Jede Woche fragen wir einen Nahost-Korrespondenten: Wie halten Sie es mit Scholl-Latour, dem großen Erklärer der arabischen Welt? Diese Woche antwortet Christoph Ehrhardt, FAZ-Korrespondent in Beirut.
Ein halbes Jahrhundert lang berichtete der Fernsehjournalist Peter Scholl-Latour von Krisenherden in Afrika und Asien, erzählte vom islamischen Wesen und ärgerte damit Wissenschaftler. Im Sommer 2014 verstarb der Bestsellerautor mit 90 Jahren. Wer erklärt den Deutschen nun den Orient? zenith nimmt Kandidaten unter die Lupe. Diese Woche: Christoph Ehrhardt, FAZ-Korrespondent in Beirut.
- Geboren: 26. Juli 1975 in Stade
- Wohnort: Beirut
- Ausbildung: Magisterexamen der Geschichtswissenschaft, Politikwissenschaft und Islamwissenschaft an der Universität Hamburg
- Karriere: Als Student freie Mitarbeit und Hospitanzen, die interessanteste im Kairoer Büro der Deutschen Presse-Agentur. Außerdem an den frühen zenith-Ausgaben beteiligt. Volontariat bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, danach Politikredakteur. Während der Arabellion Berichterstattung über die Aufstände in Tunesien, Ägypten und Libyen. Seit August 2015 Korrespondent in Beirut.
Wie kamen Sie dazu, Nahost-Journalist zu werden?
Mein Geschichtslehrer in der Oberstufe, Walter Reichel, und vor allem mein Geschichtsprofessor Helmut Mejcher, haben mein Interesse für den Nahen Osten geweckt. Irgendwann dachte ich, ich sollte dann wohl besser auch Arabisch lernen, was mich zur Islamwissenschaft und für ein paar Monate nach Kairo gebracht hat. Ich war nie ein Orient-Romantiker – habe aber immer große Neugierde empfunden. Die Region ist voller Irrsinn, faszinierend und nervtötend.
Welche nahöstlichen Sprachen beherrschen Sie?
Arabisch, leidlich.
Der Orient riecht nach ...
... Smog und Zerstörung an zu vielen Orten.
Apropos: Wo liegt er eigentlich, dieser Orient?
Das ist eine Frage für eine Doktorarbeit. Als Student habe ich mich intensiv mit Edward Saids »Orientalismus« beschäftigt. Auch, wenn ich viele seiner Aussagen richtig finde, würde die Antwort, der Orient sei vor allem eine Konstruktion westlicher Imagination, dem auch nicht gerecht. Zu dem geographischen Raum, den ich mit »Orient« bezeichnen würde, würde ich den Maghreb und die Levante im weiteren Sinne zählen, die Arabische Halbinsel, Iran, außerdem Länder Südasiens wie Pakistan, Afghanistan und Indien.
Drei No-Gos für westliche Reporter im Nahen Osten?
Im Grunde lässt sich das auf eine Formel bringen: Zu glauben, dass dort andere Regeln gelten als für alle anderen Journalisten. Vor allem Klischees zu reproduzieren und zu früh zu glauben, dass man die Wahrheit gehört hat, etwas weiß, oder verstanden hat.
Ihr größter journalistischer Fauxpas?
Das ist so eine Frage, die an die Vorstellungsgesprächsfrage nach der größten Schwäche erinnert. Versäumnisse gibt es sicher einige. Ein cooler Fauxpas, der mir zur Ehre gereichte, fällt mir leider nicht ein.
Am meisten über den Orient gelernt habe ich ...
... während der vergangenen zwei Jahre, die ich in Beirut lebe.
Ein Roman über die Region, den jeder gelesen haben sollte.
»Die Rückkehr« von Hischam Matar. Es geht Matars Rückkehr nach Libyen, nach dem Sturz Gaddafis und seine Suche nach seinem Vater, der vom Regime verschleppt worden war. »Risiko« von Steffen Kopetzky ist ein großartiger historischer Roman, in dem es um deutsche Agentenmissionen im Orient während des Ersten Weltkriegs geht.
Peter Scholl-Latour war für mich ...
... eine Figur aus einer anderen Zeit und einer anderen Welt. Einer, der sich mehr »Gentleman-Reporter« wünscht, während man selbst als junger Journalist hofft, eine feste Stelle zu bekommen. Seine Beiträge fand ich oft zu essentialistisch, zu historisierend und prätentiös. Aber ich schätze seinen Mut und seinen Drang, sich Dinge selbst anzuschauen. Im hohen Alter noch in Länder wie den Irak zu reisen, ist bewundernswert.
Die Geschichte, die sie schon immer machen wollten, zu der Sie aber nie kamen.
Eine Reportage über die Insel Sokotra. Vielleicht noch wichtiger: eine über arabische Taxifahrer. Es ist ja offenbar verpönt, Taxifahrer zu zitieren, was ich dünkelhaft finde. Taxifahrer sind zwar oft anstrengend, aber auch immer wieder sehr unterhaltsam und interessant. Die Armen kommen viel zu selten zu Wort!