Katar bläst zum Kampf gegen Kriegsverbrechen. Was ist von der Menschenrechts-Offensive des Emirats zu halten?
Das Ritz Carlton ist eine der exklusivsten Adressen der katarischen Hauptstadt Doha. Es verfügt über eine Pool-Landschaft mit künstlichem Wasserfall, eine Zigarrenlounge und einen Privatstrand. Eine kleine Flasche Wasser aus der Minibar der stilvoll eingerichteten Zimmer kostet knapp 6,50 Euro. Anfang April fand hier jedoch eine Konferenz statt, deren Thema die wenigsten Menschen mit Katar oder dem Ritz Carlton in Verbindung bringen würden: Zusammen mit namhaften internationalen Partnern luden die katarischen Gastgeber mehr als 250 Teilnehmer aus aller Welt ein, um zu debattieren, wie Straflosigkeit bei schweren Menschenrechtsverletzungen bekämpft werden kann.
Dass Katar bisher nicht gerade als Menschenrechtshochburg aufgefallen ist, wäre eine Untertreibung. Insbesondere die katastrophalen Arbeitsbedingungen für Arbeitsmigranten und die Rechtsungleichheit von Frauen sorgen im Ausland immer wieder für Empörung. Auf den Baustellen für die Fußball-WM 2022 starben hunderte Bauarbeiter, die meisten davon Gastarbeiter aus Indien und Nepal. Im Freedom House Ranking, das Länder nach politischen Freiheiten bewertet, gilt Katar als unfrei; die Bürgerrechte als stark eingeschränkt. Dennoch trat das EU-Parlament neben der UN als Mitorganisator der illustren Konferenz in Erscheinung.
Wie passt das zusammen?
Doha versuche gerade, neue Freunde im Westen zu finden, sagt Julia Legner von der MENA Rights Group, einer Menschenrechtsorganisation aus Genf. »Und wie kann man das am besten machen? Wenn man sich für Menschenrechte einsetzt.« Und die internationale Gemeinschaft lässt sich nicht lang bitten. Zur Eröffnung der Konferenz tummelten sich so, neben omanischen Menschenrechtlern und ivorischen Richtern, auch hochranginge brasilianische UN-Diplomaten und EU-Mitarbeiter unter den schweren Kronleuchtern eines über 1.000 Quadratmeter großen Konferenzraumes in feinstem Golfbarock. Der katarische Ministerpräsident Abdullah Al Thani war anwesend; der Fernsehsender Al-Jazeera berichtete umfassend. Am Ende präsentierten die Teilnehmer eine Liste mit Empfehlungen an die Weltgemeinschaft. Ganz oben auf der Agenda: Die Forderung an alle Staaten, falls noch nicht geschehen, endlich das Rom-Statut zu ratifizieren und damit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag beizutreten.
Katar braucht dringend Unterstützung
Das Rom-Statut gilt als wichtiges Instrument, um schwere Menschenrechtsverletzungen auf internationaler Ebene zu bekämpfen. Es wird aber nicht von allen Ländern anerkannt. Zu den Staaten, die das Statut noch nicht ratifiziert haben, gehört bisher neben Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten auch Katar.
Seit dem Beginn der Katarkrise 2017 jedoch, ist das Emirat in der Region isoliert. Die Nachbarn Saudi-Arabien, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate werfen Doha die Unterstützung islamistischer Terrorgruppen vor – womit die anderen Golfstaaten vor allem die Muslimbrüder meinen. Nur zur Pilgerfahrt Hadsch öffnet Saudi-Arabien noch die Landgrenze zu Katar. Im September 2018 kündigten die Saudis gar an, an der Grenze zur Halbinsel einen Kanal ausheben zu wollen und das Emirat so in einen Inselstaat zu verwandeln. An der geplanten Wasserscheide soll unter anderem eine Atomdeponie entstehen. Es gilt als unwahrscheinlich, dass sich die Situation schnell beruhigt. Und so braucht Katar dringender denn je die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.
Ein hilfreicher Nebenaspekt: In vielen Fällen gehen die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen in der Region auf die Kappe Riads und seiner Verbündeten. Erst Anfang 2019 hatte Amnesty International den Staaten des Nahen Ostens ein verheerendes Menschenrechtszeugnis ausgestellt. Die NGO prangerte die weit verbreitete Straflosigkeit selbst bei schwersten Verbrechen an. Neben den Kriegsschauplätzen Syrien, Jemen und Libyen kamen in dem Bericht Saudi-Arabien, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate besonders schlecht weg.
Brüssels Kalkül: Die Rivalität der Golfstaaten für sich nutzen
Katar dagegen machte bei den Menschenrechten zuletzt erhebliche Fortschritte. Bereits 2016 setzte der Golfstaat das umstrittene Kafala-System für ausländische Arbeiter formal außer Kraft und verkündete unlängst weitere Maßnahmen wie die Abschaffung von Ausreisevisa für Gastarbeiter. 2018 trat das Emirat dann zwei wichtigen Menschenrechtsverträgen bei. Außerdem wurde ein Asylrecht eingeführt – das erste der Region. Zusammen mit Liechtenstein forcierte man auf internationaler Ebene einen neuen Untersuchungsmechanismus von Kriegsverbrechen in Syrien. Fälle von Folter sind aus Katar nicht mehr bekannt. Auch in der Außendarstellung hat das reichste Land der Welt dazugelernt. Als Amnesty jüngst weitere Reformen bei den Arbeitnehmerrechten einforderte, gelobte die Regierung in Doha öffentlich Besserung. Vor diesem Hintergrund geht die EU auf Katars Avancen gerne ein.
Der Italiener Pier Antonio Panzeri hat ein rundes, freundliches Gesicht, in dem sich die Anstrengungen eines bewegten Politikerlebens in tiefen Augenringen manifestieren. Der Sozialdemokrat aus der Lombardei kämpft seit Jahrzehnten rund um den Globus für die Rechte von Minderheiten, Arbeitern, Migranten und politischen Gefangenen. Panzeri leitet den Unterausschuss für Menschenrechte im EU-Parlament, vorher hat er jahrelang der Mailänder Arbeiterkammer vorgestanden. »Natürlich wissen wir, dass die Konferenz hier ein PR-Investment Katars und die Menschenrechtsbilanz alles andere als großartig ist«, sagt er zenith.
Die EU habe zwei Möglichkeiten damit umzugehen: »Entweder wir kappen die Beziehungen zu Katar und belehren andere Länder von oben herab über Menschenrechte oder wir heißen solche Initiativen willkommen, knüpfen unsere Unterstützung an konkrete Bedingungen und hoffen, dass sich dadurch in der etwas Region zum positiven ändert.« Brüssels Kalkül: Die Rivalität der Golfstaaten und ihr Werben um internationale Unterstützung in Fortschritte bei den Menschenrechten ummünzen, also die verqueren Vorzeichen in eine Win-Win-Situation zu verwandeln; mehr internationale Anerkennung für die Golfstaaten für besseren Grundrechteschutz in der Region.
Ein erster Schritt wäre die Unterzeichnung des Rom-Statuts durch Katar
Doch Menschenrechtsexpertin Legner ist skeptisch, inwieweit das Brüsseler Spiel über Bande in der Region verfangen kann: »Katar ist ein Sonderfall. Aber Ich weiß nicht, ob die anderen Golfstaaten sich überhaupt unter Druck setzen lassen«, sagt sie. »Wenn man die Massenhinrichtungen in Saudi-Arabien betrachtet, scheint den Saudis ihr Image relativ egal zu sein. Auch die Emiratis, denen ihr Image wesentlich wichtiger ist, leisten sich regelmäßig Fauxpas, ich denke da zum Beispiel an den Fall Matthew Hedges«, ergänzt Legner.
Tut sich die EU also einen Gefallen damit, als Sponsor solcher PR-Veranstaltungen aufzutreten? Brenda Hollis glaubt das. Die Juristin versinkt beim Interview mit zenith fast in einem goldenen Armstuhl im Louis-XIV-Stil. Mit weißem Kurzhaarschnitt und grobgestrickter Baumwollbluse strahlt sie die Aura einer gütigen Schulrektorin aus. Hollis muss längst nicht mehr streng auftreten, damit man ihr zuhört. Sie hat den liberianischen Ex-Diktator Charles Taylor und den serbischen Kriegsverbrecher Duško Tadić gejagt und war Chefanklägerin des UN-Sondergerichtshofes für Sierra Leone.
Die Juristin glaubt, dass die goldenen Zeiten im globalen Kampf für Menschenrechte vorbei seien. Statt der wertebasierten Politik der 1990er und früher 2000er-Jahre würden wir ein globales Comeback der Realpolitik erleben. Da wäre es zu einfach, die katarische Menschenrechtsoffensive vorschnell zum Scheitern zu verurteilen, nur weil dahinter auch andere Überlegungen als die Sorge um Menschenrechte stecken könnten. »Ob es nur darum geht, Katar auf internationaler Bühne mehr Legitimation zu geben, sagt nichts über die Sinnhaftigkeit dieser Konferenz aus«, meint Hollis. Wichtig sei in diesen Zeiten stattdessen, nach konkreten Ergebnissen zu fragen.
Ein erster Schritt wäre die Unterzeichnung des Rom-Statuts durch das Emirat. Realpolitik hieße dann, dass auch eine Menschenrechtskonferenz im Ritz-Carlton Gutes bewirken könnte. Die internationale Gemeinschaft kann Katar von nun an beim Wort nehmen.