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Adnan Tabatabai zum Stand der Atomverhandlungen mit Iran

»Der Machtapparat steht hinter den Verhandlungen«

Interview
IAEO-Inspekteurin bei der Arbeit.
Eine IAEO-Inspekteurin bei der Arbeit. Foto: IAEO

Iran-Experte Adnan Tabatabai erklärt im Interview, warum die Atomverhandlungen in Wien auf dem richtigen Weg sind – und was das mit Gesprächen in Bagdad, Doha und Abu Dhabi zu tun hat.

zenith: Wo liegen die größte Streitpunkte bei den Atomverhandlungen mit Iran, die seit wenigen Wochen wieder in Wien geführt werden?

Adnan Tabatabai: Die US-Amerikaner haben 2018 unter Präsident Trump das Atomabkommen von 2015 verlassen, woraufhin sich Iran erstmal noch für ein weiteres Jahr an seine Verpflichtungen hielt. Ab 2019 erfüllte Iran jedoch graduell seine Verpflichtungen immer weniger und folgt bis heute in vielen verschiedenen Punkten dem Nuklearabkommen nicht mehr. Seit dem Amtsantritt von Joe Biden lässt sich auf amerikanischer Seite der Wille erkennen, das Nuklearabkommen wieder zu alter Stärke zurückzuführen. Genau darum geht es bei den aktuellen Gesprächen: um den Prozess zurück zu einem funktionierenden Abkommen. Dabei stellt sich natürlich die Frage, welche Schritte erfolgen müssen, damit sowohl die Amerikaner als auch die Iraner wieder ihren Verpflichtungen des Nuklearabkommens nachkommen werden. Darüber ist ein politischer Streit entbrannt, der in Wien beigelegt werden soll.

 

Russische Diplomaten sollen sich vorsichtig optimistisch geäußert haben. Von europäischer Seite kamen allerdings eher skeptische Töne bezüglich des Fortschritts der Gespräche.

Man entnimmt tatsächlich aus öffentlichen Statements, aber auch aus informellen Gesprächen, eine gewisse Zuversicht darüber, dass das Nuklearabkommen wiederhergestellt wird. Die Schwierigkeit liegt jetzt darin, die US-amerikanischen und iranischen Anforderungen gegenseitig zu vermitteln. So möchte die iranische Seite dieses Mal eine amerikanische Garantie über die tatsächliche Sanktionsaufhebung haben, bevor Iran wiederum seinerseits die technischen Schritte zur Erfüllung des Abkommens offenlegt. Zu diesem Punk finden derzeit viele, technisch sehr detaillierte Gespräche statt. Der klare politische Wille ist jedoch deutlich zu vernehmen – auf allen Seiten. Das ist zumindest schon mal wichtig, um die nötige Zeit und Geduld in die sehr technisch geprägten Gespräche zu stecken.

 

Woher rührt dieser Wandel in der US-Politik bezüglich Iran seit dem Amtsantritt von Joe Biden?

Das außenpolitische Team von Präsident Biden besteht zu großen Teilen aus Mitgliedern der Obama-Administration, die ja ursprünglich die Nuklearverhandlungen aufgenommen und mit Iran und den anderen Partnern zu einem Abschluss geführt hatte. Es handelt sich hier um Vertreter eines politischen Ansatzes, der zur Vermeidung internationaler Sicherheitsrisiken, wie dem iranischen Nuklearprogramm, eher auf vorsichtige diplomatische Annäherungen und Gespräche setzt. Diese Denkrichtung ist bei den Demokraten durchaus weitverbreitet, hat jedoch auch viele Gegner. Joe Biden und sein außen- und sicherheitspolitisches Team lassen sich davon aber nicht beirren und bevorzugen diese Linie auch gegenüber der harten Sanktionspolitik.

 

Auch der Konflikt mit Israel schwelt weiter. Zuletzt griff die israelische Luftwaffe im April ein iranisches Schiff im Roten Meer an.

Obwohl Israel und Iran sich nicht nur in Syrien, sondern auch auf hoher See bekämpfen, und obwohl die israelischen Cyberangriffe auf Irans Nuklearanlage Natanz schon wieder großen Schaden angerichtet haben, gehen die Gespräche weiter. Das zeigt, dass nicht nur die amtierende Regierung in Teheran das Nuklearabkommen zu einem guten Ende führen möchte, sondern der gesamte Machtapparat geschlossen dahintersteht – inklusive Revolutionsführer Ali Khamenei. Neben dem Außenministerium und der Regierung befasst sich vor allem der Oberste Nationale Sicherheitsrat des Landes mit dem Nukleardossier. Es handelt sich hierbei um Gremien, deren Personal innerhalb einer Legislaturperiode kaum oder nur punktuell wechselt.

 

»Europa ist als Nachbarregion viel näher dran«

 

Welche Rolle spielen die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen und die innenpolitischen Unruhen in Iran?

Die Wahlen im Juni und deren Ausgang sind nur bedingt von Relevanz. Die innenpolitischen Differenzen beschäftigen sich nicht mit der Frage, ob dieses Abkommen an sich gut ist, sondern wie der Weg dahin ablaufen soll.

 

Wie unterscheiden sich die Interessen etwa Deutschlands und der USA in Bezug auf die Verhandlungen?

Natürlich teilen alle Parteien der EU 3 + 3 (Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Russland, China, USA) das Ziel, dass Iran keine breakout capibility erreichen sollte. Iran sollte also keine Nuklearmacht werden, also in die Lage versetzt werden, Nuklearwaffen zu besitzen. Für die Amerikaner sind aber beispielsweise Wirtschaftsbeziehungen mit Iran nicht sonderlich bedeutungsvoll. Auch die Sicherheitsbedrohungen sind nicht von einem derartigen Interesse, wie es für die Europäer der Fall ist – oder auch für die Russen. Europa ist als Nachbarregion viel näher dran. Für Europa stehen insbesondere Wirtschaftsinteressen auf der Liste: Man möchte natürlich den Handel mit Iran wiederaufnehmen, der enorm zurückgefahren wurde. Aus meiner Sicht sind das die markanten Interessensunterschiede, die dann auch unterschiedliche Prioritäten während der Gespräche bedeuten. Nichtsdestotrotz wird aber doch sehr deutlich, dass die USA den Ton angeben und die Europäer eher dem folgen, was Washington als Linie vorgibt.

 

In den letzten Tagen und Wochen ließen sich erste diplomatische Annäherungen Saudi-Arabiens in Richtung Iran beobachten.

Das ist eine sehr wichtige und vielversprechende Entwicklung. Es bleibt zu hoffen, dass sich der Medienrummel nicht kontraproduktiv auswirkt. Auch hier besteht ein gemeinsames Interesse zur Deeskalation in der Region.

 

Israel scheint hingegen wenig an seiner politischen Ausrichtung geändert zu haben.

Solange es die Islamische Republik als politisches System gibt, lässt sich auf israelischer Seite kein politischer Wille für ein erfolgreiches Nuklearabkommen erkennen – geschweige denn ein Wille, die eigene Politik anzupassen. Wir müssen zudem bedenken, dass Israel gerade stark in innenpolitische Machtkämpfe verwickelt ist. Benjamin Netanyahu kann sich als Premierminister momentan nicht erlauben, versöhnliche Töne anzustimmen. Ich fürchte, dass es noch lange dauern wird, bis die iranisch-israelischen Deeskalation irgendeine Form annimmt.

 

»Der iranischen Führung den Wert internationaler Abkommen vor Augen führen«

 

Welche konkreten Auswirkungen hätte ein erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen auf die Region?

Er würde der iranischen Führung den Wert internationaler Abkommen vor Augen führen; dass es sich lohnt, sich – wenn auch indirekt – mit den USA über internationale Abkommen abzustimmen. Dies könnte dazu führen, dass sich Iran von den USA weniger bedroht fühlt und weniger in seine Abwehrmechanismen investiert, wie das Raketenprogramm und die Unterstützung einiger nicht-staatlicher Akteure in Irans unmittelbarer Nachbarschaft. Dann hätte Iran tatsächlich einen Anreiz, diese Art der Politik graduell herunterzufahren, was sich auch auf Irak und den Jemen positiv auswirken würde. Parallel zu den Wiener Verhandlungen war Außenminister Javad Zarif zu Gesprächen in Katar, Irak, Kuwait und Oman und wird jetzt sogar in Abu Dhabi erwartet.

 

Und sollten die Verhandlungen scheitern?

Dann wäre wahrscheinlich das Gegenteil der Fall: Wir würden keine mögliche regionale Deeskalation und keine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation in Iran beobachten. Es deuten aber alle Anzeichen auf eine positive Richtung, auf Deeskalation.

 

Laufen die Gespräche in Wien darauf momentan hinaus?

Ich vermute – nicht nur, weil es gut für alle wäre, sondern, weil es sich auch abzeichnet, – dass man diesen Pfad in den kommenden Monaten beschreiten wird. Es scheint möglich, die Amerikaner zu der notwendigen Sanktionsaufhebung zu bewegen, und die Iraner davon zu überzeugen, die technischen Anforderungen für die eigene Erfüllung des Nuklearabkommens umzusetzen. Es sieht gut aus. Das würde zumindest wieder zu einem gestärkten multilateralen Abkommen führen, man müsste sich weniger Sorgen um Irans Nuklearprogramm und die wirtschaftliche Lage Irans machen. Das ist in Anbetracht der Lage im Land dringend vonnöten.


Adnan Tabatabai ist Mitgründer und Geschäftsführer des Forschungszentrums CARPO in Bonn. Als Iran-Experte berät er EU-Institutionen, Bundesministerien und politische Stiftungen. Tabatabai ist Lehrbeauftragter an der Universität Düsseldorf und Autor des Buches »Morgen in Iran« (Edition Körber, 2016).

Von: 
Darius Hofmann

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