalen Mächten im Konflikt. Drei Monate nach dem Amtsantritt von Hans Grundberg steht der neue UN-Sondergesandte bei seinen Bemühungen, mit Hilfe von Katar und Oman eine neue Gesprächsrunde zu organisieren, vor enormen Hindernissen.

 

Die Vereinbarung zwischen Tareq Saleh und dem STC soll der Koalitionsregierung zu neuer Schlagkraft verhelfen

 

Denn neben den veränderten Kräfteverhältnissen durch die Geländegewinne der Huthis geht es nun auch darum, eine praktikable Alternative zum derzeitigen politischen Bündnissystem zu präsentieren. Während sich der STC seit Mai 2017 als Vertreter des Südens etabliert hat, soll die Einrichtung eines politischen Büros durch General Tareq Mohamed Saleh im März dieses Jahres eine politische Alternative präsentieren, da die im Dezember 2020 gebildete Koalitionsregierung angesichts der zunehmenden Fragmentierung zu zerfallen beginnt.

 

Die Koalitionsregierung teilte bislang die Kabinettsposten zwischen den Parteien, die Präsident Hadi unterstützen, und dem STC auf. Aber nur die Islah-Partei und der STC setzen militärische Kräfte an den Fronten gegen die Huthis ein. Die Truppen der Islah nahestehenden Kommandeure haben Gebiete in al-Baydha und Marib an die Huthis verloren, während die Kräfte des STC ihre Stellungen in Abyan und al-Dhale halten konnten.

 

In den vergangenen drei Jahren seit dem Abkommen von Stockholm haben die Huthis ihre Verhandlungsposition für die UN-geführten Friedensgespräche mit der Hadi-Regierung gestärkt. Die Vereinbarung zwischen Tareq Saleh und dem STC soll der Koalitionsregierung nun zu neuer Schlagkraft verhelfen. Die Relevanz dieses Bündnisses wurde in diesem Monat deutlich, als Hans Grundberg bei seinem jüngsten Besuch in Aden und Taiz mit dem STC-Präsidenten Aydarous al-Zubaydi und Tareq Saleh zusammentraf. Gemäß dem Abkommen von Riad hat der STC einen Sitz am Verhandlungstisch, wenn die von den Vereinten Nationen geförderten Gespräche beginnen. Nun hat sich Tareq Salehs Gruppe als ein Akteur positioniert, der innerhalb der Regierungskoalition eine führende Rollen spielen wird.


Fernando Carvajal forscht seit 20 Jahren zu Politik und Stammesbeziehungen im Jemen. Von April 2017 bis März 2019 war er Mitglied des Jemen-Expertengremiums des UN-Sicherheitsrats. Seit 2021 betreibt er den Jemen-Podcast Diwan.

Von: 
Fernando Carvajal

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