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Was jordanische Christen und Muslime zu Weihnachten machen

Der Muezzin und Mariah Carey

Reportage
Weihnachts-Dekoration in der jordanischen Hauptstadt Amman
Weihnachts-Dekoration in der jordanischen Hauptstadt Amman. Foto: Franziska Jostmeier

Das Fest der Liebe bringt angeblich weltweit Menschen zusammen. Aber gilt das auch für ein Land wie Jordanien, in dem 93 Prozent der Bevölkerung Muslime sind? Eine Spurensuche im winterlichen Amman.

Seine Höhe von rund vier Metern macht ihn bereits zum Hingucker. Der Weihnachtsbaum im Hinterhof des Orthodox Clubs in Amman ist sowohl buchstäblich als auch im übertragenen Sinne ein Highlight. Die funkelnden Lichterketten, die roten Stoffschleifen und der goldene Stern auf der Spitze unterstreichen den Eindruck nur noch – genau wie die um ihn drapierten Rentiere und Schlitten.

 

Der Verein, der ihn aufstellt, wurde in den 1940er Jahren von orthodoxen Christen in Palästina gegründet und zog erst 1952 nach Amman. Der christliche Hintergrund des Clubs findet sich heute aber nicht einmal mehr auf seiner Webseite. Heute steht der Orthodox Club vor allem für seine zahlreichen Sportanlagen und Mannschaften, für eine erfolgreiche Basketballtruppe, für großzügige Swimmingpools und ein Restaurant mit gutem Ruf.

 

Zur Weihnachtszeit ist das anders. Dann spricht die Stadt über den Orthodox Club vor allem wegen seiner aufwendigen Weihnachtsdekoration. Wer sich in Amman umhört, wo es denn so richtig weihnachtet, der wird quasi immer hierhin geschickt. Laut Club-Manager Amer Fakhoury kamen Ende November 3000 Menschen, um dabei zu sein, wenn die Lichter des Baums das erste Mal angeknipst werden. Zum Weihnachtsbasar im Dezember werden noch einmal mehr als 5000 Gäste erwartet.

 

Doch natürlich gibt es nicht nur einen Baum. Die menschengroße Krippe in der angrenzenden Basketballhalle ist ein weiterer Hingucker. Im Eingangsbereich findet man glitzernde Rentiere und Kunstschnee. Direkt daneben steht ein großer, roter Sessel, auf dem an den Feiertagen ein Weihnachtsmann sitzen wird. Im Restaurant leuchten Sterne von der Decke und auf den Tischen stehen die Gedecke auf Servietten mit kleinen Weihnachtsmännern.

 

Weihnachten bedeutet Ausnahmezustand

 

Die Wandverkleidung schließlich ist ein ganz besonderes Schmankerl und Manager Amer Fakhoury erklärt stolz: »Das war meine Idee.« Er hat den Küchenchef und sein Team angewiesen, große Mengen Lebkuchen zu backen. Verziert mit Zuckerguss und Tannengrün schmückt das weihnachtliche Gebäck nun eine Wand des Restaurants.

 

Weihnachten bedeutet Ausnahmezustand im Orthodox Club. Und so mag Fakhoury, der ja für all die Stimmung verantwortlich ist, den Weihnachtsabend eigentlich gar nicht: »Ich würde viel lieber mit meiner Familie in Ruhe zuhause ein paar schöne Stunden verbringen. Aber an Weihnachten heißt es für mich: arbeiten, arbeiten, arbeiten.« Dazu zählt vor allem Smalltalk mit den zahlreichen Besuchern, die längst nicht mehr alle nur gläubige Christen sind.

 

»Wir haben auch muslimische Gäste, die an unserer Weihnachtsveranstaltungen teilnehmen. In Jordanien hat sich der Sinn von Weihnachten, wie auch in Europa, verändert. Heutzutage ist es viel mehr ein soziales, als ein religiöses Fest. Die Leute kommen hierher, um gut zu essen, sich mit Freunden zu unterhalten und eine gute Zeit zu haben«, sagt Fakhoury. In der Tat: 93 Prozent der Jordanier sind Muslime, nur rund fünf Prozent Christen – und dennoch ist der 25. Dezember ein nationaler Feiertag für alle Jordanier.

 

Und so finden sich vor allem in den moderneren Gegenden Westammans, immer wieder weihnachtliche Dekorationen. Etwa im Rosa Nerra auf der Rainbow Street, der Flaniermeile der Stadt. Dort findet man alles, was das Weihnachtsherz begehrt. Im nahe gelegenen Restaurant Wild Jordan ist der Empfangstresen mit Tannengrün und Weihnachtskugeln geschmückt und im angeschlossenen Ladengeschäft gibt es handgemachte Weihnachtskarten zu kaufen. Es ist nicht überraschend, dass das hier besonders gut funktioniert. Jeden Tag verschlägt es zahlreiche Touristen ins Wild Jordan, die den Ausblick auf die Altstadt und die Zitadelle genießen.

 

In Downtown geht es hingegen wenig besinnlich zu. Rufende Verkäufer, hupende Autos und die Stimmen zahlreicher Passanten mischen sich hier zusammen. Lichterketten und Weihnachtskugeln sucht man vergebens. Doch selbst hier findet sich in einem kleinen Gässchen ein Verkäufer, der knappe Weihnachtsmannoutfits für Frauen im Angebot hat. Doch abgesehen von einigen Girlanden, die auf dem Markt rund um die Große Husseini Moschee verkauft werden, ist es mit der weihnachtlichen Stimmung in diesem Teil der Stadt nicht weit her.

 

Es ist ein anderer Ort, dem es gelingt, dem Orthox Club ernsthaft Konkurrenz zu machen – das Weihnachtsdorf von Kan Zaman – und obwohl es auch hier stark weihnachtet, ist die Stimmung doch ganz anders. Das klassische Tannengrün, Lebkuchengebäck und die Krippe, werden hier durch weiß angesprühtes Holz, Käse-Makkaroni und Weihnachtsdrachen ersetzt. Aus den Lautsprechern dröhnen Klassiker wie »War is over« oder »Coming home for Christmas«. Zwischendurch singt Mariah Carey mit »All I want for Christmas« gegen einen Muezzin an, der in der Ferne zum Gebet ruft.

 

Der festlich geschmückte Weihnachtsbaum im Orthodox Club Amman
Der festlich geschmückte Weihnachtsbaum im Orthodox Club Amman.Foto: Franziska Jostmeier

 

Das Weihnachtsdorf ist auf einer Art Burg im Süden Ammans aufgebaut. Einen Monat lang haben 30 Arbeiter daran gewerkelt, um dem Ort seinen weihnachtlichen Glanz zu verleihen. Um einen der rund 30 Standplätze zu ergattern, mussten sich Verkäufer bewerben. Die Veranstalter erwarten in vier Tagen über 15.000 Gäste, entsprechend gut scheint das Geschäft auch zu laufen.

 

Die große Mehrheit der Verkäufer bietet, wie auch auf Weihnachtsmärkten in Deutschland, Essen an. In der Auswahl unterscheiden sie sich aber doch erheblich: Anstelle von Reibekuchen und Grünkohl, gibt es hier neben Tacos, Pasta, Burger, Sandwich und Steaks auch »die beste Weihnachtspizza der Stadt« zu kaufen. Glühwein sucht man vergeblich. Stattdessen umwirbt Baileys die Gäste und behauptet: »Ohne Baileys ist es kein Weihnachten.«

 

Der Weihnachtsmann wird hier nicht von Engeln oder Elfen, sondern von einem Drachen begleitet, der anstelle von Schokolade bunte Jelly Beans verteilt. Neben Schmuck, Wein und Chillipasten, kann man hier auch vegane Cookies, Brownies oder Schokoladencreme kaufen. Die beiden jungen Männer, die letztes Jahr noch Glühwein verkauften, haben sich dieses Jahr für gefüllte Waffeln entschieden – der Glühwein ging einfach nicht weg.

 

Würde man sich die weihnachtliche Dekoration wegdenken, könnte diese Dorf also genauso gut zu jeder anderen Jahreszeit stattfinden. Dass Weihnachten ein christliches Fest ist, scheint hier nebensächlich. Hala, eine der Veranstalterinnen erklärt dann auch, dass Religion beim Weihnachtsdorf keine Rolle spielt. »Das ist ein Familienereignis. Die Leute kommen her, um eine schöne Zeit zu verbringen. Egal, ob sie Christen oder Muslime sind.«

 

So wie Kahlid von Cookies&More. Der backt für jedes Fest – egal ob Weihnachten, Ostern oder Ramadan – thematisch passende Plätzchen. Er selbst ist Christ und feiert Weihnachten mit seiner Familie. »Ich weiß, dass Menschen von außen auf unser Land schauen und denken wir töten uns gegenseitig. Aber eigentlich leben Christen und Muslime in Jordanien seit Jahren friedlich zusammen. Weihnachten ist einfach ein schönes Fest, an dem sich jeder erfreuen kann.« Sein Kollege, der am Stand neben ihm Honig verkauft, sieht das genauso. Er ist Muslim.

Von: 
Franziska Jostmeier

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