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Tipps vom Islamwissenschaftler

So werden Sie Mogul

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Zehn Tipps, wie man Islamwissenschaftler im Medien-Business überlebt

Wir Islamwissenschaftler haben es nicht leicht. Wer eine glänzende Karriere mit viel Ruhm, Macht und Kohle anstrebt, sollte sich ein anderes Studium aussuchen als dieses Orchideenfach. Wer sich von den Orchideen nicht abschrecken lässt und sich durch die Semester kämpft, Seminare zu den Trinkgewohnheiten der Abbasiden überstanden und die Artikulation des Kehlkopfschinderbuchstabens ʿAyn gemeistert hat, dem stehen immerhin fünf Berufswege offen: erstens, die geruhsame akademische Laufbahn, zweitens der abwechslungsreiche Auswärtige Dienst, drittens eine supergeheime Tätigkeit bei den Sicherheitsbehörden, viertens ein entspanntes Dasein auf Kosten der Bundesanstalt für Arbeit.

 

Wer keine dieser Optionen für erstrebenswert erachtet, wählt den fünften Weg und macht was mit Medien. Wir Islamwissenschaftler können nämlich Dinge, die andere Journalisten nicht können. Wenn wir diese Vorteile clever ausspielen und obendrein ein paar Binsenweisheiten beherzigen, steht einer glänzenden Karriere nichts im Wege. Deshalb hier die zehn Gebote für medienschaffende Islamexperten.

 

١

Die wichtigste Regel, die Journalistenschüler heutzutage lernen, lautet: Du sollst nicht langweilen. Soziologen oder Anglisten mögen damit ihre Schwierigkeiten haben, wir Islamwissenschaftler nicht. Wer Koran, Hadithe und arabische Biografien gelesen hat, kennt nicht nur sämtliche Höhen und Tiefen des menschlichen Daseins, sondern kann auch aus dem Effeff blumig-allegorische Leitartikel zu jedwedem Thema aufs Papier werfen.

 

٢

Stress ist der natürliche Gefährte des Journalisten. Breaking News hier, Manuskript Abgabetermin da, und immer rennt man gegen die Uhr. Da lebt man besser, wenn man sich an arabischen Zeitangaben orientiert. Ein beherztes »Bukra inshallah« senkt den Blutdruck und hält drängelnde Kollegen auf Abstand. Und am nächsten Tag liefern wir dann ganz bestimmt. Inshallah.

 

٣

Blenden zu können ist eine Kunst, kein Makel. Wer im Vorstellungsgespräch oder in der Redaktionskonferenz im richtigen Moment ein arabisches Sprichwort zitieren oder beiläufig einstreuen kann »Das habe ich schon vor zehn Jahren Mullah Omar gesagt, als er mich um Rat bat« (wobei Omar nach Gutdünken durch Ahmad, Murad oder Mustafa ersetzt werden kann), der gilt sofort als Experte für Weltregionen, in denen zwischen all den Konflikten, Kriegen und Konfrontationen kein Anderer durchblickt.

 

٤

Wer es in die Führungsebene eines Medienhauses geschafft hat, wird schnell feststellen, dass dagegen die Ellenbogenkultur eines DAX-Unternehmens ein Kindergarten ist. Islamwissenschaftler haben es hier glücklicherweise leichter als andere Zeitgenossen: Wer sich eingehend mit den Intrigen am Hof jeder x-beliebigen orientalischen Dynastie befasst hat, ist für jeden Machtkampf gerüstet.

 

٥

Es habe sich »die Botschaft der Globalisierung mit- samt ihrer aufklärerischen Behauptung, alle Menschen seien gleich, als faustdicke Lüge erwiesen«, hat der Oberexperte aller Orientexperten, Peter Scholl-Latour, notiert. Als mindestens mittelgroße Orientexperten haben wir natürlich seine Werke memoriert und durchschauen daher ruckzuck die Potemkinschen Dörfer der Weltpolitik. Die entscheidende Frage bei jeder politischen Entscheidung und bei jedem Skandal ist: Cui bono – wem nützt es? Wer den Spuren von Geld und Macht folgt, kann jedes Heilsversprechen durchschauen und jeden Messias entlarven. Daher lautet das fünfte Gebot: Gib dich niemals mit einfachen Erklärungen zufrieden.

 

٦

Das sechste Gebot ist kürzer: Freundlichkeit öffnet Herzen – und eröffnet Wege. Als Islamwissenschaftler kennen wir die überschwänglichen Begrüßungs- und Höflichkeitsrituale der Orientalen nicht nur, wir können sie auch imitieren. Damit besitzen wir eine scharfe Waffe. Mit keiner anderen Methode lässt sich Widerstand leichter brechen als mit entwaffnender Herzlichkeit.

 

٧

Als Islamwissenschaftler wissen wir, dass die Araber die Null erfunden haben. Und wir wissen selbstverständlich auch, welche unserer Kollegen Nullen sind. Falls wir selbst die Null sind, wenden wir das schiitische Taqiyya-Prinzip an und verbergen unser Wissen.

 

٨

»Yaum assal, yaum bassal«, lautet mein arabisches Lieblingssprichwort: Einen Tag Honig, einen Tag Zwiebeln. Frei übersetzt: Mal haste Glück, mal haste Pech. Diese bahnbrechende Erkenntnis ist der Schlüssel zu einem zufriedenen Berufsleben, denn sie zeigt uns: Selbst wer permanent Vollgas gibt, erwischt mal einen schlechten Tag – und das ist kein Unglück oder gar unsere Schuld, sondern schlicht Schicksal. Wir können uns also zurücklehnen und warten, bis der Zwiebeltag vorüber ist.

 

٩

Auch das vorletzte Gebot folgt einem Sprichwort: »As- Sabr dschamil« lautet es, »Die Geduld ist schön«. Wenn wir also unbedingt ein bestimmtes Pöstchen ergattern oder uns an einem Widersacher rächen wollen, dann tun wir: nichts. Wir warten einfach ab, und irgendwann fügen sich die Dinge zu unserem Wohlgefallen. Der Traumjob fällt uns in den Schoß, die Gegner machen Fehler, und wir sind fein raus. Schön, oder?

 

١٠

Und das zehnte Gebot? Besteht nur aus einem Satz: Weisheiten von Islamwissenschaftsjournalisten sollte man nicht allzu ernst nehmen.


Florian Harms hat in Freiburg und Damaskus Islamwissenschaft studiert und kämpft sich seit Jahren einigermaßen erfolgreich durch den deutschen Medienzirkus. 2002–2004 schrieb er unter anderem für zenith. Ab 2004 arbeitete er bei Spiegel Online, 2015–2016 als Chefredakteur. Seit September 2017 ist Harms Chefredakteur der Berliner Redaktion von t-online.de sowie Geschäftsführer der Ströer News Publishing GmbH. 2019 ist sein erster Roman »Versuchung« erschienen.

Von: 
Florian Harms

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