Die Rückeroberung Mossuls vom »Islamischen Staat« (IS) wäre ein Triumph. Für US-Präsident Obama, die irakische Armee, schiitische und kurdische Milizen. Doch die Streitkräfte fürchten einander mehr als den Gegner, den sie eigentlich bekämpfen.
Es ist zurzeit nicht leicht, aus Mossul herauszukommen. Abu Sara hat es dennoch geschafft: »Wir haben in Mossul so lange gewartet, aber die irakische Armee ist nicht gekommen. Warum, das haben wir nicht verstanden«, sagt der 36-jährige Familienvater, der nun einem Lager in Syrien untergebracht ist. Im Mai 2016 flohen 4.200 Iraker nach Syrien. Unter ihnen auch Akram Obeid: »Wir sind geflohen, weil wir Angst hatten, dass der IS uns festnimmt. Es gibt keine Jobs mehr in Mossul und das Kilo Tomaten kostet vier Dollar.«
Seit Monaten ist in Bagdad und Washington die Rede davon, dass der Sturm auf Mossul bevorsteht. Die Rückeroberung der De-Facto-Hauptstadt des selbsternannten »Islamischen Staates« (IS) im Irak wäre eine wichtige Trophäe für Präsident Barack Obama und den irakischen Premier Haider Al-Abadi. Doch der Zeitplan für die Einnahme der zweitgrößten irakischen Stadt wird immer weiter nach hinten verschoben. Währenddessen verschlechtert sich die Lage der Zivilisten in Mossul. Arbeitsplätze fehlen, auch weil die irakische Regierung die Bezahlung ihrer Beamten in Mossul gekürzt hat. Dienstleistungen sind nur noch eingeschränkt zugänglich. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen erwartet, dass in den nächsten Wochen weitere 50.000 Menschen aus Mossul nach Norden über die Grenze zu Syrien fliehen könnten und mindestens 30.000 nach Süden in Richtung Makhmur, das von kurdischen Peschmerga kontrolliert wird.
Es gibt zu wenige kampfbereite Soldaten
Im Flüchtlingslager in Al-Hawl in Syrien sagt Abu Sara, er glaube, dass die Bewohner Mossuls den Einmarsch der Armee begrüßen werden. »Aber sie dürfen nicht allen Sunniten vorwerfen, dass sie zum IS gehören!« Er selbst hält nichts vom IS, sagt Abu Sara: »Das sind Mörder und Kriminelle. Wenn du rauchst, bringen sie dich um. Das sind fürchterliche Menschen.« Abu Sara hofft, dass der IS aus Mossul vertrieben wird, gleichzeitig hat er Angst davor, was passiert, wenn der Sturm auf die Stadt beginnt: »Was passiert dann mit meinen Kindern?«, fragt er. Wegen seiner Kinder sei er nach Syrien geflüchtet.
Wann die Offensive wirklich beginnt, ist noch unklar. Ende März hat die irakische Armee nahe Makhmur mit ihren Operationen begonnen – mit Geländegewinnen soll der Boden geebnet werden für den Sturm auf Mossul. Bislang kann man nicht gerade von einem Erfolg sprechen. Von Makhmur aus – rund 100 Kilometer südlich von Mossul – hat die irakische Armee bis Ende Mai erst sieben Dörfer erobert. Der Kampf um Mossul könnte mehr als sechs Monate dauern, möglicherweise auch mehr als ein Jahr. Die Gründe: Es gibt zu wenige kampfbereite Soldaten – die von den USA unterstützte Armee und schiitische Freiwilligeneinheiten der »Haschd Al-Schaabi« sind in der Schlacht um Falludscha gebunden. Und schon jetzt zeigt sich, wie viele verschiedene politische Gruppen um Einfluss in Mossul ringen: Schiitische Milizen aus Badgad, die vom Iran unterstützt werden, kurdische Peschmerga, die irakische Armee und sunnitische Milizen mit Verbindungen zur türkischen Regierung.
An der Front sind irakische Soldaten stationiert, mit schweren Waffen, die die ihnen die US-Armee geliefert hat. Trotz der Ausbildung und der Luftunterstützung durch die von den USA angeführte Koalition ist die Moral bei den irakischen Truppe schlecht. Davon zeugen zwei Fälle, in denen irakische Soldaten ihre Positionen fluchtartig aufgegeben haben. »Immerhin kommt die Armee inzwischen etwas voran. Aber innerhalb des Militärs traut niemand dem anderen, es gibt keine Loyalität«, sagt Sirwan Barzani, der lokale Peschmerga-Kommandeur in Makhmur. Um dann hinzuzufügen: »Wenn das meine Operation wäre, dann würde das alles viel schneller laufen.« Was dafür notwendig wäre, skizziert er gegenüber zenith: »Die Armee muss sich besser organisieren, einen neuen Plan entwickeln und gleichzeitig von drei verschiedenen Seiten angreifen.«
Sunniten, Schiiten, Turkmenen oder Araber: Alle sollen den IS zerstören und danach sollen alle wieder abziehen.
Die von den USA angeführte Koalition hat bereits eingestanden, dass es Probleme gebe mit der irakischen Armee an der Makhmur-Front. »Wir hatten Schwierigkeiten mit einigen Anführern, die Aggressivität vermissen lassen haben«, teilte Oberst Steve Warren, der Sprecher der Operation »Inherent Resolve«, im April mit. Ermutigend sei aber, dass »das in den höheren Rängen der irakischen Armee angekommen ist und die betroffenen Kommandeure gefeuert wurden«. Die irakischen Streitkräfte machen auch die militärische Taktik des Gegners verantwortlich für ihr langsames Vorrücken: Im Dorf Kharbardan, das die Armee im Mai eingenommen hat, wurden mehrere Tunnel gefunden, die der IS gegraben hatte. »Wir haben genügend Leute, aber wir müssen die Dörfer sorgfältig von Minen säubern und auf Scharfschützen achten. Der IS stellt keine Macht mehr da und kann nicht mehr direkt gegen uns kämpfen, deswegen setzt er auf Selbstmordattentäter und improvisierte Sprengfallen«, sagt Arif Hussein, ein Offizier der 15. Artillerie-Division der irakischen Armee, gegenüber zenith.
Kurdische Peschmerga-Kämpfer haben für die spärlichen Erfolge der Armee häufig nur Spott über. »Wir würden das Dorf in zwei Stunden einnehmen«, lästert einer. Die Peschmerga haben die Kontrolle über Makhmur – sie unterstützen die Armee eher widerwillig. Auf amerikanischen Druck hin haben sie es überhaupt zugelassen, dass Truppen aus Bagdad nach Makhmur gekommen sind. Kommandeur Barzani macht deutlich, dass die kurdische Kontrolle über Makhmur nicht angefochten werden darf: »Wer an der Front ist und kämpfen will, das ist mir egal. Sunniten, Schiiten, Turkmenen oder Araber – alle sollen Daesh (das arabische Akronym für den IS, Anm. d. R.) zerstören.« Danach aber sollen sie wieder abziehen: »Ich will nicht, dass sie auf meinem Gebiet bleiben und Probleme machen.«
Eigentlich sollte der Sturm auf Mossul im Sommer beginnen, nun verdichten sich aber die Anzeichen, dass es noch länger dauern könnte. US-Generalmajor Gary J. Volesky, der Kommandeur der US-Landstreitkräfte im Irak, blickte am 11. Mai in einer Pressekonferenz voraus: »Umso mehr wir uns Mossul annähern, umso mehr wird sich die Konfrontation verschärfen.« Die US-Regierung von Präsident Obama wünscht sich einen Erfolg vor den Präsidentschaftswahlen am 8. November. Obama will seinem Nachfolger ein Erbe hinterlassen: die Zerstörung des IS durch die Koalition, die er geschmiedet hat. Aber die Operation braucht Zeit – betont General Volesky: »Wir haben es in Ramadi gesehen, dort hat es sechs Monate gedauert, um die Stadt einzunehmen und der IS hatte sich dort nur wenige Monate eingenistet. In Mossul ist er seit zwei Jahren. Außerdem ist Mossul drei Mal so groß wie Ramadi.«
Die Sunniten in der Region fürchten die Brutalität schiitischer Milizen
Experten halten die Bedingungen, um Mossul zu stürmen, für längst nicht gegeben. Für die Operation brauche man 30.000 Soldaten, bislang beträgt die Truppenstärke der irakischen Armee an der Makhmur-Front aber gerade 4.500. Der US-amerikanische Geheimdienst-Koordinator James Clapper zweifelte sogar an, dass der Kampf um Mossul noch in diesem Jahr entschieden werde. Der Washington Post sagte er im Mai, er erwarte nicht, dass der IS aus der Stadt vor Ablauf von Oba,as Amtszeit vertrieben sei.
Nicholas Heras forscht am »Center for A New American Security« in Washington über die Region. Gegenüber zenith meint er: »Die Operation kommt nur so langsam voran, weil die irakischen Streitkräfte immer noch Schritt für Schritt aufgebaut werden, um eine groß angelegte Aktion wie die Befreiung Mossuls durchführen zu können. Der von den USA angeführten Koalition ist es wichtig, dass sunnitische Kräfte, im besten Fall als Teil der irakischen Armee, Mossul einnehmen.« Bislang sei es jedoch nur zu selten geglückt, irakische Sunniten zu rekrutieren, sagt Heras. Der Hauptgrund für die Vorbehalte unter den Sunniten sei die zentrale Rolle, die von der iranischen Revolutionsgarde unterstützten Milizen, insbesondere die »Haschd Al-Schaabi«, im Kampf gegen den IS spielten.
Vor zwei Jahren, als Kämpfer des IS Mossul eroberten, wurden sie von großen Teilen der Bevölkerung willkommen geheißen. Die von Schiiten dominierte irakische Armee war verhasst und wurde für Unterdrückung, für die vielen Checkpoints in der Stadt und für willkürliche Verhaftungen verantwortlich gemacht. Sunnitische Araber fürchten nun die Rückkehr schiitischer Milizen. »Wir müssen uns mit den sunnitischen Stämme friedlich auseinadersetzen, um ihre Bindungen zum IS aufzulösen«, sagt Hassan Al-Sabawi, ein Mitglied des Gouvernement-Rates von Niniveh, denn »die Menschen werden es nicht akzeptieren, wenn hier Truppen aus dem Südirak einmarschieren.«
Ein 22-Jähriger IS-Kämpfer, der von den Kurden gefangen genommen wurde, wird im Gespräch mit zenith noch deutlicher: »Die Leute könnten mit Peschmerga-Einheiten leben, aber nicht mit schiitischen Milizen. Die würden die Stadt plündern und alle töten, so wie in Tikrit«, sagt der junge Mann in seiner Zelle. Vertreter von bewaffneten schiitischen Gruppen weisen den Vorwurf des Konfessionalismus zurück: »Sunniten sind unsere Brüder. Wir unterhalten Beziehungen zu ihnen und es gibt Mischehen«, sagt Abu Tahir Bashiri, ein hochrangiges Mitglied einer schiitischen Miliz in Kirkuk.
Wladimir van Wilgenburg ist freier Journalist und Analyst für die Jamestown Foundation. Er lebt und arbeitet in Erbil. Für das »Iraq Institute for Strategic Studies« betreibt er zurzeit Feldforschung in den kurdischen Gebieten in Syrien.
Auch bei den Peschmerga bestehen große Vorbehalte, selbst in Mossul einzumarschieren. Und so wächst die Gefahr einer Konkurrenz zwischen schiitischen und sunnitischen Kräften: Die einen werden vom Iran unterstützt, die anderen von der Türkei. Atheel Al-Nujaifi, der ehemalige Gouverneur von Mossul, hat versucht, eine 2.000 Mann starke Einheit für den Kampf gegen den IS aufzustellen. Zahlreiche Kämpfer, die aus der Region kommen, wurden – sehr zum Missfallen der Regierung in Bagdad – von der türkischen Armee ausgebildet. Agid Kalari, ein Kommandeur der kurdischen PKK, behauptet: »Mit diesen Truppen will die Türkei nach Mossul kommen, um den IS zu bekämpfen und um sich ihren Einfluss zu sichern.« Aber auch die PKK will beim Kampf um Mossul mitmischen: mit 1.500 Kämpfern einer kurdisch-jesidischen Einheit, die mit der PKK verbündet sind. Gleichzeitig bestehen die schiitischen Milizen darauf, auch am Sturm auf Mossul mitzuwirken – trotz des Widerstands der von den USA angeführten Anti-IS-Koalition und der Regierung unter Premierminister Abadi. Die politische Konkurrenz, das zeichnet sich jetzt schon ab, wird es auch in Zukunft schwierig machen, Mossul zu regieren.