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Kurz Erklärt: Regierungsbildung im Irak

Kadhimis Ultimatum

Analyse
Kurz Erklärt: Regierungsbildung im Irak
The Media Office of the Prime Minister of Iraq

Seit fünf Monaten wartet der Irak auf eine neue Regierung – gelingt Mustafa Kadhimi nun der Durchbruch? Dem Spielraum des designierten Premiers sind enge Grenzen gesetzt. Doch auch Teheran bereitet die Regierungsbildung im Nachbarland Kopfzerbrechen.

Was ist geschehen?

Bis zum 25. April wolle Mustafa Kadhimi dem irakischen Parlament einen Vorschlag für die Kabinettsbildung vorlegen – zwei Wochen vor Ablauf der 30-Tage-Frist, die die Verfassung vorgibt. Es ist eine Mammutaufgabe für den designierten Premierminister – doch auch die konkurrierenden Machtblöcke im Irak sowie die politische Führung in Iran stehen unter Druck.

 

Kadhimi ist bereits der dritte Kandidat, der von Präsident Barham Salih in diesem Jahr mit der Regierungsbildung beauftragt wurde, nachdem Adil Abdul Mahdi im Zuge der landesweiten Demonstrationen dem Druck der Straße gewichen war und am 29. November 2019 seinen Rücktritt eingereicht hatte.

 

Doch weder Kommunikationsminister Muhammad Allawi, noch Adnan Al-Zurfi, der Gouverneur der Provinz Nadschaf, waren überhaupt soweit gekommen, potenzielle Mitglieder einer neuen Konsensregierung vorzuschlagen – vor allem ob des vehementen Widerstands aus Teheran und der verschiedenen mit Iran affiliierten politischen Blöcke, die im Parlament die Mehrheit innehaben.

 

Worum geht es eigentlich?

Die Regierungsbildung im Irak offenbart auch die Grenzen des iranischen Einflusses im Nachbarland. Für Teheran ist Kadhimi sicher kein Wunschkandidat – der frühere Journalist, der lange im europäischen Exil gelebt hat, wäre der erste Premier seit Iyad Allawi 2004, der nicht aus dem proiranischen islamistischen Spektrum stammt. Zudem war Kadhimi bei seiner Vorstellung Anfang April zunächst auf mehr Ablehnung gestoßen als die vorherigen Kandidaten – insbesondere aus den Reihen der »Volksmobilisierungseinheiten« (Al-Haschd Al-Scha’bi). So hatten die Kata'ib Hizbullah ihn etwa als »US-Agenten« verunglimpft, der in die Ermordung ihres Kommandeurs Abu Mahdi al-Muhandis im Januar involviert gewesen wäre, schließlich leitet der 53-Jährige seit 2016 den irakischen Geheimdienst.

 

Letztlich verhallte der Protest der Gruppe aber ungehört – wichtige politische Vertreter der Haschd, etwa der Führer der Badr-Bewegung Hadi Ameri sowie die Sa'irun-Koalition von Muqtada Sadr, stellten sich demonstrativ hinter Kadhimi. Wohl auch nach Intervention von Ismail Ghani. Für den neuen Kommandanten der iranischen Revolutionsgarde besteht die größte Aufgabe nach dem Tod von Qassem Suleimani wohl darin, die verbündeten politisch-militärischen Gruppen in der Region auf Linie zu bringen. Dass sich die Regierungsbildung im Nachbarland solange hinzieht, wirft ein schlechtes Licht auf Teherans ordnungspolitischen Führungsanspruch in der Region. Zudem hat Iran ein handfestes Interesse daran, eine Ölpreis-, Gesundheits- und letztlich Systemkrise im Irak zu verhindern.

 

Und trotz der antiamerikanischen Rhetorik schätzt Teheran die Position des Premierministers als Möglichkeit, mit den Amerikanern im Gespräch zu bleiben und Gehör zu finden – so wie es lange unter den Premierministern Nuri Al-Maliki und Haidar Al-Abadi funktioniert hatte. Ganz konkret geht es auch hier darum, die Energieversorgung des Iraks zu sichern: In der Vergangenheit hatte Washington Bagdad stets eine Ausnahme von den Sanktionen gegen Teheran gewährt, die den Import von Erdgas und Strom ermöglichten. Die jüngste Verlängerung dieser Sonderregelung erfolgte am 26. März – gilt aber nur für 30 Tage und muss dann neuverhandelt werden.

 

Wie geht es weiter?

Trotz der strategischen und überraschend schnellen Rückendeckung für Kadhimi bereitet Teheran die Regierungsbildung weiter Kopfzerbrechen. Denn die neue Führung steht erst, wenn das Parlament auch die Budget- und Personalentscheidungen absegnet. Wohl auch im Wissen um die zähen Verhandlungen um Einfluss und Geldmittel, um die verschiedene proiranische Blöcke miteinander konkurrieren, hat Kadhimi wohl die zwei Wochen nach dem 25. April bis zum Ablauf der Frist eingeplant.

 

Indes müssen die Wasserstandsmeldungen zu Postengeschacher und Pfründesicherung vielen Irakern wie Hohn klingen. Immerhin war die irakische Regierung im Herbst 2019 zu Fall gekommen, weil die Konsensregierung nicht imstande gewesen war, grundlegende strukturelle Probleme anzugehen und ihren Verpflichtungen gegenüber den Bürgern nachzukommen. Der scheidende Premierminister Adil Abdul-Mahdi, der einstweilen die Regierungsgeschäfte kommissarisch weiterführt, hatte vor seinem Rücktritt Verständnis für die Belange der Protestbewegung geäußert und weitreichende Reformen in Aussicht gestellt – dafür allerdings nicht den notwendigen politischen Rückhalt gefunden.

 

Nun pochen jene paramilitärischen Gruppen auf ihren Anteil bei der Neuverteilung der Macht, die im Herbst noch teilweise brutal gegen die Demonstrierenden vorgegangen waren. Und obwohl Mustafa Kadhimi kein Militär- und Geheimdienst-Karrierist ist, spielte auch seine Behörde eine Rolle bei der Niederschlagung der Proteste, vor allem aber bei der ausstehenden Aufarbeitung – einer der zentralen Forderungen der Protestbewegung.

Von: 
Robert Chatterjee

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