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Die Achse Washington-Riad in Zeiten von MBS und Trump

Szenen einer Ehe

Analyse
Die Achse Washington-Riad in Zeiten von MBS und Trump
Illustration: Hadinugroho&Lesprenger

Die saudisch-amerikanischen Beziehungen wirken stabil. Doch längst hat sich ein Graben zwischen Washington und Riad aufgetan, der nur von der Freundschaft wankelmütiger Männer und ihrem gemeinsamen Feind kaschiert wird.

Als Abdulaziz Ibn Saud, der erste König Saudi-Arabiens, im Februar 1945 in der Hafenstadt Dschidda ein amerikanisches Kriegsschiff besteigt, um den damaligen US- Präsidenten Franklin D. Roosevelt zu treffen, bringt er eine Herde Schafe mit an Bord. Der Auftritt des 69-jährigen Regenten ist bizarr, aber er und Roosevelt verstehen sich gut. Der Präsident schenkt dem König einen Rollstuhl und eine DC-3-Propellermaschine.

 

So beginnt nicht nur die Geschichte der Fluglinie Saudi Arabian Airlines, sondern auch die längste politische Zweckehe der jüngeren Geschichte. Sie überlebt den Kalten Krieg, den 11. September und den Arabischen Frühling. Doch spätestens seit dem Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi steckt sie in der Ehekrise. Saudi-Arabien, langjähriger US-Partner im Nahen Osten, gilt jetzt als Land, das Dissidenten in Einzelteile zersägen lässt, einen nutzlosen Krieg im Jemen vom Zaun bricht und wie ein besoffener Boxer von einem außenpolitischen Fettnäpfchen ins nächste stolpert.

 

Auch wenn Donald Trump unbeirrt dagegen antwittert, ist der saudische Kronprinz Muhammad Bin Salman (MBS) für viele einflussreiche US-Politiker untragbar geworden. Der republikanische Senator Lindsey Graham nannte ihn eine »Abrissbirne«. Und Bruce Riedel, ehemaliger CIA-Analyst und Berater von vier US-Präsidenten, geht noch weiter. »Muhammad Bin Salman«, sagt er im Gespräch mit zenith, »hat eine in der saudischen Geschichte beispiellose Schreckensherrschaft etabliert«.

 

In Dschidda, wo König Ibn Saud einst in See stach, um Roosevelt zu treffen, schlendern heute sogar unverheiratete Paare Seite an Seite über die Corniche. Noch vor wenigen Jahren ein undenkbares Bild.

 

Überraschend ist das nur auf den ersten Blick, existiert der Graben zwischen den Verbündeten bei genauerem Hinsehen bereits länger. Er tat sich ausgerechnet in jener Zeit auf, in der die saudisch-amerikanischen Beziehungen so gut wie selten waren. In einer Zeit, als Saudi-Arabien, das dem Westen über Jahrzehnte als Reich der Finsternis gilt, mit für seine Verhältnisse fast schon radikalen Reformen weltweit Schlagzeilen machte.

 

Es ist der Herbst 2017, MBS ist seit wenigen Monaten Kronprinz seines Landes. Trotz seiner jungen 31 Jahre und dem erst kürzlich übernommenen Amt, scheint er sich auf dem Höhepunkt seiner Macht zu befinden. Viele seiner Konkurrenten hat er bereits aus dem Feld geräumt, die Macht der wahhabitischen Prediger gebrochen und gerade verkündet, das Fahrverbot für Frauen aufzuheben. Ein ehrgeiziges Reformprogramm soll den saudischen Rentierstaat umbauen und seine Abhängigkeit vom sinkenden Ölpreis mindern.

 

In Saudi-Arabien herrschte damals eine aus heutiger Sicht nahezu unheimliche Euphorie. Aktivistinnen, Jungunternehmer, Journalisten und Intellektuelle hoffen auf eine Zeitenwende. »Wir haben lange auf genau so etwas gewartet«, berichtet etwa die Journalistin Samar Fatany, in ihrem Haus im Westen Dschiddas sitzend: »Ich hätte nicht gedacht, dass ich das noch erleben würde.« So wie Fatany denken viele gebildete Saudis. Jahrzehnte der Stagnation haben die Sehnsucht nach Veränderung greifbar gemacht. In Fatanys Heimatstadt Dschidda, wo König Ibn Saud einst in See stach, um Roosevelt zu treffen, schlendern heute sogar unverheiratete Paare Seite an Seite über die Corniche. Noch vor wenigen Jahren ein undenkbares Bild.

 

Trump und König Salman gebärden sich wie befreundete Monarchen. Der Kronprinz und Trumps Schwiegersohn Jared Kushner mimen die jungen Prinzen.

 

Das Saudi-Arabien von MBS, so sein Versprechen, soll ein anderes sein. Ein liberales, moderneres Land, umwölbt von einem weltoffenen Islam. Ein Land, das trotz aller Probleme versucht, seiner Jugend, die über 70 Prozent der Bevölkerung ausmacht, eine Zukunft zu bieten. Die Aussicht auf solch ein Saudi-Arabien, mit dem eine echte Partnerschaft möglich scheint, lockte selbst liberale Amerikaner, wie den früheren Nahost-Korrespondenten der New York Times, Thomas L. Friedmann. Seine Begeisterung für den jungen Kronprinzen scheint echt, nach einem Treffen schreibt er eine regelrechte Hymne auf den neuen starken Mann des Königshauses und redet einem »saudischen Frühling« das Wort.

 

In US-Präsident Donald Trump findet MBS zudem einen auf den ersten Blick nahezu perfekten Partner. Nach Barack Obama, dessen Flirt mit Iran die Saudis verzweifeln ließ, sitzt jetzt ein Hardliner im Weißen Haus. Einer, der auf klare Verhältnisse setzt und seine Außenpolitik strikt entlang amerikanischer Interessen ausrichtet. Er will das Bündnis mit Riad kitten, das durch den Atomdeal mit Iran erschüttert worden war. »Keine der früheren US- Regierungen war dabei so direkt. Aber das ist nun mal Trumps Politik. Er war in dieser Hinsicht immer ehrlich und hat nichts Anderes angekündigt«, analysiert Karen Young vom American Enterprise Institute in Washington.

 

Die Saudis wittern Morgenluft und als Trump im Mai 2017 im Rahmen seiner ersten Auslandreise nach Riad kommt, empfangen sie ihn wie einen König. Der US-Präsident feiert beim traditionellen Schwerttanz und kündigt vollmundig den größten Waffendeal der Geschichte an. Die Fronten sind klar, der gemeinsame Feind steht am anderen Ende des Golfs und heißt Iran. Trump und König Salman gebärden sich wie befreundete Monarchen. Der Kronprinz und Trumps Schwiegersohn Jared Kushner mimen die jungen Prinzen – reich, machtbewusst, zupackend. Angeblich diskutieren die beiden bis in die Morgenstunden. Doch die zur Schau gestellte Harmonie übertüncht lediglich, dass dieses Treffen zweier befreundeter Familienclans in Wahrheit symbolisch für strukturelle Probleme steht, die die anfängliche Traumpartnerschaft heute belasten.

 

Das persönliche Regiment von Trump und Salman schwächt nicht nur die klassischen, außenpolitischen Institutionen Riads und Washingtons, sondern verändert auch die Beziehung zwischen den beiden Ländern.

 

»Die Beziehung zwischen Kushner und dem Kronprinzen wurde wichtiger alle alles andere«, sagt Karen Young. Das habe den institutionellen Beziehungen beider Länder sehr geschadet. »Wenn alles über solche persönlichen Top-Kontakte läuft, verlieren Botschafter und Staatssekretäre an Autorität. Im Vergleich zu vor fünf oder zehn Jahren sind die Kommunikationslinien nach Saudi-Arabien inzwischen ausgedünnt.« Kein Wunder also, dass sich Donald Trump nahezu zwei Jahre Zeit lässt, ehe er Ende 2018 einen Botschafter für Saudi-Arabien ernennt – läuft der direkte Draht doch scheinbar zuverlässig über Kushner.

 

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang vergangenen Jahres sind die sich anbahnenden Probleme noch nicht augenfällig, Amerikaner und Saudis demonstrieren Geschlossenheit. Trump hat sich zu diesem Zeitpunkt, im Februar 2018, bereits auf den Iran-Deal eingeschossen und wird ihn drei Monate später platzen lassen – er und MBS sind sich einig in ihrer Analyse, dass die Wurzel allen Übels in Teheran liegt. »Unsere Beziehungen sind extrem stark. Natürlich haben wir auch Meinungsverschiedenheiten, aber das ist normal. Ich gehe davon aus, dass wir unser Verhältnis noch vertiefen werden«, sagt der damalige Außenminister Adel Al-Jubair, der als ranghöchster Saudi nach München gekommen ist dann auch im Gespräch mit zenith. Jubair hat in eine Suite des Bayrischen Hofs geladen, seine Rede, in der er später am Tag Iran anklagen und den Jemen-Krieg verteidigen wird, liegt bereits fertig in der Schublade. Er ist sich sicher: »Die Trump-Administration steht hinter uns.«

 

Ein Jahr später ist Jubair nicht mehr der Außenminister seines Landes und auch US-Sicherheitsberater H.R. McMaster, der 2018 ebenfalls in München spricht, ist seinen Job los. Donald Trump und MBS haben nicht nur ein ähnliches Gespür für populistische Positionen, auch ihre Personalpolitik ähnelt sich; und ihr persönliches Regiment baut weniger auf Diplomatie, als direkte Kontakte. Das schwächt nicht nur die klassischen, außenpolitischen Institutionen Riads und Washingtons, sondern verändert auch die Beziehung zwischen den beiden Ländern.

 

So formte sich eine erstaunlich resiliente Zweckehe, die so weit ging, dass ein jüdischer US-Außenminister wie Henry Kissinger mit einem König wie Faisal zurechtkam, der Gästen die »Protokolle der Weisen von Zion« zu schenken pflegte.

 

Denn die saudisch-amerikanischen Beziehungen basierten nie auf geteilten Idealen oder echter Freundschaft, sondern auf gegenseitigen Interessen. Sie waren der Kitt, der die Achse Washington-Riad zusammenhielt. Für die Saudis ging es stets um Schutz, erst vor den Briten, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit die maßgebliche imperiale Macht im Nahen Osten waren, später vor Nassers arabischem Nationalismus und nach 1979 schließlich vor Iran und Teherans expansivem Revolutionsislam, von dem die Saudis auch heute noch besessen sind. Die USA erhielten im Gegenzug Öl und das Versprechen regionaler Stabilität. Das antikommunistische Königreich war nach dem Sturz des Schahs neben Israel der wichtigste Pfeiler der US-Nahostpolitik und galt als Damm gegen nationalistische und sozialistische Fieberschübe in der Region.

 

Saudi-Arabien bot Stabilität. Innerhalb der Herrscherfamilie, die ihr Reich wie ein mittelalterliches Lehen regierte, gab es ein fein austariertes Machtgleichgewicht. Das machte das Königreich berechenbar und zu einem wertvollen Partner. So formte sich eine erstaunlich resiliente Zweckehe, die so weit ging, dass ein jüdischer US-Außenminister wie Henry Kissinger mit einem König wie Faisal zurechtkam, der Gästen die »Protokolle der Weisen von Zion« zu schenken pflegte. Man brauchte und vertraute einander, auch wenn von Liebe keine Rede sein konnte. Ein erstaunlich erfolgreiches Rezept, das erst heute, siebzig Jahre nach dem Treffen von Roosevelt und Ibn Saud, an seine Grenzen gelangt.

 

Denn unter MBS ist alles anders. »Er ist die mit Abstand mächtigste Person Saudi-Arabiens«, sagt der Journalist Jamal Khashoggi im Gespräch mit zenith im Frühjahr 2018, wenige Monate vor seiner Ermordung. »Seit Staatsgründer Ibn Saud hatte niemand so viel Macht. MBS ist deshalb ein einsamer Führer. Gleichzeitig will er aber beliebt sein, wie ein Popstar. Das ist eine Bürde. Er muss vor allem wirtschaftlich Erfolg haben, sonst sieht es düster aus.«

 

»Natürlich wollen auch viele Saudis, dass der Krieg endet. Sie spüren ja dessen Auswirkungen. Eine Bedrohung ist die Außenpolitik aber nicht – auch wenn sie katastrophal ist.«

 

Khashoggi hatte Saudi-Arabien zum Zeitpunkt dieses Gesprächs bereits verlassen und lebte in der Nähe von Washington. Ansonsten wäre er vielleicht auch im Hotel Ritz Carlton in Riad gelandet, wohin MBS im Herbst 2017 Dutzende vermeintliche Kontrahenten verbringen lässt – im Inneren schlägt der junge Kronprinz bereits damals jede Zurückhaltung in den Wind. »Jeder, der sich gegen ihn stellt, stellt sich auch gegen den König. Das käme Hochverrat gleich,« prophezeit Khashoggi düster. Der Krieg im Jemen beispielsweise könne dem Prinzen daher kaum gefährlich werden: »Natürlich wollen auch viele Saudis, dass der Krieg endet. Sie spüren ja dessen Auswirkungen. Eine Bedrohung ist die Außenpolitik aber nicht – auch wenn sie katastrophal ist.«

 

Die außenpolitischen Volten des Kronprinzen sind in der Tat spektakulär. Er versucht, Katar mit einer Blockade in die Knie zu zwingen und lässt den libanesischen Premierminister Saad Hariri kurzzeitig festsetzen, um die Hizbullah zu schwächen – und scheitert beide Male. Im Jemen versinkt seine Armee währenddessen im Morast eines so blutigen wie nicht gewinnbaren Krieges. »Der Einsatz im Jemen ist gerechtfertigt«, beteuert Außenminister Jubair noch 2018 in München. »Wir unterstützen die Regierung in ihrem Kampf gegen Hizbullah und Iran.« Es ist eine Rechtfertigung in Dauerschleife und der Kampf gegen Teheran scheint jedes außenpolitische Abenteuer von MBS zu rechtfertigen.

 

Den schwerfälligen Supertanker von einst, der sich aller politischer Husarenstücken enthält und eine auf Diskretion bedachte Außenpolitik führt, verwandelt MBS so in ein wild um sich schießendes Kanonenboot, das kaum Wirkungstreffer erzielt. Er selbst führt sich wie eine Art saudischer Napoleon auf, als Mann der Vorsehung, der sein Land mit eiserner Hand zu einer wirtschaftlichen und politischen Großmacht formen will. In Wahrheit ist er aber eher ein arabischer Wilhelm II., dessen beratungsresistente, sprunghafte Abenteuersucht Deutschland in den Abgrund führte. Für Washington könnte die erratische und ungelenke Politik des Kronprinzen aber nicht zu einem ungünstigeren Zeitpunkt kommen.

 

Jenseits freundschaftlicher Rhetorik und schöner Fernsehbilder gegenseitiger Staatsbesuche sind die strategischen Überlegungen der beiden Länder längst nicht mehr deckungsgleich.

 

Die USA befinden sich seit Obamas Präsidentschaft auf dem Rückzug aus der Region und auch Trump will seine Kräfte bei aller Nähe zum saudischen Königshaus nicht in weiteren regionalen Konflikten gebunden sehen. Washington ist deshalb auf regionale Partner angewiesen, die Verantwortung übernehmen können. Das nervös agierende, schnell beleidigte Saudi-Arabien unter MBS kann diesen Ansprüchen nicht genügen. »Die USA haben keine Ahnung, was sie im Nahen Osten wollen, das ist doch das Problem«, meint Karen Young. »Sie sind nicht ernsthaft engagiert und haben in erster Linie Angst davor, sich militärisch zu engagieren. Deshalb verlässt man sich auf Länder wie Israel oder Saudi-Arabien, den harten Mann zu markieren. Aber das ist eine Farce.«

 

Der Mord an Jamal Khashoggi im Oktober 2018 löste in den USA deshalb nicht nur eine Welle der Empörung aus, sondern offenbarte auch den sich vertiefenden Graben zwischen den beiden Ländern. Ein Graben, der noch von den guten persönlichen Beziehungen zwischen der Familie Trump und der Familie Saud sowie dem gemeinsamen Feind in Teheran überbrückt wird – doch jenseits freundschaftlicher Rhetorik und schöner Fernsehbilder gegenseitiger Staatsbesuche sind die strategischen Überlegungen der beiden Länder längst nicht mehr deckungsgleich.

 

Siebzig Jahre nachdem US-Präsident Roosevelt Ibn Saud traf, trinken junge Saudis in Riad längst Oreo-Milchshakes bei Starbucks, studieren an amerikanischen Universitäten und schauen Netflix. Der Kronprinz ist der Hoffnungsträger einer jungen Generation, die Wandel und eine gesellschaftliche Annäherung an den Westen herbeigesehnt hat. Doch wenn die Phase der ersten Verliebtheit erst einmal abgeflaut ist und die Angst vor der Scheidung im Raum steht, wird sich so mancher die Berechenbarkeit der einstigen saudisch-amerikanischen Zweckehe zurückwünschen.

Von: 
Daniel Boehm und Florian Guckelsberger

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