Zoubida Assoul machte als Juristin in Algerien Karriere. Heute legt sie sich mit der Staatsmacht an.
Dank farbenfroher Hosenanzüge und kräftiger Stimme gehört Zoubida Assoul zu den auffälligsten Figuren im Kampf für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Algerien. Die 62-Jährige vertritt ehrenamtlich politische Gefangene und kämpft mit ihrer Partei, der »Union für Fortschritt und Demokratie«, gegen die Ungerechtigkeiten eines Staates, dem sie einst als Justizbeamtin selbst diente.
Angesprochen auf den Hirak, den Start der Protestbewegung vom 22. Februar 2019, wird Assoul emotional: »Das war einer der schönsten Tage meines Lebens. Ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten.« Die Reaktion des Regimes auf die Proteste hält sie für inakzeptabel: »Heute sitzen Hunderte von Jugendlichen wegen einer Sympathiebekundung in Netz im Gefängnis, weil sie angeblich einer terroristischen Gruppe angehören.« Was in Algerien als Terrorismus gilt, regelt Paragraf 87 des Strafgesetzbuches.
Daran hat Assoul vor einem Vierteljahrhundert selbst mitgeschrieben. Nach einer vom Regime nicht anerkannten Wahl hatten Islamisten einen Bürgerkrieg losgetreten. »Damals, 1994 und 1995, inmitten all der Gewalt, haben wir akribisch darauf geachtet, was als Terrorakt gilt.«
2021 wurde der Paragraf aber so geändert, dass jeder, der das politische System friedlich verändern will, als Terrorist eingestuft werden kann. Mit ihrem Engagement ist Assoul inzwischen selbst ins Visier der Mächtigen geraten. Das Innenministerium fordert die Auflösung der von ihr geleiteten Partei. Den Kampf für Rechtsstaatlichkeit hält sie dennoch nicht für vergeblich: »Der Geist des Hirak ist noch immer lebendig«.
»Ich dachte, es wäre möglich, Dinge von innen heraus zu verändern. Aber ich war Teil einer Maschine«
Den Sinn für Gerechtigkeit habe sie von ihrem Großvater geerbt, sagt sie. Cheikh Assoul war ein islamischer Rechtsgelehrter und »dennoch aufgeschlossen«, wie sich seine Enkelin erinnert. Kurz vor seinem Tod verkündete der alte Gelehrte: »Dieses Mädchen wird eine sehr bedeutende Richterin werden.«
Obwohl sie aneckte, machte sie bemerkenswert schnell Karriere. 1987 wurde sie als erste Frau in Algerien in eine Führungsposition im Justizministerium befördert, später wechselte die Richterin ins Generalsekretariat der Regierung. Ihr Rückblick ist ernüchternd: »Ich dachte, es wäre möglich, Dinge von innen heraus zu verändern. Aber ich war Teil einer Maschine. Wenn die Regierung auf Intransparenz und dem Fehlen jeglicher Kontrolle basiert, dann ist ein Paradigmenwechsel kaum möglich.«
Allen Widrigkeiten zum Trotz engagierte sie sich drei Jahre im Übergangsparlament. Sie hatte sich vorgenommen, bei der Ausarbeitung von Gesetzen ihren Grundsätzen treu zu bleiben und weigerte sich, für das von der Regierung lancierte Wahlgesetz zu stimmen: »Ich habe Gesetze für Algerien geschrieben, nicht für das Regime.« Die Strafe für ihr Abstimmungsverhalten: die Zwangspensionierung. Anschließend engagierte Assoul sich in einer NGO, um Juristinnen in der arabischen Welt zu fördern.
In Folge des Arabischen Frühlings wurde in Algerien das Parteiengesetz liberalisiert und Assoul bekam ihre Chance: Sie schloss sich der Mouwatana-Bewegung an. Ihr Ziel: eine mögliche fünfte Amtszeit von Langzeitpräsident Abdulaziz Bouteflika verhindern und freie Wahlen ermöglichen. Bouteflika ist mittlerweile verstorben, für freie Wahlen kämpft sie heute noch.