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Diplomatie, Russland und die Türkei in Libyen

Europa muss in Libyen seine Hausaufgaben machen

Analyse
Diplomatie, Russland und die Türkei in Libyen
Erdoğan und Putin kochen ihr eigenes Süppchen in Libyen. Was kann Europas Diplomatie dem entgegensetzen? Kreml

Die Berliner Konferenz vor genau einem Jahr sollte die Friedensverhandlungen in Libyen voranbringen. Dann schufen Ankara und Moskau Fakten in dem nordafrikanischen Land. Welche Optionen bleiben Europas Diplomatie nun noch?

Zwölf Monate sind vergangen, seit die deutsche Diplomatie mit ihrer ersten Berliner Libyen-Konferenz einen Vorstoß zur Beilegung des andauernden Krieges unternahm. Auf Einladung von Bundeskanzlerin Merkel kamen im Januar 2020 Staats- und Regierungschefs sowie Außenminister aus elf Ländern – darunter Schwergewichte wie die Präsidenten Erdoğan und Putin – zusammen und einigten sich darauf, die Bemühungen des UN-Sondergesandten um einen innerlibyschen politischen Prozess zu unterstützen sowie das UN-Waffenembargo zu stärken.

 

Wo steht Libyen ein Jahr nach dem deutschen Engagement, welches die Presse zuweilen als »Durchbruch« und »diplomatischen Erfolg« feierte?

 

Die Aussichten für eine Rückkehr zu nachhaltiger Stabilität in Libyen bleiben heute düster. Zwar erlitt General Khalifa Haftar im Frühsommer 2020 eine Niederlage in Westlibyen, gebeutelt von Gegenschlägen durch Verbände der Regierung der Nationalen Einheit (GNA), welche die Türkei – die im letzten Winter ihr Eingreifen in den Konflikt eskalierte – massiv unterstützte.

 

Von Sirte bis Al-Jufra stehen sich die Kräfte der GNA und Haftars Truppen nach wie vor gegenüber.

 

Zudem laufen seit dem Herbst direkte Gespräche zwischen militärischen Vertretern der libyschen Konfliktparteien im »5+5«-Format, die im Oktober in einen formalen Waffenstillstand mündeten, sowie der Libysche Politische Dialog (LPDF). Diese Versammlung einigte sich erst Anfang dieser Woche auf ein Verfahren, durch das eine Einheitsregierung bestimmt werden soll, was als Voraussetzung für Wahlen im Dezember gilt.

 

Die Bundesregierung unterstützt diese Gespräche und Bemühungen der zuständigen UN-Mission UNSMIL nach Kräften. UNSMIL sieht sich jedoch mit einer komplexen Aufstellung externer Akteure konfrontiert, die durch ihr Ringen um Loyalitäten und Einflusszonen die Chancen für eine politische Lösung schmälern – und zuweilen eigene diplomatische Initiativen schmieden: von Russland über Marokko bis Ägypten.

 

Vor allem Russland, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und die Türkei haben 2020 ihren Einfluss in Libyen gefestigt. Entlang der Frontlinie von der Küstenstadt Sirte bis zur Luftwaffenbasis Al-Jufra in Zentrallibyen stehen sich nach wie vor Kräfte der GNA und Haftars Truppen – unterstützt vor allem durch Russland, Ägypten und die VAE – gegenüber.

 

Das russische Außenministerium versucht regelmäßig, der UN-Diplomatie Steine in den Weg zu legen.

 

Wie schwierig es ist, das in Berlin bekräftigte Waffenembargo durchzusetzen, zeigte zuletzt der deutsch-türkische Eklat im November, als die Türkei eine deutsche Fregatte im östlichen Mittelmeer an der Inspektion eines Frachters hinderte. Emiratische und türkische Drohnen, russische MiG-29-Kampfjets, die russische Gruppe Wagner sowie syrische Söldner sind lediglich die prominentesten Instrumente, die die externen Akteure in Libyen heute zum Einsatz bringen.

 

Die vereinbarte Frist zum Abzug aller ausländischen Kämpfer aus Libyen bis zum 23. Januar scheint utopisch vor dem Hintergrund dieses Potpourri an militärischen Mitteln. Und die Entscheidung des türkischen Parlaments kurz vor Weihnachten, den Einsatz der Armee in Libyen um weitere 18 Monate zu verlängern, wird man auch in Abu Dhabi, Kairo und Moskau registriert haben.

 

Während sich türkische und russische Diplomaten zudem höflich zur Unterstützung der UNSMIL-Bemühungen bekennen, entsteht doch derweilen der Eindruck, dass Ankara und Moskau ihr eigenes Süppchen kochen – wie auch in ihren bilateralen Gesprächen zu Syrien und Bergkarabach. Obwohl ein verfestigtes russisch-türkisches Kondominium in Libyen aufgrund des Widerstands anderer Akteure unwahrscheinlich scheint, besprechen hochrangige Diplomaten beider Seiten doch erstaunlich häufig die Lage in Tripolis und Tobruk, wie zuletzt in Sotschi kurz vor Jahresende.

 

Gleichzeitig versucht das russische Außenministerium regelmäßig, der UN-Diplomatie Steine in den Weg zu legen, ob durch Kritik an der Auswahl der LPDF-Teilnehmer oder Zweifelsbekundungen an der Zweckmäßigkeit der für Dezember geplanten Wahlen. Zudem kultiviert Russland eigene Beziehungen zu verschiedenen libyschen Akteuren, um sich Einfluss zu sichern, egal wohin der machtpolitische Wind in Libyen zukünftig weht.

 

Die entscheidenden externen Akteure bleiben merklich unbeeindruckt von internationalen Mediationsversuchen.

 

Da Russland offiziell jegliche militärische Präsenz in Libyen leugnet, und so glaubhafte Abstreitbarkeit (plausible deniability) wahrt, bieten sich Moskau breite Möglichkeiten der Einflussnahme, auch in Libyens Energie- und Finanzpolitik.

 

Und hier arbeitet man längst nicht mehr nur mit Haftar zusammen, sondern bemüht sich stattdessen, die Loyalität alternativer libyscher Akteure zu kultivieren und auszuweiten: von Parlamentspräsident Aguila Saleh, über den ehemaligen Premierminister Ahmed Miitig aus Misrata, bis hin zu Anhängern des ehemaligen Gaddafi-Regimes.

 

Das US-Afrika-Kommando (AFRICOM) hat sich im vergangenen Jahr mehrfach besorgt über Russlands Anstreben permanenter Militärstützpunkte an der Südflanke der NATO geäußert, und zudem angedeutet, dass emiratische Gelder zur Finanzierung der Gruppe Wagner beitragen könnten.

 

Und so bleiben, trotz der ehrlichen Bemühungen Deutschlands im Rahmen des Berliner Prozesses, die entscheidenden externen Akteure merklich unbeeindruckt von internationalen Mediationsversuchen und Plädoyers. Es gelang vor allem Russland und der Türkei – deren Einfluss ein politisches Abkommen einschränken würde, weswegen sie die Fortsetzung des Konfliktes auf Sparflamme präferieren – ein Vakuum in Libyen zu füllen.

 

Wieviel Aufmerksamkeit wird Joe Biden dem Libyen-Dossier zuwenden?

 

Dieses Vakuum entstand durch Europas Uneinigkeit (etwa Frankreichs Politik der Unterstützung Haftars), unzureichenden internationalen Druck auf die VAE, Ägypten und Russland sowie monatelanges amerikanisches Desinteresse. Mittlerweile erscheint das amerikanische Kalkül, also Libyen als Nullsummenspiel mit Russland zu betrachten und auf eine komplette Zerschlagung der russisch-türkischen Kollaboration (great power competition) zu hoffen, deswegen kaum als realistische Option.

 

Die dermaßen verfahrene Lage und Komplexität der externen Einflüsse sollten davon abhalten, die Architekten des Berliner Prozesses mit erhobenem Zeigefinger zu kritisieren und mit pauschalen Alternativvorschlägen zu belehren. Es scheint jedoch unbestreitbar, dass Uneinigkeit zwischen europäischen Staaten, insbesondere Deutschland, Frankreich und Italien, deren Glaubwürdigkeit auch in den Augen der Libyer stark untergraben hat.

 

Zwischen Russland und der Türkei ist zwar auch nicht immer alles Gold, was glänzt, aber wenn es darauf ankommt, schaffen Moskau und Ankara gemeinsam Fakten. Es bleibt nun abzuwarten, ob der neue US-Präsident Joe Biden dem Libyen-Dossier größere Aufmerksamkeit zuwendet.

 

Das könnte einen entscheidenden Unterschied machen, wenn man davon ausgeht, dass die Interessen der in Libyen präsenten externen Akteure unvereinbar bleiben. Angesichts der Palette an innen- und außenpolitischen Baustellen, die sich der neuen US-Administration bieten, ist ein Wiederbeleben der amerikanischen Libyenpolitik jedoch kaum zu erwarten. Also wird Europa weiter seine Hausaufgaben machen müssen.


Hanna Notte ist promovierte Politikwissenschaftlerin und arbeitet als Forscherin bei der Denkfabrik »James Martin Center for Nonproliferation Studies« (CNS) in Washington (zurzeit aus Berlin) zu sicherheitspolitischen Themen mit Nahost- und Russlandbezug, und deren Implikationen für Europa und die USA.

Von: 
Hanna Notte

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