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Interview mit Raz Zimmt über Iran und den Wahlkampf in Israel

»Netanyahu will nicht für den Krieg verantwortlich gemacht werden«

Interview
Interview mit Raz Zimmt über Iran und den Wahlkampf in Israel
Benjamin Netanyahu und Wolfgang Ischinger während der Münchener Sicherheitskonferenz 2018 Kuhlmann / MSC

Die Fronten am Golf verhärten sich weiter – und »Bibi» hüllt sich in Schweigen. Raz Zimmt von der Universität Tel Aviv erklärt im Interview, welche Rolle das Thema Iran im Wahlkampf spielte und wie Teheran auf Netanyahus Verhaftung reagieren würde.

zenith: Verfügt Teheran – auch angesichts der iranischen Präsenz in Syrien – momentan über die Kapazitäten, Israel anzugreifen?

Raz Zimmt: Ich glaube nicht, dass Iran momentan einen Krieg anstrebt. Weder mit Israel, noch mit den USA. Iran wird Israel nicht angreifen, solange sich Jerusalem ruhig verhält. Aber Teheran hat die Hizbullah nicht allein zur Unterstützung der iranischen Operationen in Syrien mit Waffen beliefert. Es geht darum, im Falle eines israelischen Angriffs auf Iran vom Südlibanon aus entsprechend stark reagieren zu können.

 

Ist es ein Krieg zwischen Israel und Teherans Verbündeten wahrscheinlicher als eine direkte Konfrontation?

Atomwaffen, Langstreckenraketen und die Unterstützung von Terrorgruppen – das fürchtet Israel am meisten. Solange Iran seine militärische Präsenz in Syrien ausbaut und die Hizbullah weiter Waffen aus Teheran bezieht, werden das Risiko einer Fehlkalkulation und die Aussicht auf eine militärische Konfrontation bestehen bleiben. Je mehr Druck die USA auf Iran ausüben, desto mehr wird Teheran auf Stellvertreterkräfte in der Region zurückgreifen, etwa die schiitischen Milizen im Irak und die Huthi-Rebellen im Jemen. Und dann ist da noch der Islamische Dschihad in Gaza, der dann wohl anstelle der Hizbullah gegen Israel ins Feld geschickt wird. Denn ein Angriff durch die Hizbullah würde die volle Konfrontation mit Israel bedeuten. Und das liegt nicht im Interesse Teherans.

 

Die Gefahr der Raketenangriffe geht also nur von Libanon aus und nicht direkt von Iran?

Sowohl als auch. Irans Langstreckenraketen können Israel theoretisch direkt treffen. Aber es stimmt, Israel betrachtet die militärischen Kapazitäten der Hizbullah mit schätzungsweise zwischen 100.000 und 150.000 Raketen – zum Großteil aus Iran – als große Bedrohung. Besonders beunruhigt Israel, dass Iran daran arbeitet, die Treffsicherheit dieser Geschosse zu verbessern.

 

Stellen der Islamische Dschihad und die Hamas in Gaza vor diesem Hintergrund eine vergleichsweise kleine Bedrohung für Israel dar?

Die Gefahr aus Gaza ist nicht mit der Bedrohung durch die Hizbullah vergleichbar. Die Angriffe der Hamas und des Islamischen Dschihad sind tendenziell taktischer Natur. Die beiden Gruppen im Gaza-Streifen unterscheiden sich aber in mehrerer Hinsicht: Der Islamische Dschihad ist kleiner, Iran treu ergeben und gewissermaßen der klassische Stellvertreter Teherans in der Region. Die Hamas ist viel unabhängiger. Zwar haben sich die Beziehungen zum Regime in den vergangenen Jahren verbessert, trotzdem tanzt die Hamas nicht so sehr nach Teherans Pfeife wie der Islamische Dschihad.

 

»Selbst die Arbeiterpartei würde der ›Strategie des maximalen Drucks‹ zustimmen.«

 

Netanyahu hat gerade in den Monaten vor den Parlemtswahlen im April immer häufiger vor Iran gewarnt. War die Drohkulisse ein Wahlkampf-Manöver?

Netanyahu ist Politiker und ich habe keinen Zweifel daran, dass wenigstens ein Teil seiner Iran-Strategie der eigenen Machtsicherung dienen sollte. Er kann das Thema nutzen, um sich der israelischen Gesellschaft als einzigen Politiker zu präsentieren, der in der Lage ist, Iran die Stirn zu bieten. Dennoch – und ich bin kein Jünger Netanyahus – glaube ich, dass er Iran tatsächlich als existentielle Bedrohung des Staates Israel ansieht und ihn nicht allein der Wahlkampf zu den entsprechenden Aussagen trieb. Er betrachtet Iran als Regionalmacht, die ihren Einflussbereich und militärische Präsenz in Syrien und um Israel herum ausbauen will und ist davon überzeugt, dass Iran Atomwaffen anstrebt – und damit liegt er richtig. Ich stimme ihm darin zu, dass vom iranischen Regime eine ernstzunehmende Gefahr für die Sicherheit des Staates Israel ausgeht. Dennoch gefällt mir diese alarmierende Haltung oft nicht. Ständig wird von der Stärke Irans geredet und Teherans Plänen, sich im gesamten Mittleren Osten breitzumachen. Selten erwähnt jemand auch mal Teherans Probleme bei der Umsetzung dieser Vorhaben.

 

Momentan hüllt sich Netanyahu in Bezug auf Iran jedoch wieder in Schweigen.

Das liegt daran, dass die US-Regierung aus seiner Sicht einen sehr viel besseren Job macht, als er das selbst könnte. Es gibt keinen Grund für ihn, sich einzumischen. Netanyahu will nicht derjenige sein, der am Ende für einen Krieg verantwortlich ist.

 

Spielt das Thema Iran in der Regierungsbildung in Israel noch eine Rolle? Während des Wahlkampfes hatte Netanyahu seinem Herausforderer Benny Gantz und dessen Partei Kachol Lavan immer wieder eine lasche Haltung gegenüber Teheran vorgeworfen.

Zwar lehnt Gantz weitere Annexionen im Westjordanland ab und ist offen gegenüber einer Koalition mit den arabischen Parteien. Aber im Großen und Ganzen unterscheiden sich Kachol Lavan und der Likud in der Palästina-Frage kaum. Und was Iran betrifft, sehe ich überhaupt keinen Unterschied. Ich hätte erwartet, dass Kachol Lavan, Gantz oder auch die sogenannte Linke – die in Israel tatsächlich eher in der politischen Mitte steht – Trumps Rückzug vom Atomabkommen (JCPOA) oder auch nur den gewählten Zeitpunkt für diesen Schritt in Frage stellt. Gantz hat nichts dergleichen getan. Selbst die Arbeiterpartei würde der »Strategie des maximalen Drucks« zustimmen. Iran ist in Israel zwar ein Thema, über das dauernd diskutiert wird, aber letztlich beruht die Debatte auf Konsens. Das gesamte Spektrum zionistischer Parteien in Israel stimmt darin überein.

 

»Wenn Netanyahu sich zu Iran äußert, ist es schwierig für die Medien hier, seine Aussagen zu überprüfen.«

 

Wie steht es mit den religiösen Parteien, die immer mehr Stimmen für sich gewinnen?

Die meisten religiösen Parteien, vor allem die Ultraorthodoxen, sind kaum an außenpolitischen Themen interessiert. Deswegen widersprechen sie Netanyahus Iran-Strategie nicht. Die linke Partei Meretz ist als einzige der etablierten zionistischen Parteien noch kritisch angesichts der Politik des Premiers gegenüber Teheran. Natürlich gibt es noch linke nicht-zionistische Parteien, die so denken. Die sind aber kaum repräsentativ für die israelische Linke im Allgemeinen.

 

Wenn also die größten Parteien letztlich einstimmig an das Thema Iran herangehen, wie ist das mit den israelischen, in hebräischer Sprache veröffentlichten Medien? Werden auch kritische Stimmen – wie die von Sicherheitsexperten –berücksichtigt?

Die israelische Berichterstattung über Iran hat ein Problem. Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass irgendein Medium die iranische Bedrohung an sich beschönigen würde. Einige Stimmen, gerade in linkeren Zeitungen wie Haaretz, werfen Netanyahu vor, die Iran-Gefahr zu übertreiben. Aber problematisch ist, dass die israelische Iran-Berichterstattung entweder in den Händen der sogenannten »Korrespondenten für arabische Angelegenheiten« liegt – und die sprechen kein Persisch –, oder in den Händen der »Korrespondenten für Außenpolitik«, die sich hauptsächlich auf internationale Quellen stützen. Beide Gruppen können gar nicht wissen, was in Iran tatsächlich vor sich geht. Ihre Informationsbeschaffung erfolgt über die arabische, die internationale englischsprachige Presse oder über israelische Politiker. Wenn Netanyahu sich zu Iran äußert, ist es schwierig für die Medien hier, seine Aussagen zu überprüfen.

 

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Nach Abschluss des Atomabkommens traten große Uneinigkeiten zwischen Netanyahu und dem Sicherheitsapparat zutage. Denn dort teilte man die Einschätzung des Premiers nicht, dass es sich um den schlechtesten Deal aller Zeiten handeln sollte. Das Thema wurde kurz medial aufgegriffen und war dann sehr schnell wieder vom Tisch. Fakt ist: In den israelischen Medien findet keine wirkliche Debatte über das Für und Wider des Abkommens oder die Größe der Bedrohung aus Iran und Syrien statt.

 

»In Teheran hofft man auf einen Amtswechsel im Weißen Haus, aber Khamenei ist überzeugt, dass die USA stets auf einen Regime-Wechsel in Iran drängen werden – egal, wer Präsident ist.«

 

In den sozialen Medien häufen sich in der letzten Zeit Video-Botschaften von Iranern an Israelis und andersherum, die sich gegenseitig ihre Solidarität versichern. Wie sieht die israelische Gesellschaft die Iraner?

Der durchschnittliche Israeli hat nichts gegen Iran als Land oder als Kultur. Die meisten von ihnen erinnern sich noch an die Zeit, in denen beide Länder enge Beziehungen pflegten. Einige Israelis verehren die Iraner regelrecht. Sie sagen: »Perser sind keine Araber und wir haben keine territorialen Kämpfe mit ihnen auszutragen«. In Israel betrachtet man die Iraner als Opfer ihres eigenen Regimes. Die Menschen wissen, dass die iranische Gesellschaft selbst sich von ihrer Regierung eine andere Politik gegenüber Israel wünscht.

 

Bestehen denn tatsächlich Verbindungen zwischen Iranern und Israelis – über die sozialen Netzwerke hinaus?

Das ist zum Großteil ein Phänomen im virtuellem Raum. Allerdings sind auch viele Juden aus Iran nach Israel eingewandert und halten die familiäre Bindungen aufrecht. Jüdisch-iranische Denker, Schauspieler und Schriftsteller hatten die persische Kultur im Gepäck. Auch in der Wissenschaft existieren einzelne Kooperationsprogramme zwischen beiden Ländern. Aber abgesehen von diesen wenigen Fällen besteht keine wirkliche Verbindung zwischen der israelischen und iranischen Gesellschaft.

 

Wie würde die iranische Presse darauf reagieren, wenn Netanyahu tatsächlich wegen Korruption schuldig gesprochen würde und sein Amt ablegen müsste?

Sie würde Netanyahus Abgang feiern, denn in den Augen des Regimes verkörpert er die harte Position gegenüber Teheran und steckt letztlich hinter den US-Sanktionen – und da ist was dran. Aber Irans Medien würden nicht davon ausgehen, dass Benny Gantz als Premierminister eine neue Strategie gegenüber Iran wählen würde. Als er als Spitzenkandidat für Kachol Lavan antrat, hat die iranische Presse ihn als Verantwortlichen für Israels vermeintliche Gräueltaten gegenüber den Palästinensern dargestellt. Es ist ähnlich wie mit den USA: Zwar hofft man in Teheran auf einen Amtswechsel im Weißen Haus, aber Khamenei ist überzeugt, dass die Vereinten Staaten stets auf einen Regime-Wechsel in Iran drängen werden – egal, wer Präsident ist. Das gleiche gilt für uns: Auch mit Benny Gantz als Premier würde sich nichts an der iranischen Politik gegenüber Israel ändern.



Raz Zimmt ist Iran-Experte am israelischen Institute for National Security Studies und lehrt an der Universität von Tel Aviv.

Von: 
Luisa Seutter

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