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Libyen-Konferenz in Palermo

Salvini hat kein Problem mit Milizen

Analyse
Libysche Milizen auf Patrouille
Libysche Milizen auf Patrouille Foto: Mirco Keilberth

Wieder einmal enden Verhandlungen über Libyens Zukunft ohne Durchbruch. Nur Italien kann sich freuen. Die Gastgeber der Palermo-Konferenz nutzten die Gelegenheit weniger zum Vermitteln, sondern um für sich am meisten herauszuschlagen.

Ein Monat vor dem Stichtag für vermeintliche Wahlen in Libyen, das nach der letzten internationalen Libyenkonferenz in Paris Ende Mai für den 10. Dezember festgesetzt worden war, haben sich in Italien die zentralen politischen Akteure, die repräsentativ für Libyens Spaltung stehen, eingefunden, um erneut die Zukunft des nordafrikanischen Landes zu diskutieren. Die Palermo-Konferenz endete mit wenigen wirklich konkreten Ergebnissen, mit Ausnahme einer Verschiebung der Wahlen auf das nächste Jahr – in den Augen der meisten Libyer und internationaler Beobachter keine Überraschung.

 

In der gemeinsamen Abschluss-Pressekonferenz betonten der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte und der UN-Sonderbeauftragte für Libyen, Ghassan Salamé, dass die Palermo-Konferenz einen weiteren Schritt im politischen Stabilisierungs-, und Einigungsprozess des Landes sei. Sie mussten aber gleichzeitig eingestehen, dass weder eine schriftliche Vereinbarung, noch ein konkreter Zeitplan aus den Meetings erwachsen ist. Das italienische Communiqué nach der Konferenz war vor allem eine Zusammenfassung der besprochenen Inhalte aus Paris sowie des UN- Aktionplans mit einem Fokus auf die Abhaltung einer inklusiven »nationalen Konferenz« (»Multaqa«) Anfang 2019.

 

Die »italienische Antwort« zur Konferenz in Paris offenbarte aber vor allem die intra-europäische Rivalität. Nicht zufällig war der Austragungsort im Süden von Italien gewählt. Rom beansprucht eine besondere Stellung in Libyen aufgrund der Kolonialvergangenheit, aber auch aufgrund der geografischen Nähe, die Entwicklungen in Libyen heute unmittelbar relevant für Italien machen – allen voran die Migrationsbewegung aus dem subsaharischen Afrika via Libyen gen Süditalien.

 

Haftars Volten waren kein Einzelfall: In Palermo pochten einige empfindsame Egos auf Geltung

 

Die Eindämmung der Anzahl von Personen, die überhaupt erst nach Italien kommen, hat vor allem für die neue rechtsgerichtete Regierung in Italien Priorität. Um die Zahlen zurückzufahren, ist die Kooperation mit Kräften im westlichen Teil Libyens fundamental, dazu gehören Milizen, aber auch die Vertreter der international anerkannten Regierung unter Premier Fayez Al-Sarraj. Daneben verfolgt Italien auch handfeste ökonomische Interessen in Libyen und macht daraus keinen großen Hehl.

 

Italien hat es geschafft, die politischen Hauptakteure sowohl aus dem westlichen als auch östlichen Teil Libyens nach Palermo zu bringen. Allerdings waren die Tage im Vorfeld zur Konferenz von einer Person geprägt, für die die Teilnahme offenbar schon der Verhandlungen war: General Khalifa Haftar, der wohl wichtigste Machtfaktor im östlichen Teil Libyens, ließ sich lange bitten und änderte seine Position fast stündlich. Letztlich sah sich Rom gezwungen, das Konferenzformat gemäß den Wünschen des Oberbefehlshabers der »Libyschen National-Armee« anzupassen und auf seinen Terminkalender zuzuschneiden.

 

Es war nicht das einzige Mal, dass empfindsame Egos in Palermos auf Geltung pochten. Die türkische Delegation hatte sich vorzeitig von der Konferenz verabschiedet, da sie nicht zu einem Treffen zwischen Haftar und Serraj eingeladen worden war. Die Gastgeber haben so zumindest einen Eindruck bekommen, wie innerlibysche und regionale Muskelspiele Verhandlungen zur politischen Zukunft Libyens beeinflussen. Sie zu überwinden, gelang den Italienern freilich nicht.

 

Italiens rechtspopulistischer Innenminister hat wenig Interesse daran, die Milizen zu entmachten, die die Migration nach Europa einhegen

 

In punkto Migration strebte die italienische Regierung derweil nicht einmal eine Veränderung an –Rom ist mit dem Status quo für den Moment eigentlich ganz zu zufrieden. 2018 hat sich der Strom von Migranten aus Libyen nach Italien signifikant verringert (laut UNHCR von 119.400 im Jahr 2017 auf 18.500 in der ersten Jahreshälfte 2018), was auf die Vereinbarungen zurückgeführt werden kann, die Italien mit regierungsnahen Milizen geschlossen hat. Aus diesem Grund hat Italiens rechtspopulistischer Innenminister Matteo Salvini wenig Interesse daran, dass diese Gruppen an Einfluss verlieren. Im Abschlusskommuniqué begrüßte Italien die von Sarraj initiierten Umstrukturierungen im Sicherheitsapparat, Ministerpräsident Conte sagte die Weiterführung der Polizeiausbildung zu.

 

Somit wurde zumindest für den Augenblick die funktionierende Kooperation mit formellen und informellen bewaffneten Gruppen, die die Migration nach Europa einhegen, aufrechterhalten. Wenige Tage nach der Konferenz traten zudem UN-Sanktionen gegen Salah Badi in Kraft. Der Milizenführer aus Misrata hatte im Sommer angreifen lassen. Die Strafmaßnahmen gegen genau diesen Warlord kommen auch einer internationalen Legitimation der aktuellen Milizenstruktur in der libyschen Hauptstadt gleich.

 

Conte konnte auch auf wirtschaftlicher Ebene einen Erfolg verbuchen – und fand auch dafür einen ganz bestimmten Partner. Nur einen Tag nach Ende der Konferenz verkündete der Regierungschef nach einem Treffen mit dem Kronprinzen der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Muhammad Bin Zayed Al Nahyan (MBZ), dass beide Staaten künftig stärker in Libyen kooperieren wollten. Am meisten wird davon mutmaßlich der italienische Mineralöl- und Energiekonzern Eni profitieren.

 

Der Anführer der größten Miliz in Tripoli hegt politische Ambitionen und inszeniert sich als Robin Hood

 

Die Ereignisse vor, während und nach der Palermo-Konferenz, die nicht Teil des offiziellen Programms waren, stehen exemplarisch für Machtdynamiken und politische Entwicklungen innerhalb und außerhalb Libyens. Doch auch in Libyen selbst wurden zur gleichen Zeit Tatsachen geschaffen.

 

Mittendrin: Haitem Tajouri. Der Anführer der größten Miliz in Tripoli hegt offenbar politische Ambitionen und inszeniert sich als eine Art Robin Hood: Er griff während der Verhandlungstage von Palermo die chronische Bargeldknappheit in der Hauptstadt auf und ermöglichte den Bewohnern, zehnmal mehr Geld als sonst möglich abzuheben. Die Folge: Lange Schlangen vor den Geldautomaten, Beifall für den sonst gefürchteten Warlord und noch mehr Unverständnis für das Geschacher von Palermo.

 

Die Skepsis vieler Libyer gegenüber internationalen Konferenzen sitzt tief. Vom Herzstück der Paris-, als auch Palermo-Konferenz, nämlich dem UN-Aktionsplan, haben laut einer Umfrage der International Foundation for Electoral Systems (IFES) 40 Prozent der Libyer noch nie gehört. Zugleich ist es unbestritten, dass Libyen eine politische Entwicklung braucht, die legitime, vereinte Institutionen schafft, die das Land aus der Sicherheits-, und Wirtschaftskrise führen. Das Vertrauen in die derzeitigen Würdenträger ist extrem niedrig. Das ist wenig überraschend, schließlich sehen viele Libyer die Probleme des Landes als Folge des Gerangels um Ressourcen, das keine Rücksicht auf breite Teile der Bevölkerung nimmt.

 

Über 200 Repräsentanten der libyschen Zivilgesellschaft treffen sich im Januar 2019

 

Was bleibt von der Palermo-Konferenz? Zumindest die Hoffnung auf die anstehende Nationalkonferenz im Januar 2019, die über 200 Repräsentanten der libyschen Zivilgesellschaft versammeln soll. Stämme der vernachlässigten Fezzan Region im Süden und Bürgermeister von einflussreichen Städten wie Zintan oder Misrata haben die Initiative bereits begrüßt, da sie auf einen inklusiveren Prozess als die Konferenzen in Paris und Palermo hoffen.

 

Dort war deutlich geworden, dass nicht nur die Golfstaaten im Rennen um regionalen Einfluss mitmischen, sondern eben auch Staaten wie Italien und Frankreich. Diese Rivalität zu überbrücken, ist die wohl vordringlichste Aufgabe und die Hauptlektion aus Palermo. Denn es braucht das geballte Gewicht der europäischen Gemeinschaft, um Libyens Polit-Elite an neue Vereinbarungen und Verpflichtungen zu binden.


Inga Kristina Trauthig promoviert am Londoner King’s College über die Beziehung von informeller und formeller Regierungsführung in Libyen nach dem Sturz von Muammar Al-Gaddafi.

Von: 
Inga Kristina Trauthig

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