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Scholl-Latours-Erben: Simon Kremer

»Spannender als die Front«

Portrait
Scholl-Latours-Erben: Simon Kremer

Jede Woche fragen wir einen Nahost-Korrespondenten: Wie halten Sie es mit Scholl-Latour, dem großen Erklärer der arabischen Welt? Diese Woche antwortet dpa-Korrespondent Simon Kremer.

Ein halbes Jahrhundert lang berichtete der Fernsehjournalist Peter Scholl-Latour von Krisenherden in Afrika und Asien, erzählte vom islamischen Wesen und ärgerte damit Wissenschaftler. Im Sommer 2014 verstarb der Bestsellerautor mit 90 Jahren. Wer erklärt den Deutschen nun den Orient? zenith nimmt Kandidaten unter die Lupe. Diese Woche antwortet dpa-Korrespondent Simon Kremer.


 

  • Geboren: 30. September 1985 im Sauerland
  • Wohnort: Tunis
  • Ausbildung: Lehramtsstudium (Deutsch und Politik) in Marburg und Dresden, kurz vor dem Examen zum Arabischlernen nach Damaskus gegangen. Journalistisch: Studienbegleitende Ausbildung an der Journalisten-Akademie der KAS, Volontariat beim NDR 
  • Karriere: Zahlreiche Praktika und Freie Mitarbeiten bei deutschen Lokalzeitungen, dann über ein Praktikum bei der AP mit dem Nahen Osten in Kontakt gekommen (Israel). Während des Sprachstudiums in Syrien 2009/10 ein Online-Magazin mit Freunden gegründet (soukmagazine.de), das als Blogprojekt angelegt war. Zwischenzeitlich hatten wir über 30 Autoren und bekamen zahlreiche Preise dafür (u.a. Grimme Online Award, CNN Journalist Award, Axel-Springer-Preis). Seit 2016 dpa-Nahost-Korrespondent mit Sitz in Tunis.

 


 

Wie kamen Sie dazu, Nahost-Journalist zu werden?

Mit 15 hatte ich die Dokumentation »War Photographer« über James Nachtwey gesehen und wollte – gerade bei einer Lokalzeitung angefangen und das Fotografieren entdeckt – Kriegsfotograf werden. Ein paar Jahre später durfte ich als Praktikant nach Israel und da wurde mir während des Gaza-Krieges klar, wie unfassbar naiv und dämlich der Gedanke war. Aber den Nahen Osten fand ich faszinierend. Und ich stellte fest, dass die Geschichten hinter der Front, wenn sich Leben und Gesellschaft langsam wieder neu organisieren, spannender sind als die Front selbst.

 

Welche nahöstlichen Sprachen beherrschen Sie?
Ich quäle mich täglich mit Hocharabisch, bei den ganzen Dialekten ist mir in dieser riesigen Region klar, dass ich scheitern muss. Ansonsten komme ich im Maghreb mit Französisch gut durch.

 

Der Orient riecht nach ...
In den Städten leider permanent Diesel und verbranntem Müll, in den Minibussen nach zu viel Parfum und getrocknetem Schweiß und zwischendurch immer wieder nach Pinien- und Kiefernnadeln, nach frisch gebackenem Brot. Leider gibt es keinen ausgeglichenen Geruch. Es geht immer nur extrem.

 

Apropos: Wo liegt er eigentlich, dieser Orient?
Am Ende einer verregneten Nacht auf der alten Matratze eines syrischen Generals, der mir vor Jahren mal den Schlüssel seines kompletten Hauses gab, als ich mich mit dem Schlafsack am Straßenrand hinlegen wollte. Für mich wird der Orient immer die Altstadt von Damaskus sein, weil dort meine ersten Schritte in der Region waren. Das ist natürlich ungemein romantisierend und ein echt klischeehaftes Bild vom Orient, aber so behalte ich den Orient mit seinem täglichen Wahnsinn einfach gerne in Erinnerung. Beruflich reicht er nämlich von Mauretanien über Nordafrika, die arabische Halbinsel bis in den Oman. Aktuell vier Kriegsgebiete und die Flüchtlingssituation im Mittelmeer lassen da nicht viel Platz für Romantik.

 

Drei No-Gos für westliche Reporter im Nahen Osten?
Sich immer nur in den Expat-Kreisen aufhalten (wobei das heutzutage kaum noch jemand macht); denken, dass man den Überblick hat, weil sich mit dem nächsten Gespräch die Sichtweise wieder ändern wird; nicht mit Taxifahrern sprechen.

 

Ihr größter journalistischer Fauxpas?
Kurz nach Ausbruch des Arabischen Frühlings hatte ich mein Volontariat beim NDR angefangen und bin dann – ich war ja gerade erst ein paar Monate aus Syrien zurück – in einem »Kollegengespräch« gefragt worden, ob es denn in Syrien auch bald losgehen würde. Voller Überzeugung sagte ich, der Wandel werde Generationen brauchen in Syrien, die Menschen hätten zu viel Angst vor dem Regime. Das war eine krasse Fehleinschätzung.

 

Am meisten über den Orient gelernt habe ich ...
Bei Reisen mit dem Rucksack und Zelt durch Syrien, Jordanien und Iran. Und im Geburtsvorbereitungskurs in Tunesien.

 

Ein Roman über die Region, den jeder gelesen haben sollte.
»Der Jakubijan-Bau« ist glaub ich schon genannt worden – trotzdem gehört er für mich dazu, weil er immer noch aktuell ist. Und Rafik Schamis »Erzähler der Nacht«, um die Romantik zu erhalten.

 

Peter Scholl-Latour war für mich ...
wie eine Monstranz, die von Verwandten und Bekannten an mich herangetragen wurde, als ich mich immer mehr für den Nahen Osten zu interessieren begann. So wurde es zum Standard, ständig eines seiner Bücher geschenkt zu bekommen. Und ähnlich einer Monstranz standen sie dann auch viel im Schrank.

 

Die Geschichte, die sie schon immer machen wollten, zu der Sie aber nie kamen.
Ich war nie in Hippie-Kreisen unterwegs, aber einmal mit dem Bulli von Europa aus den Hippie-Trail abzufahren, das ist ein Traum für später.

Von: 
zenith-Redaktion

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