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Malerin Safia Latif und moderne Islamische Kunst

Ist das etwa Islamische Kunst?

Portrait
Malerin Safia Latif und moderne Islamische Kunst
Safia Latif (33) wuchs in den USA auf. An der University of Maryland studierte sie Arabische Sprache und Kultur und verbrachte zwei Semester in Ägypten. Eine Promotion in Religionswissenschaft brach sie ab und begann stattdessen die Malerei privat

Safia Latif zeichnet ihr eigenes Bild vom muslimischen Kulturerbe. Ihr Publikum findet sie über Soziale Medien. Aber auch ihre schärfsten Kritiker.

Traditionelle islamische Kunst bedeutet für Safia Latif vor allem Kalligrafie, geometrische Muster und Miniaturen. Mit ihrer Malerei möchte die amerikanische Künstlerin das Spektrum des Genres erweitern. Von älteren Stilen grenzt sie sich ab und stellt so muslimisches Leben neu dar. »Als moderne muslimische Künstlerin möchte ich das Erbe meiner islamischen Kultur durch eine westliche Art der Malerei, durch Impressionismus und Realismus, neu interpretieren«, erzählt die Malerin im Gespräch mit zenith.

 

Mit der islamischen Kultur ist Latif in Maryland aufgewachsen, an der US-Ostküste. Ihr Vater kam aus Pakistan nach Amerika, ihre Mutter hatte russischen Vorfahren und konvertierte vom Judentum zum Islam. »Von meinem Vater habe ich die Religiosität, von meiner Mutter die Kreativität.«

 

Die traditionellen geometrischen Muster und Arabesken folgen strengen Regeln und die Miniaturen zeigen eine idealisierte Darstellung des Lebens. Latif möchte diese Starrheit aufbrechen und setzt auf eine realistischere Darstellungsweise mittels Farben und Texturen. »Ich fühle mich zu den lockeren und kühnen Pinselstrichen des Impressionismus hingezogen.« Dennoch finden sich auch in ihren Bildern traditionelle Elemente.

 

Von anderen modernen islamischen Künstlern unterscheidet sich die 33-Jährige nach eigener Aussage zudem durch ihre unpolitische Haltung: »Viele Künstler sind damit beschäftigt, auf den westlichen Kolonialismus, den Orientalismus und den Imperialismus zu reagieren.« Sie möchte sich von keinen -ismen vereinnahmen lassen. »Ich habe keine Agenda, ich bin Malerin, die zufällig Muslimin ist und das beeinflusst meine Arbeit«, sagt sie.

 

Der Markt für islamische Kunst wächst – Sotheby’s etwa veranstaltet halbjährlich eine »Islamische Woche«. Im März 2022 setzte hier allein die Rubrik »20th Century Art/Middle East« umgerechnet 2,3 Millionen Euro um. Auktionshäuser sortieren dabei oft geografisch und schließen damit formal die Künstler der Diaspora aus. Einige von ihnen versuchen, das traditionelle Handwerk ihrer Vorfahren zu bewahren. Andere zeitgenössische Künstler suchen neue Wege, ihren Glauben oder Kultur in ihre Kunst einzubringen.

 

Latifs Bilder zeigen eine Mischung aus muslimischem Alltagsleben, islamische Varianten von Popkultur und Geschichten aus dem Koran. Eines Tages sollen sie in einer Galerie hängen, davon träumt Latif, die in Kalifornien lebt. Sie ist Autodidaktin, erst 2020 begann sie, die Malerei zum Beruf zu machen. »Ich besorgte mir Bücher über Impressionismus und suchte online Mentoren, deren Kunst ich bewunderte«, erzählt sie.

 

In Sozialen Netzwerken, allen voran Instagram, findet sie Freunde, Fans und Inspiration. »Der Algorithmus weiß jetzt, dass ich eine Künstlerin bin und andere Kunst ansehe, also ist mein ganzer Feed voller Kunst. Es ist, als würde ich jeden Tag eine virtuelle Galerie betreten.«

 

Natürlich sei Religion ein heikles Thema im Netz – irgendjemand habe immer etwas zu monieren. »Meist ignoriere ich solche Nachrichten, das kostet einfach zu viel Zeit.« Latif ist selbstbewusst in ihrem Glauben und durch ihr Studium der Arabistik und Nahostwissenschaften weiß sie, »dass es im Islam nur wenig Absolutes gibt.«

 

Sie sieht sich eher in der Tradition mittelalterlicher Lyriker wie Hafez, Al-Ma'arri und Bulleh Shah, die auch ihre eigene fromme Gemeinschaft kritisch hinterfragten. Gleichzeitig schließt sie nicht ihre Augen vor den Wünschen ihrer weltweit verstreuten, inzwischen über 10.000 Follower. Für aufstrebende Künstler ist eine Präsenz in den Sozialen Medien unerlässlich. Latif profitiert finanziell von ihrer Reichweite, da sie momentan Bilder auf Kundenwunsch anfertigt, um von ihrer Kunst leben zu können.

 

Aber das Feedback ihrer Community ist für sie wichtig: »Ich möchte eine menschliche Wirklichkeit zeigen, die bei anderen Menschen eine Resonanz erzeugt«, betont Latif. Natürlich sei das auch eine Einschränkung, denn manche Motive seien für ihr Publikum zu langweilig: etwa Stillleben der kalifornischen Landschaft, die sie gerne malen würde. Die direkte Messbarkeit der Publikumszustimmung durch Likes und Shares erzeugt ein Spannungsfeld aus kreativer Kunstfreiheit und Kundenorientierung. Latif ist sich dessen bewusst und weiß damit umzugehen: »Ich male trotzdem die Stücke, von denen ich weiß, dass sie schwieriger zu verkaufen sein werden. Wer immer wieder das Gleiche malt oder das, was grade angesagt ist, der verliert die Inspiration.«

Malerin Safia Latif und moderne Islamische Kunst
Safia Latif

Meditation on Death II

»Das ist das zweite Werk in meiner Serie über den Tod. Es folgt dem Genre des Memento mori oder der Vanitas-Malerei, bleibt aber in der Bildsprache des Islam. Zunächst habe ich das populärste Symbol des Memento mori gemalt, einen Schädel, unter dem sich ein Leichentuch befindet, das auf die muslimische Praxis der Beerdigung der Toten hinweist, eine Sanduhr, die für die verlorene Zeit steht, und eine Kalligrafie aus der Sure Al-Rahman: ›Alles, was auf (Erden) ist, wird vergehen. Aber das Angesicht deines Herrn bleibt bestehen – des Herrn der Majestät und der Ehre.‹ Das Bild zeigt zudem das Werk »Die Erinnerung an die Angelegenheiten der Toten und das Jenseits« des andalusischen Gelehrten Abu Abdullah al-Qurtubi aus dem 13. Jahrhundert und schließlich eine Gebetskette.«

 

Malerin Safia Latif und moderne Islamische Kunst
Safia Latif

When They Saw Joseph, or If Looks Could Kill

»Die Geschichte von Joseph ist meine Lieblingserzählung im Koran. Sie ist die Einzige, deren Handlung von Anfang bis Ende linear verläuft. Diese Geschichten aus dem Koran zu malen, das bedeutet für mich moderne islamische Kunst. Der Koran verwendet eine sehr bildliche Sprache, also warum sollte ich das nicht malen?«

 

Malerin Safia Latif und moderne Islamische Kunst
Safia Latif

Revelations

»Katzen gehören zum Islam. Sie gelten als rein, deswegen kann diese hier sich an den Koran schmiegen. Das Bild heißt »Revelations – Offenbarungen«, da nicht nur der Koran, sondern auch die Liebe und die Freude, die wir durch diese Wesen erfahren, wie eine Offenbarung Gottes wirken. Zudem gibt es da diese Geschichte über den Propheten, der lieber seinen Mantel abschnitt, als eine darauf schlafende Katze zu wecken.«

 

Malerin Safia Latif und moderne Islamische Kunst
Safia Latif

Prayer on a Plantation

»Ich wollte die Geschichte der ersten Muslime in Amerika erzählen, aber in einer ermächtigten Art. Im Islam gibt es die Idee der Gläubigen als Sklaven Gottes. Es ist auf eine Art befreiend, diese Person hier als Sklaven nur von Gott zu sehen, nicht von einem menschlichen Besitzer. Das Motiv kam mir in den Sinn, nachdem ich einige der Erzählungen von Charles Ball gelesen hatte, der in den 1840er-Jahren seinen Sklavenhaltern entkommen konnte.«

 

Malerin Safia Latif und moderne Islamische Kunst
Safia Latif

Cat Mosque

»Viele muslimische Städte sind bekannt für ihre Liebe zu Katzen, ganz besonders Istanbul. Also wollte ich sie einmal in einer Moschee zeigen und eine Welt erschaffen, in der ihnen die Moschee gehört. Sie sind eigensinnig, beten und vielleicht diskutieren sie.«

Von: 
Anna Laura Gundler

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